„Avengers: Infinity War“ spielt ein routiniertes Actiongewitter mit Hollywoods All-Star-Besetzung ab
Vor ein paar Jahren noch dachte wohl niemand, dass Männer in Strumpfhosen die Kassen zeitgenössischer Vermarktungsindustrie klingeln lassen können. Comichelden wurden als feuchte Nerdfantasien verbucht. Das hat sich geändert, seit Marvel seine Bildergeschichten auf die große Leinwand gebracht hat. Mittlerweile gleicht eine Vorstellung der Comicverfilmungen einem Public Viewing Event der Fußballweltmeisterschaft zur besten Grillsaison.
Besonders heiß erwartet wurde „Avengers: Infinity War.“ Thanos (Josh Brolin) träumt davon, den Sonnenuntergang von seinem Heimatplaneten aus zu genießen. Friedlich, könnte man meinen. Ungünstig für Menschen und Aliens, denn dieser Klotz von einem Außerirdischen will erst die halbe intergalaktische Bevölkerung auslöschen, bevor er seinen Frieden finden kann. Dafür braucht er sechs regenbogenbunte Klunker, die Infinity-Steine.
Nur mit ihnen kann er seine mörderische Tat vollführen. Die Avengers wollen das natürlich verhindern – zumal einer von ihnen einen Infinity-Stein in der Stirn trägt. Klingt nach einem wahren Fest der Hauereien und schrägen Sprüche. Und nach Überforderung. Wer nicht bewandert ist oder bei 18 Filmen schlicht den Überblick verloren hat, wird nach dem Kinobesuch erstmal eine Google-Session einlegen müssen.
Der Film ist definitiv nicht für Neueinsteiger der Reihe geeignet und auch Freunden der Filme stellt sich zwischendrin die ein oder andere Frage: Was können die einzelnen Infinity-Steine? Seit wann ist der mächtige Vision (Paul Bettany) zum Schwächling mutiert? Und wo bleiben Ant-Man und der oft belächelte Hawkeye? Zumindest auf diese Frage wird eine ebenso knappe wie plumpe Antwort geliefert: Die beiden sitzen ihren Hausarrest nach der letzten Filmschlägerei brav zuhause aus.
Wie auch seine Vorgänger wartet der neueste Teil mit ausgefeilter CGI-Technik, imposanten Bildern und einem Kostümupgrade für einige Helden auf. Gleichzeitig bleibt der Film bei all dem Trubel kombiniert mit der Überfülle an Hollywoodsternchen zu glatt. Die teilweise preisgekrönten Schauspieler bekommen oft nicht die Chance zu glänzen. Sie sind schlicht nicht lange genug auf dem Bildschirm zu sehen. Als Fan ist man vorab so angeteasert, dass sich Enttäuschung breit macht, wenn in der ersten Hälfte des Films lange nichts passiert. Die altbekannten Charaktere müssen sich untereinander erst noch finden und beschnuppern.
Bis dahin eifert jeder seiner eigenen (Ego-)Mission nach. Sobald die ersten Grüppchen entstehen und die Sprüchekanone angefeuert wird – besonders Thors (Chris Hemsworth) göttlicher Humor in Kombination mit Chris Pratts Starlord – nimmt der Film aber an Fahrt auf und schließt mit einem saftigen Cliffhanger.
Grenzwertig wird es für den Zuschauer, wenn ein halbes Dutzend Avengers an überkochenden Emotionen und einem fest sitzenden Handschuh scheitert. Dass nicht mal das Genie Tony Stark (Robert Downey Jr.) auf die Idee kommt, den Arm – oder gleich das Haupt – des Oberschurken abzusäbeln, wirkt einfach lächerlich. Solche Logikaussetzer sind nicht neu bei Marvel, aber diesmal schwer zu ertragen. Das mag einer der Gründe sein, weshalb im Finale keine großen Emotionen beim Zuschauer aufkommen. Trotzdem wird dem nächsten Film gespannt entgegengefiebert. Man muss schließlich wissen, wie alles ausgeht, Logik hin oder her.
Von Esther Megbel