Constanze Kurz vom Chaos Computer Club kämpft gegen anlasslose Überwachung.
Ein Gespräch über Datensammelwut, Demokratie und Frauen in der Informatik
Constanze Kurz ist die Pressesprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC). Als Informatikerin veröffentlicht sie regelmäßig Beiträge auf Netzpolitik.org und hat mit „Aus dem Maschinenraum“ eine Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Beim Heidelberger Symposium diskutierte sie unter anderem mit Thomas Fischer, ehemaliger Bundesverfassungsrichter, und Peter Henzler, Vizepräsident des Bundeskriminalamts, über Überwachung im freiheitlichen Rechtsstaat. Vor der Diskussion traf sie sich mit zwei ruprecht-Redakteurinnen zum Gespräch auf dem Uniplatz.
Fühlst Du dich in deinem täglichen Leben überwacht?
Wenn nach meinem Gefühl gefragt wird, sage ich Nein. Wenn man damit meine Ratio anspricht, weiß ich natürlich, was hinter unserem Rücken passiert und bin gut informiert über die Massenüberwachung. Das Gefühl, in einer Überwachungsgesellschaft zu leben, stellt sich aber bei mir nicht ein. Das hängt aber auch damit zusammen, dass ich in der Lage bin, meine Kommunikation zu schützen.
Bist du wirklich in der Lage, deine Kommunikation zu schützen?
Ganz klar ja. Es ist sicherlich ein Privileg, dass man andere Möglichkeiten und vor allem eine bessere Riskioeinschätzung hat, wenn man sich viel mit Technik auseinandersetzt. Ich kann besser als der Durchschnittsbürger einschätzen, welche Arten von Daten wer wo sammelt. Dagegen wehre ich mich ganz aktiv. Ganz grundsätzlich haben heute aber mehr Leute eine gute Chance, sich zu schützen, weil die Werkzeuge dafür leichter zu benutzen geworden sind.
Welche Werkzeuge sind das?
In erster Linie sicherlich Verschlüsselung. Wir schützen damit ja nicht nur unsere Kommunikation, sondern zum Beispiel auch andere Prozesse wie Online-Banking. Aber auch im Bereich Kommunikation haben viele von den großen kommerziellen Anbietern mittlerweile standardmäßig Verschlüsselung, von der man manchmal sogar nicht weiß. Aber es geht auch um die Auswahl der Möglichkeiten, die ich nutze und die ich nicht nutze.
Wenn ich also zu Google oder Facebook gehe, kann ich davon ausgehen, dass meine Daten genutzt und verkauft werden?
Wie bei anderen Entscheidungen im Leben, zum Beispiel wie ich mich ernähre oder wie ich einkaufe, ist es mit den Daten auch. Ich entscheide mich sehr aktiv für Dienste oder auch dagegen. Ich glaube wir befinden uns gerade an einer Schwelle, dass sich mehr Leute Gedanken machen. Das hat man ganz gut an dem großen Facebook-Cambridge-Analytica-Skandal gesehen, der sehr viele Menschen auf der ganzen Welt bewegt hat.
Bessert sich die Lage gerade?
Wenn plötzlich viele Berichte in der Presse stehen und man Sachen mitbekommt, für die man sich vielleicht gar nicht so interessiert, dann gibt es die Chance, dass sich Leute damit beschäftigen. Gar nicht mal in einem wissenschaftlichen Kontext. Man kann sich natürlich schon lange vielfältig informieren über technische, rechtliche und wissenschaftliche Fragen bezüglich Überwachung. Aber wenn das in den öffentlichen Diskurs rutscht, interessiert es mehr Menschen.
An manchen Punkten kann man nicht mehr entscheiden, ob man überwacht wird oder nicht. Beispielsweise soll es am Heidelberger Hauptbahnhof bald intelligente Videoüberwachung geben. Siehst du da eine größere Gefahr als bei herkömmlicher Videoüberwachung?
Tatsächlich muss man die Begrifflichkeit ändern für diese sogenannte intelligente Videoüberwachung. Das ist keine dumme Kamera, die erstmal nur aufzeichnet, sondern dahinter steckt sofort eine Form von maschineller Intelligenz, die jedes Gesicht, das vorbeigeht, durch Datenbanken jagt. Damit wird das zu einer Personenüberwachung. Unabhängig davon, ob nachher bestimmte Bilder weggeworfen werden, unabhängig davon, wie gut die Trefferquoten sind, die in der Regel peinlich dünn sind, es bleibt letztlich eine Form von Aufzeichnung von Körpermerkmalen, gegen die man sich schwer wehren kann. Das ist zum einen anlasslos, und es hängen sehr viele rechtliche Fragen dran.
Welche rechtlichen Fragen?
Zum einen, dass der Eingriff sehr viel stärker ist, weil sofort eine Form von personengebundener Datenverarbeitung stattfindet. Natürlich gibt es auch noch die Frage, wie man mit biometrischen Daten umgeht, also mit Daten, die lebenslang an einem kleben, wie das Gesicht. Den Namen oder die Adresse kann man ändern, aber das Gesicht tragen wir mit uns rum. Mit dem Kleinreden davon, wie qualitativ anders diese Form von Überwachung ist, verweigert man sich dem Diskurs. Im Übrigen hat Thomas de Maizière gesagt, dass er solche Formen von biometrischer Überwachung mit Kameras flächendeckend einführen möchte. Wir wissen noch nicht, ob Heimat-Horst das auch will. Er neigt zu einem gewissen Verbalradikalismus, also würde es mich nicht wundern.
Ist Überwachung ein Problem für die Demokratie, wenn wir sehen, dass besonders autokratische Regime wie China viel überwachen?
Alle Formen der anlasslosen Überwachung sind erstmal problematisch für einen freiheitlich-demokratischen Staat, weil er damit Rechte einschränkt. Ich glaube, es ist vorteilhaft, dass zur Zeit über die Situation in China Bericht erstattet wird. Daran sehen wir, wie schnell sich solche Technik auswächst und dass das sehr schnell in Diskriminierung kippt. Wenn man etwa sieht, wie bestimmte Volksgruppen wie die Uiguren in China systematisch auch über biometrische Überwachung repressiv behandelt werden. Das kann man auch an einigen Projekten in den USA erkennen, wenn es etwa um Predictive Policing geht. Dabei werden Social-Media-Daten, aber auch biometrische Daten zusammengezogen, um vorauszuberechnen, wie sich jemand benimmt. Entsprechend überrascht es nicht, dass das fast immer Schwarze trifft.
Weil die Daten, die verwendet werden, aus vorhandenen Kriminalstatistiken stammen und das System damit den darin vorhandenen Rassismus weiterträgt…
Die Systeme werden oft so angelernt, dass sie inhärent rassistisch sind. Ich glaube, wir werden in Zukunft noch viel stärker über eine Kombination aus Diskriminierungsschutz und Datenschutz reden müssen. Da kann sich auch keine deutsche Bundeskanzlerin mehr in China hinstellen und die Menschenrechte anmahnen, wenn sie ähnliche Überwachungsprojekte in Deutschland und Europa abnickt.
Nun ging es gerade um den Staat: Wie sieht es bei Privatakteuren aus? Ist es denn problematisch, dass ein Großteil der Überwachung auch von privaten Firmen wie Google und Facebook ausgeht?
Es wird problematisch, wenn die betreffenden Firmen einen riesigen Marktanteil bekommen. Das sieht man gerade sehr deutlich, weil wir uns demokratietheoretische Fragen stellen müssen, wenn es plötzlich möglich wird, dass durch Facebook ein Brexit-Votum zustande kommt. Dennoch bleibt es natürlich ein qualitativer Unterschied, ob ich es bequem finde, mich so mit Menschen zu vernetzen und dabei auf Teile meiner Privatssphäre verzichte oder ob der Staat mir meine Privatssphäre nimmt. Ich glaube, dass eine Essenz der Snowden-Veröffentlichungen war, wie stark der Staat, insbesondere die Geheimdienste, auf diese kommerziellen Daten zugreift. Das besteht auch fort. Da sehe ich eine relativ große Gefahr, weil wir in Europa gerade in einer Situation sind, in der wir sehr viele amerikanische Dienste nutzen.
Wir vermuten jetzt einfach mal, dass du nicht googelst. Was nutzt du stattdessen?
Ich bin keine Google-Nutzerin mehr. Anders als Facebook hat Google eine noch größere Macht, darüber, was wir wissen und was nicht. Ich versuche, diesen Konzern zu vermeiden. Ich bin aber keine Schwarz-Weiß-Verweigererin. Ich bemühe mich, wenn ich mit Google in Kontakt komme, dort keine Profile anzulegen. Aber es ist nicht so, dass ich Leute, die mir eine Gmail schicken, zur Hölle wünsche. Ich akzeptiere die Entscheidungen der anderen. Dienste, mit denen ich arbeite, suche ich mir aber sorgfältig aus. Das tue ich aber auch bei Transportmitteln oder Lebensmitteln, die ich einkaufe.
Was ist der CCC?
Der Club ist in erster Linie eine Hacker-Vereinigung, die versucht sich mit Technik auseinanderzusetzen. Da kommen Leute zusammen, die Bock haben auf Technik. Meistens interessieren sie sich für die Randbereiche von Technik, also wie Technik funktioniert und wo ihre Grenzen sind. Aber wir machen uns auch Gedanken darüber, was ein breiterer Einsatz bestimmter Techniken mit uns macht. Das macht den Club in den letzten Jahren attraktiver. Der Zweck des Vereins besteht auch darin, Wissen zu mehren. Wir versuchen, unsere Meinungen in den öffentlichen Diskurs zu bringen und auch Stellungnahmen abzugeben. Und die sind oft regierungskritisch. Viele Entwicklungen, die mit Technik zu tun haben, kritisieren wir. Ich bin der Meinung, dass sich zu wenige Personen aus der Wissenschaft in den öffentlichen Diskurs einmischen. Das ist auch ein Grund, warum ich in meiner Studienzeit angefangen habe, mich im Club zu engagieren.
Viele stellen sich den durchschnittlichen Hacker eher männlich vor. Gibt es denn viele Frauen beim CCC?
Seit ich vor 15 Jahren angefangen habe, mich beim CCC zu engagieren, sind es mehr geworden. Komischerweise ziehen wir heute mehr Frauen an, anders als die technischen Fächer. Wir konnten uns öffnen, aber wir sind schon noch durch Männer dominiert. Das ist aber in der Wirtschaft im Bereich IT ähnlich. Insofern bin ich schon stolz, dass es bei uns mittlerweile mehr Frauen gibt. Insgesamt wäre aber mehr drin. Ich hoffe immer, dass die Informatikerinnen und Hackerinnen, die sich öffentlich äußern, Mädchen, die sich überlegen was sie studieren wollen, motivieren.
Wie bist du selbst darauf gekommen?
Ich habe zuerst Volkswirtschaft studiert. Und das Interessanteste war ein Kurs zur Informatik. Ich habe eine Weile weiterstudiert, bis ich bemerkt habe, dass ich eigentlich Informatik studieren will. Dann bin ich gleich zum CCC gekommen.
Müssen wir alle Informatik studieren oder Hackerinnen werden, um zu verstehen, was gerade in unserer Gesellschaft passiert und wie wir uns schützen können?
Es gab eine Zeit, in der es wirklich schwierig war, sich selbst zu schützen. Aber aus meiner Sicht ist das vorbei. Ich glaube, in allen Bereichen ist es mittlerweile sehr einfach. Das einzige, was man tun muss, ist, sich zu informieren.
Das Gespräch führten Esther Lehnardt und Nele Bianga