Kunstschaffende und die Stadtverwaltung ringen um Flächen im öffentlichen Raum. Wie viel Platz bietet Heidelberg für Streetart?
Seit Juli schmücken großflächige Malereien die Fußgängerunterführung beim Adenauerplatz. Sie stammen von Marina Volkova. Der Heidelberger Künstlerin haben die Bilder schon reichlich Ärger bereitet: Die von ihr bemalten Kacheln sind keine von der Stadt zum Sprayen freigegebene Flächen. Damit sind ihre Werke illegal.
Im Interview erzählt Volkova, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe: Sie wollte die Fußgängerunterführung bei der Friedrich-Ebert-Anlage verschönern und verwechselte diese mit der nur wenige Meter entfernten Adenauerunterführung. Obwohl sie sich wunderte, dass sie die Wände unberührt weiß vorfand, schätzte sie sich glücklich und ging ans Werk. Bis Anfang September arbeitete sie von der Stadt unbehelligt in der Unterführung. Erst als das Portal Heidelberg24 über die Künstlerin berichtete, erfuhr die Stadtverwaltung davon. Am nächsten Morgen wurde sie von der Polizei empfangen. Der Malerin drohten eine Anzeige wegen Sachbeschädigung und Reinigungskosten in Höhe von 2000 Euro.
Nach eigenen Angaben stellte die Stadt seit Anfang des Jahres 30 Strafanzeigen wegen unerlaubter „Schmierereien“. Deren Entfernung kostet die Verwaltung jährlich rund 150 000 Euro. „Die Stadt stellt Strafanträge, wenn städtische Flächen mit illegalem Graffiti beschmiert werden“, so Timm Herre vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Stadt. Grundsätzlich stehe die Stadt Graffiti aber nicht ablehnend gegenüber: Insgesamt neun Freiflächen stellt sie zur Verfügung. Auf diesen sind Sprühen und Malen jeglicher Art erlaubt. Zwei der Freiflächen befinden sich in der Altstadt, die anderen sieben verteilen sich auf die restlichen Stadtteile. Lediglich die Freifläche an der Pfaffengrunder Terrasse in der Bahnstadt ist überirdisch – die restlichen sind unter der Erde gelegen. „Zum einen sind Unterführungen von Sprayern bevorzugte Betätigungsfelder. Zum anderen hat es mit der Verfügbarkeit passender Flächen und dem Einfügen ins Stadtbild zu tun“, begründet Herre die Wahl der Standorte. Pläne für weitere Freiflächen habe die Stadt nicht.
Für den Sprayer Howii reicht das bestehende Angebot nicht aus: „Was die Stadt zur Verfügung stellt, ist für das, was wir Sprayer brauchen, ein Witz.“ Er kennt sich aus in der Heidelberger Szene. Früher war er selbst aktiv, heute klappert er Bahnstrecken ab und teilt Fotos auf seiner Facebook-Seite „Graffiti in Heidelberg“. Auch die Breidenbach Studios, ein Fixpunkt in der Heidelberger Kreativ- und Kulturszene, finden die Möglichkeiten für Straßenkünstler in Heidelberg begrenzt. „Es fehlt an freien Flächen und Experimentierräumen“, erzählt uns die Mitbegründerin Shiva Hamid. Zusammenarbeit mit der Stadt sei ihnen wichtig: „Wir sind total auf Kooperationskurs mit der Stadtverwaltung. In unseren Augen bringt es wenig, immer nur zu sagen, was nicht gut läuft. Vielmehr wollen wir dazu beitragen, dass Dinge besser funktionieren“, und fügt hinzu: „Straßenkunst ist eine eher junge Kunstgattung und wird von der breiten Öffentlichkeit noch nicht akzeptiert oder honoriert.“ Straßenkunst bezeichnet verschiedene Kunstformen im öffentlichen Raum. Klassisches Graffiti hingegen meint Schriftzüge. Zu denen gehören auch Tags, die unterschriftartigen Kürzel von Sprayern. „Ich glaube, dass die Stadt Graffiti nicht als Kunst anerkennen möchte. Oder nicht als Kunst im Stadtzentrum haben möchte, weil sie keinen Bock auf die Tags haben. Die landen automatisch dort, wo es auch Graffiti gibt“, sagt Howii.
Im legalen Rahmen versuchen Institutionen wie das Metropolink-Festival, den Heidelbergern Straßenkunst schmackhaft zu machen. Das Festival für urbane Kunst bietet Street Artists eine Plattform und vermittelt Flächen, die dann von ausgewählten Kunstschaffenden gestaltet werden. Gefördert wird das Festival von der Stadt Heidelberg. „Das Festival hat es geschafft, die Wertigkeit von Straßenkunst in Heidelberg enorm zu steigern. Davor wurde das Meiste von der Öffentlichkeit eher als Kritzeleien und Schmierereien abgetan“, so Hamid. Auch Volkova ist ein Fan des Metropolink – erlaubt es ihr doch, in der Adenauerunterführung weiter zu malen: Nachdem die Polizei informiert wurde, fand man eine Lösung und ihre Malereien wurden nachträglich ins Metropolink-Festival aufgenommen und damit legalisiert. „Die Stadt hat aufgrund der sichtbar hohen Qualität der Arbeiten den Leiter des Metropolink-Festivals Pascal Baumgärtner um seine Meinung gebeten. Seine Einschätzung, dass die Arbeiten künstlerische Qualität haben, war für die Stadt sehr wichtig. Damit die Kunst von Frau Volkova vorerst bleiben kann, wird die Unterführung nun ein Teil des Metropolink-Festivals“, so Herre.
Allerdings ist das Metropolink-Festival in der Heidelberger Graffiti-Szene nicht unumstritten. Die Sprayenden kritisieren, dass das Festival ausschließlich Streetart und kein klassisches Graffiti zeige. Zusätzlich werde die gezeigte Kunst kommerzialisiert und verfehle ihren eigentlichen Sinn. Vor allem aber unterstütze die Stadt immer dann Straßenkunst – wie im Rahmen des Metropolink-Festivals – wenn sie sich dadurch profilieren und einen abstrakten Nutzen ziehen könne. Straßenkunst gelte als jung und cool – und die Stadt beanspruche dieses Bild für sich.
Die nachträgliche Legalisierung von Volkovas Werken sieht das Kollektiv Kunstmonster kritisch. „Ist es auch Kunst, wenn wir es tun?“, hatte die Gruppe mit roter Sprühkreide auf eine der Wände neben die Werke Volkovas gesprüht. Kaum war das Graffito da, wurde es von der Stadt entfernt. Howii hat eine klare Meinung dazu: „Zeig mir ein Graffito, das nachträglich legalisiert wurde. Du wirst keines finden.“ Der Konflikt bestehe nicht zwischen den Sprayenden und anderen Künstlern wie Marina Volkova, sondern mit der Stadt; zwischen legalem und illegalem Graffiti. Illegal sei Kunst dann, wenn sie nicht gewünscht sei: „Der Besitzer vom Grundstück hat ein Problem damit, dass es da ist. Er möchte es einfach nicht. Ich kann es auch nachvollziehen. Wenn ich als Hausbesitzer meine Fassade schön gestrichen habe und ein Idiot kommt und taggt mir irgendwas dran, finde ich das auch nicht geil. Aber das ist halt Graffiti. Das gehört mit dazu.“
Dass es in diesem Konflikt einen Kompromiss geben wird, hält Howii für ausgeschlossen. Eine wirkliche Lösung könne nur die vollständige Legalisierung von Graffiti bringen: „Du kannst noch so viele Graffiti-freiflächen in die Stadt stellen – die einzige Möglichkeit ist es, Graffiti freizugeben und zu sagen ‚Pech gehabt für die Hausbesitzer‘. Das wird nicht passieren und somit wird es immer legales und illegales Graffiti geben. Es ist die Freiheit der Kunst, überall zu malen, wo ich gerade Lust habe.“
Auch Marina Volkova ist sich sicher: „Die Leute gehen nicht in Vernissagen. Sie gehen spazieren, arbeiten, einkaufen. Sie kommen für ein paar Minuten lang in Kontakt mit Kunst – mit einer offenen Galerie. Das berührt Leute.“ Bis zum Sommer wird Marina Volkova in der Adenauerunterführung weiter malen. Dass ihre Outdoor-Leinwand im Rahmen des Metropolink von anderen übermalt werden wird, freut sie. Ihr Projekt wird weiterleben, und die Künstler Heidelbergs werden eine wertvolle Fläche gewonnen haben.
Von Eylül Tufan und Hannah Steckelberg