Das Computerspiel „Not Tonight“ spekuliert in einem düster-dystopischen Szenario über die Folgen des Brexit. Mit rabenschwarzer Polit-Satire setzt es neue Akzente in der Videospielbranche
Wir schreiben das Jahr 2018. Großbritannien befindet sich im Griff der totalitären rechten Partei „Albion first“. Diese hat sich voll und ganz dem selbsterklärten Ziel verschrieben, den Brexit in der konsequentesten nur möglichen Weise zu einem Ende zu führen. Für unsere Spielfigur, die auf teilweise festlandeuropäische Wurzeln zurückblicken kann, verheißt das natürlich nichts Gutes. Ihr Name wird kurzerhand durch die praktische Nummer #112 ersetzt und sie wird aus ihrer Heimatstadt in den mehr oder weniger einladenden Block B umgesiedelt. Mit ihrem neu zugewiesenen Job als Türsteher muss sie nunmehr mindestens 30 000 Pfund im Jahr erwirtschaften. Leistet #112 diesen Maßnahmen Folge und erweist sich als produktiv, winkt die Chance im Vereinigten Königreich bleiben zu dürfen.
An dieser Stelle setzt die Handlung von „Not Tonight“ ein. Man beginnt mit der Arbeit als Türsteher bei kleineren Clubs und Diskotheken. Die Spielmechanik ist dabei denkbar simpel und wandelt sich im weiteren Verlauf nicht wesentlich. Es gilt, Ausweise zu kontrollieren und den Personen daraufhin entweder Einlass zu gewähren oder sie abzuweisen. Das Ganze natürlich in begrenzter Zeit.
Was sich hingegen ändert, ist der Schwierigkeitsgrad. So kommen von Mal zu Mal mehr Merkmale hinzu, die beachtet werden müssen, zum Beispiel gefälschte Pässe oder Dresscodes. Zusätzlich eröffnet sich die Möglichkeit, Bestechungsgelder zu kassieren oder Drogen zu verkaufen. So lassen sich die Taschen weitaus schneller mit Geld füllen, als die ehrliche Arbeit es eigentlich erlauben würde. Erwischen lassen sollte man sich dabei allerdings nicht, denn auch das kann recht unversehens zur Abschiebung führen. Flankiert wird dies zusätzlich von einigen Rollenspielelementen. So lassen sich Ausrüstung, Apartment sowie der Spielcharakter leveln und mit dem verdienten Geld anpassen.
Das Spielprinzip ist somit gleichermaßen von einer gewissen Monotonie wie auch von Stress durch die ständige zeitliche Begrenzung geprägt. Auf rein spielmechanischer Ebene steigern sich deshalb Spannung und Anspruch nur durch eine Erhöhung von Zeitdruck und Anzahl der zu berücksichtigenden Merkmale – die banalste Art, dieses Ziel zu erreichen. Auch wenn ein gewisser Suchtfaktor nicht zu leugnen ist, wäre etwas mehr Abwechslung in den knapp zehn Stunden Spielzeit, die „Not Tonight“ bietet, doch wünschenswert gewesen.
Versteht man besagten aktiven Teil aber mehr als Mittel, die Handlung voranzutreiben, wird die Qualität dieses Computerspiels deutlich. Widerstand formiert sich gegen das rechte Regime, das darauf nur mit verstärkter Repression zu reagieren weiß. Immer wieder kommt es zu Terroranschlägen von Untergrundkämpfern und immer wieder wird der Spieler vor die Entscheidung gestellt, entweder die Widerständler zu unterstützen oder sich dem Druck des Regimes zu beugen.
Das politische Klima schlägt sich nicht zuletzt in der zwischenmenschlichen Kommunikation nieder. So spricht beispielsweise die Allgemeinheit der Briten von Personen festland-europäischer Abstammung schlicht als „Euros“. Der Officer, der #112 persönlich überwacht, bevorzugt hingegen „Krauts“ oder „Froggies“, insbesondere wenn er ihm mit Abschiebung in sein angebliches Heimatland droht. Diesen einmal mehr, einmal weniger latenten Rassismus in den Dialogen könnte man als grotesk abtun, lässt man die aktuellen politischen Entwicklungen außer Acht. Unter diesem Gesichtspunkt wird ihnen hingegen mehr der Charakter einer unangenehm treffenden Satire zuteil.
Eine Satire, die sich auch immer wieder in der überbordenden Detailverliebtheit von „Not Tonight“ äußert. Auf einem Schild kann der aufmerksame Spieler zum Beispiel beobachten, dass das „Continental Breakfast“ kurzerhand aus den britischen Cafés verbannt wurde. Statt importiertem Rotwein genießt man nun „Dorseto“ aus der namensgebenden Grafschaft Dorset, der so gut schmeckt wie das britische Wetter es vermuten lässt. Auch der Besitz von billigen schwedischen Möbeln kann problemlos den Ausschlag für ein ungünstiges Gerichtsurteil geben.
Die größte Leistung von „Not Tonight“ liegt aber nicht in der Ausgestaltung von Handlung und Szenario, sondern darin, dass es Politisches zu seinem Inhalt macht. Wenige Computerspiele haben das bisher gewagt, obwohl diese Praxis in anderen Kunstformen eigentlich Gang und Gäbe ist.
Ein Spiel, das den Mut beweist, starke Aussagen in der politischen Sphäre zu tätigen, könnte neue Impulse in der gesamten Branche setzen und sich als Schritt dahingehend erweisen, Computerspiele als ein gesellschaftlich anerkanntes, durchaus künstlerisches Medium neben Musik, Film und Literatur zu etablieren.
Von Matthias Luxenburger