Schon lange gehen Heidelberger für eine humane europäische Flüchtlingspolitik auf die Straße. Ihr Engagement zeigt im aktuellen Beschluss des Gemeinderats Wirkung
Seit Beginn des Jahres sind 2000 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer gestorben. Das dokumentierte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR in seiner aktuellen Statistik. Angesichts dieser Situation brachte die Fraktion der Linken und Piraten sowie die SPD einen Antrag in den Heidelberger Gemeinderat ein, über den die Abgeordneten Ende Oktober abstimmten. Es müsse „intensive politische Anstrengungen geben, die Situation im Mittelmeer zu lösen, bis es eine europäische Gesamtlösung gibt”, vermerkt die dazugehörige Beschlussvorlage. Die Entscheidung der Abgeordenten war beinahe einstimmig. Somit ist Heidelberg nun auf einer Karte von „solidarischen“ Städten verzeichnet. Diese erklärten sich bereit, Bootsgeflüchtete aufzunehmen.
Die Entscheidung macht die Stadt nicht unmittelbar zu einem sprichwörtlich sicheren Hafen. Sahra Mirow, Stadträtin und Fraktionsvorsitzende der Linken zieht hierbei das Fazit, dass die Abstimmung in erster Linie „ein Signal und ein Beitrag in der aktuellen Situation” sei. Auch Mia Lindemann, die sich im Bündnis Seebrücke engagiert, findet, dass nun noch kein Idealzustand geschaffen worden sei.
Die Vorsitzende des Asylarbeitskreises weiß von den Bemühungen zu berichten, die der Abstimmung vorausgingen. „Die Geschichte dieses Antrags geht zurück auf eine Initiative des Asylarbeitskreis vom Juni dieses Jahres.” Im August wurde Lindemann selbst Teil der Seebrücke. Das bundesweite, dezentrale Bündnis forderte unter anderem durch eine Petition, die im September anlief, politische Handlungen ein. Dessen Anliegen lässt sich in kurzen Punkten zusammenfassen, erklärt Elisa Stowe, die seit längerer Zeit neben ihrem Studium ehrenamtlich aktiv ist: „Die Seebrücke forderte von Anfang an sichere Fluchtwege und die Entkriminalisierung von Seenotrettung.“ Weiterhin beobachte sie, dass sich diese Forderungen derzeit auf lokaler Ebene konkretisieren, wenn sich Menschen fragten, was jene für ihre eigene Stadt bedeuten. Sigrid Zweygart-Pérez ist Pfarrerin und Seelsorgerin im Patrick-Henry-Village. Sie begann sich im Bündnis zu engagieren, weil sie “schockiert war, dass man ernsthaft in Zweifel zieht ob man Menschen in Seenot retten sollte.”
In Bezug auf die Gemeinderatsentscheidung gibt Zweygart-Pérez zu bedenken, dass es nun zu Unklarheiten kommen kann. Auf keinen Fall dürfe man nun missverstehen, „dass die Menschen von den Booten direkt nach Heidelberg transportiert werden und dann ist alles gut.“ Das Asylverfahren und die Prozedur der Aufnahmezentren müssen in jedem Fall durchlaufen werden.
„Heidelberg ist ja derzeit ‚befreit‘, was eigentlich ein schrecklicher Ausdruck ist”, erklärt Zweygart-Pérez weiter. Bisher war die Stadt von der kommunalen Aufnahme von Geflüchteten ausgenommen. Grund dafür ist das Ankunftszentrum im Patrick-Henry-Village. Im Jahr 2014 wurde das Zentrum als Notunterkunft gegründet und sollte bis zu 2000 Menschen Platz bieten. Seither dient es der Registrierung und kurzzeitigen Unterbringung von Asylsuchenden, bis sie auf Städte und Regionen in Baden-Württemberg aufgeteilt werden. Die Verteilung wurde vorgenommen, obwohl es in Heidelberg ausreichend Kapazitäten zur Aufnahme gäbe. Das Land jedoch setzte auf das System der Registrierzentren. So wurden kleinere Orte im Landkreis hingegen oft mit der Unterbringung von mehreren Hundert Geflüchteten beauftragt. Zweygart-Pérez kritisiert: “Wir haben zum Beispiel in Handschuhsheim eine neugebaute Flüchtlingsunterkunft, die steht leer.”
Der aktuelle Beschluss könnte dieser Ungleichheit entgegenwirken. Bevor es jedoch zu solchen konkreten Schritten kommt, wird Zeit vergehen. Denn Heidelberg kann nicht selbst entscheiden, wie viele Menschen es bereit ist aufzunehmen. Die Verteilung läuft über den sogenannten „Königsberger Schlüssel“ auf Bundes- und Länderebene. „Ob tatsächlich Menschen kommen können, das hängt leider nicht von uns ab“, räumt Mirow dazu ein. Im Prinzip aber sei die Stadt in Hinblick auf Integrationsmöglichkeiten, wie Sprachkurse, gut aufgestellt.
Beim Thema des bezahlbaren Wohnraums und der Unterbringung außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften, bleibe dennoch einiges zu tun. Das findet auch Lindemann: „Wir fordern, dass die Stadt mehr bezahlbaren Wohnraum schafft.“ Dabei sei es gerade in einer Stadt wie Heidelberg wichtig, derartige Probleme, von denen beispielsweise auch Studierende betroffen sind, nicht gegeneinander auszuspielen. Auch Elisa möchte Initiativen, wie das neu gegründete Wohnraumbündnis, von der Arbeit für Geflüchtete nicht getrennt betrachten. Man müsse „Handlungsstränge zusammenführen“. Trotz dieser Herausforderungen ist der Tenor hoffnungsvoll. „Heidelberg ist eine reiche Stadt mit vielen Aktiven in den Sozialverbänden, in den Kirchen und in den ehrenamtlichen Vereinen. Hier gibt es viele Menschen, die den vor Krieg und Verfolgung Geflohenen helfen können und wollen“, resümiert auch Mirow.
Zunächst bleibt abzuwarten, inwiefern sich der Gemeinderatsbeschluss konkretisieren und umsetzen lässt. Mit der Entscheidung über den Antrag ist kein Ziel erreicht worden, darin sind sich die meisten Akteure einig. Vielmehr gilt es für sie nun, verschiedene Ansätze und Ressourcen zusammenzubringen.
Von Nele Bianga