„No hay presupuesto para la educación!” – Kolumbiens Studierende fordern mehr Geld für öffentliche Universitäten
Seit drei Monaten gehen die Studierenden der öffentlichen Universitäten Kolumbiens nun auf die Straße, vereint in einem gemeinsamen Schrei: „No hay presupuesto para la educación!“ – „Es gibt kein Budget für Bildung!“ Die Unterfinanzierung öffentlicher Hochschulbildung wird immer dramatischer, doch die Regierung sieht keine zusätzlichen Mittel für diese vor. Angesichts dieser unhaltbaren Situation haben sich die Studierenden organisiert. Um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen, haben sie die Straßen und den öffentlichen Raum eingenommen. Es ist ein Moment, in dem ein Geist des Widerstands gegen die bestehenden Machtverhältnisse in Kolumbien zurückkehrt.
Öffentliche Bildung ist in Kolumbien bereits seit der Schaffung des Gesetzes 30 (Ley 30) von 1992 unterfinanziert. Mit dem vermeintlichen Ziel der „Demokratisierung“ der Bildung hat das zugrundeliegende Modell zu einem Bruch zwischen dem Staat und den Universitäten geführt. Gekennzeichnet wird dieser durch staatliche Deregulierung. So ist ein Hohlraum im Bildungssystem entstanden, zurückgelassen von einem durch Klientelismus geschwächten Staat und Institutionen, die missionarisch die Anpassung der Bildung an eine Marktlogik des Angebots und der Nachfrage betonen. Eine Bildung, die den sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft kaum gerecht wird. Unter diesem System wurde die Universitätsautonomie als Autonomie der Finanzierung verstanden, also als Fähigkeit, eigene Ressourcen zu generieren. Diese Arbeit im Interesse des Finanzkapitals führt zum Identitätsverlust der Universitäten. Sie steht im Gegensatz zur Erweiterung von Diskussionsräumen und verhindert es, Wissen wieder in seiner ursprünglich freien, gemeinschaftlichen Form zu produzieren. Zudem entstand mit dem Gesetz das Problem der universitären Akkreditierung. Da diese freiwillig ist, müssen die Universitäten eigene Mittel einsetzen, um die Standards des Bildungsministeriums einzuhalten. Die Verwaltung des ohnehin knappen Budgets wird so noch weiter erschwert.
Zudem steht die Einhaltung der Standards im Konflikt mit der Unabhängigkeit der Lehrstühle, da für diese bestimmte Inhalte gestrichen werden müssen. Das Problem der Hochschulbildung Kolumbiens, die zu geringe Abdeckung der größten Teile der Gesellschaft, gerade der „Clases Populares“ (wie „Arbeitendenklasse“, umfasst aber auch Bauern und Bäuerinnen und andere marginalisierte Gruppen), sollte durch das Ley 30 gelöst werden. Dafür sollte das Angebot erweitert werden. Diese Erweiterung hat jedoch nicht die öffentliche, sondern vor allem die private Universität gefördert und begünstigt. Während sich heute immer mehr junge Menschen an Hochschulen einschreiben wollen, wird die Zugangsquote immer knapper.
Die Struktur des Gesetzes hat die steigenden Betriebskosten der Universitäten nicht einkalkuliert. Dadurch haben sich die jährlichen Defizite der staatlichen Universitäten immer weiter angehäuft. Die kumulierten Defizite, die zu Beginn der studentischen Mobilisierung der 32 staatlichen Universitäten des Landes rund 486 Millionen Euro ausmachten, steigen Jahr für Jahr an. Ein Wille der Regierung, zur Tilgung dieser beizutragen, ist nicht zu erkennen. Dahinter befindet sich die Logik eines Staates, welcher nicht willens oder in der Lage ist, gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. Unter dieser steht auch die parallel geplante Steuerreform der aktuellen Regierung, die unter anderem vorsieht, Grundnahrungsmittel für alle Kolumbianer*innen höher zu besteuern. Diese war Mitauslöser für die Mobilisierung der Professoren und Professorinennen und Mitarbeitenden der Universitäten, die gemeinsam mit dem Studierendenstreik begann. Dieser hat dazu beigetragen, dass die Bewegung in den letzten Tagen zu einem Bürgerstreik angewachsen ist. Hier zeigt sich, dass die Studierendenbewegung auch mit anderen bedeutenden Problemen in Zusammenhang steht, von denen die gesamte Bevölkerung betroffen ist. Für die Umsetzung ihres Kampfes haben die Studierenden sich innerhalb der UNEES (Unión Nacional de Estudiantes de Educación Superior) organisiert. Dies ist eine breite Plattform, die sich von den institutionalisierten Formen der studentischen Organisation verabschiedet hat und stattdessen durch Versammlungen die direkte Beteiligung der gesamten Studierendenschaft anstrebt. Bei ihren Treffen werden Vorschläge ausgearbeitet, die sich mit den nationalen Bedürfnissen der Hochschulbildung und ihrer Umsetzung befassen. Basierend auf dem Konsens der einzelnen Versammlungen werden dann gemeinsame Forderungen formuliert, die weitgreifend Anklang finden.
Der Protest der Studierenden durch Demonstrationen, Versammlungen und Sitzstreiks wird zahlreich unterstützt. Aufgrund der resultierenden Befürchtungen der Regierung werden diese Aktionen massiv unterdrückt. Um die Stimme der Studierenden verstummen zu lassen, verletzen Polizei und ihre Deeskalations-Trupps wiederholt Menschenrechte. Doch der Protest bleibt trotzdessen bestehen und stellt weiterhin seine Forderungen an den Staat, welcher den Dialog mit der UNEES bisher verweigert hat. Der Kampf der studentischen Bewegung in Kolumbien zeichnet sich durch die Konfrontation mit Macht und Herrschaft aus. Er bildet einen Widerstand gegen den Neoliberalismus und seine Folgen für das Bildungssystem. Diese zeigen sich in der zunehmenden Unterwerfung der universitären Arbeit zugunsten privater Interessen mit produktionsorientierten Prinzipien. Die neoliberale Politik, die sich an einem weltweit implementierten Entwicklungsmodell orientiert, und die dadurch mangelnde Finanzierung stellt sowohl lokal als auch global eine große Bedrohung dar. Im Widerstand gegen diese vereinen sich die Kämpfe der Studierenden mit denen anderer sozialer Bewegungen in Kolumbien. Gemeinsam werden sie weiterkämpfen.
Von Mitgliedern der Studierendenversammlung der philosophischen Fakultät der Universidad de Antioquia in Medellín.
Übersetzt von Henrik Bünemann, Student in Mannheim und derzeit im Auslandssemester in Kolumbien.