Die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit rückt in Heidelberg zunehmend in den Fokus, zuletzt mit einem Stadtrundgang am 24. November. Sollten kolonialgeschichtlich belastete Straßennamen umbenannt werden?
Ja, ich halte das für sehr wichtig. In vielen deutschen Städten finden wir Straßen, die nach Kolonialverbrechern benannt wurden oder rassistische Begriffe enthalten. Dadurch werden Kolonialverbrecher geehrt und rassistische Traditionen aufrechterhalten. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Straßennamen, mit ihrer Geschichte und mit dem Kontext ihrer Benennung ist daher unumgänglich. Dadurch entstehen auch neue Debatten in der Gesellschaft über die fehlende kritische Aufarbeitung der deutschen Beteiligung am Kolonialismus. Es gibt viele Organisationen und Verbände von Schwarzen Deutschen, die sich mit der Umbenennung auseinandersetzen. So gelang es in Berlin, das Gröbenufer, benannt nach einem Befürworter und Beförderer des Sklavenhandels, in das May-Ayim-Ufer, eine Schwarze deutsche Dichterin und Aktivistin, umzubenennen. Das ist sehr bestärkend für die Schwarze Community und eröffnet neue Perspektiven im Stadtbild.
These 1: Mit der Benennung einer Straße nach einer Person ist in erster Linie eine Würdigung verbunden.
Mit der Benennung einer Straße nach einer Person ist eine Würdigung verbunden, die sehr viel aussagt über die Zeit, in der wir leben. Genauso über diejenigen, die eine Stimme haben, die gehört wird und über die Perspektiven, die im öffentlichen Diskurs zugelassen werden. Das ist ja gerade das Problematische daran, wenn wir in den Städten so viele Straßen haben, die nach Menschen benannt sind, die im Kolonialismus eine tragende Rolle gespielt haben. In Berlin hat die „NGO-Straßeninitiative“ 70 Straßen und Plätze mit kolonialem Bezug recherchiert. Der öffentliche Raum ist ein gemeinsamer Raum. Was für ein Signal ist das an Schwarze Deutsche, wenn sie sehen, dass Kolonialverbrecher geehrt werden und Persönlichkeiten des antikolonialen Widerstandes überhaupt keine Erwähnung finden?
These 2: Für eine Umbenennung reicht es nicht aus, dass sich eine Minderheit diskriminiert fühlt.
Ich möchte in einer Gesellschaft der Vielen leben, in der niemand diskriminiert wird. Dazu gehört ganz klar ein gemeinsamer öffentlicher Raum, der frei ist von rassistischen oder kolonialen Bildern und Traditionen. Darüber hinaus müssen wir uns auch fragen, mit welchen Vorbildern wir aufwachsen. Wenn Personen öffentlich geehrt werden, die für schlimmste Verbrechen verantwortlich sind, dann betrifft das nicht nur eine sogenannte „diskriminierte Minderheit“, sondern die gesamte Gesellschaft, in der ein Teil schlichtweg nichts (mehr) über die koloniale Vergangenheit weiß und ein anderer Teil die kolonialen Verbrechen relativiert, verleugnet oder gar toll findet. Gerade heute, in einer Zeit, in der rechte populistische Kräfte an Zuspruch gewinnen, spielt es eine große Rolle, wem wir einen öffentlichen Vorbildcharakter zusprechen und wem nicht.
These 3: Die Umbenennung einer Straße ist ein unverhältnismäßig großer organisatorischer Aufwand.
Nein, denn damit setzen wir einen Prozess in Gang, der längst überfällig ist. Es fehlt an gründlicher Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte ist ein zentraler Aspekt hinsichtlich der Überwindung von strukturellem Rassismus. Das Argument, die Umbenennung von Straßen sei mit einem zu großen Aufwand verbunden, ist meist scheinheilig. Ein erster Schritt, zumindest Schautafeln aufzustellen, die den historischen Kontext erklären, wird ebenso meist abgelehnt. Dabei wäre das mit wesentlich weniger Aufwand verbunden. Die Debatte ist daher oft sehr kräftezehrend. Die Frage ist immer, was der tatsächliche Aufwand ist. Wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der wir eine Spaltung haben, rassistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet wird und Diskriminierung stattfindet, dann kostet das den gesellschaftlichen Frieden. Die Straßenumbenennung ist ein kleiner Beitrag.