In Andalusien zieht eine rechtspopulistische Kleinstpartei ins Parlament ein. Der Aufschrei ist groß, kommt aber zu spät
Ein Bericht von Mario Wolf (21), Student in Heidelberg und derzeit im Auslandssemester in Granada in Andalusien.
Montagmorgen ist ein Zeitpunkt, der in Spanien besonders unbeliebt ist. Sonntagabend wird wie Freitag und Samstag genutzt, um auf Tapas und Cerveza das Wochenende ausklingen zu lassen. Entsprechend wenig begeistert wird dem nächsten Arbeitstag entgegengeblickt. Dieser Montagmorgen, am 3. Dezember jedoch reißt einige müde Augen aus der morgendlichen Lethargie: Die Morgenpresse verkündet den Ausgang der Landeswahlen Andalusiens. Die seit vierzig Jahren sicher geglaubte linke Mehrheit gehört der Vergangenheit an. Die ultrarechte Kleinstpartei VOX hat elf Prozent und damit zwölf der 109 Sitze im Parlament errungen.
Zum ersten Mal in der Geschichte der jungen Demokratie Spaniens schaffte eine rechtsextreme Partei den Einzug in ein Landesparlament. Es ist eine Wahl, der eigentlich wenig Beachtung und noch weniger Wahlkampf gewidmet wird. Und doch steht am Ende ein Ergebnis, das allen bis dahin im Parlament vertretenen Parteien ein bitteres Zeugnis ausstellt: Die Partei, die als einzige keine andalusische, sondern eine spanische Fahne auf ihren Wahlplakaten abbildet, hat aus dem Stand den Einzug in das Landesparlament geschafft. Damit wird das Parteiensystem Spaniens weiter fragmentiert.
Die Folgen der europäischen Bankenkrise der Jahre 2007/8 und der dadurch entstandenen Schuldenkrise waren in Spanien besonders schwerwiegend. Die politischen Reaktionen waren im europäischen Vergleich untypisch: die Gründung der linken Partei Podemos. Vor allem kreative Social-Media-Kampagnen und die Botschaft eines Wirtschaftssystems in Einklang mit der Würde des Menschen kamen bei Wählern jedes Alters gut an. Der Einzug in Landes- und Bundesparlament folgte. Eine Hürde, die nun auch VOX nahm.
Die nationalkonservative Partei wurde von vielen als Kleinstpartei verlacht. Das Wahlprogramm für die andalusische Regionalwahl jedoch beinhaltet teilweise extreme Forderungen, die an Verfassungsfeindlichkeit grenzen. Im stark zentralistischen und nationalistischen Programm fordert die Partei die Abschaffung vieler der Autonomierechte der spanischen Regierung. Dazu kommen die typischen Feindbilder und Narrative europäischer Rechtspopulisten, von der Bedrohung des Abendlandes durch den Islam und Immigration. Besonders paradox wirkt diese Forderung, wenn man bedenkt, dass es ebenjene Einwanderer sind, die unter unmenschlichen Konditionen und Hungerlöhnen in den Großplantagen Andalusiens schuften. Ob die Partei diese Jobs wirklich für ihre patriotischen Wähler zurückholen möchte, bleibt zu bezweifeln. Eine weitere Besonderheit liegt in der Forderung, die Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung im Land zurückzunehmen. Ein Gesetz zum besonderen Schutz von Frauen in der Ehe ist der Partei ein Dorn im Auge. Spanien ist in der europäischen Spitzengruppe für Gewalt an Frauen.
Entsprechend groß war der Aufschrei unter der zu großen Teilen linksgerichteten und feministischen Studierendenschaft in Andalusien: Schon am Tag nach der Wahl kam es zu spontanen, antirassistischen Protestzügen und studentischen Besetzungen von öffentlichen Plätzen. Auch in den Wochen nach der Wahl hielt der milde Winter Südspaniens die sonnenverwöhnten Studenten nicht von der Organisation von Massenkundgebungen gegen VOX ab.
Wie konnte es bei so viel Protest und Entsetzen nach der Wahl überhaupt zu einem solchen Ergebnis kommen? Eine Teilantwort liefert sicherlich die niedrige Wahlbeteiligung von gerade mal 56,4 Prozent. Vor allem die Studenten haben sich vielfach nicht an der Wahl beteiligt. Gleichzeitig sind viele Wähler der amtierenden sozialdemokratischen PSOE wegen eines großen Korruptionsskandals in der Regierung nicht an der Wahlurne erschienen. Ein weiterer Faktor könnte die in Spanien wenig aufgearbeitete Vergangenheit der Franco-Diktatur sein, nach der sich die Mitglieder von VOX heimlich ein Stück weit zurücksehnen. Dadurch erscheinen die kontroversen Rufe nach einem nationalistischen Zentralstaatsapparat zunächst nicht so erschreckend. Zu allem Überfluss ergibt sich aus dem Ergebnis und der resultierenden Sitzverteilung keine Mehrheit für das gemäßigt konservative Lager. So sind es ausgerechnet die Stimmen von VOX, die der konservativen Regierungskoalition aus der mittig-rechten „Partido Popular“ und der liberalen „Ciudadanos“-Partei die Mehrheit sichern. Sie hatten mit besonders rechtsgerichteten Rhetorik versucht, die Stimmen der Ultrakonservativen in Andalusien einzufangen.
Erst in den kommenden Wahlen in Spanien wird sich zeigen, welche Parteien wem den Steigbügel für mehr Beteiligung in Regierungen und Parlamenten gehalten haben.