Welche Probleme und Chancen sehen die Heidelberger in Europa? Eine Reflexion über die Stimmung auf der Hauptstraße
Dass bald Europawahl ist, sollte nun jede und jeder mitbekommen haben. Was daran so besonders ist aber wohl nicht unbedingt. „Diese Wahl wird eine Historische sein“, so hört man Stimmen, die eine Krise der EU beschwören. Nun stellt sich uns allen die Frage: Lassen wir Nationalismus und Populismus überhandnehmen und unsere Gemeinschaft zerrütten, oder stehen wir mit unserer jungen Generation zusammen für ihren Weitererhalt ein?
So stabil, sicher und selbstverständlich wie die EU für uns alle immer schien, ist sie nicht mehr. Wir stehen vor vielfältigen Problemen, die es zu lösen gilt. Ob man nun das Demokratiedefizit, den intransparenten Lobbyismus, den Elitarismus, oder die fehlende Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern anspricht, es entsteht keine konstruktive Diskussion und man findet keine gemeinsame Position. Es fehlen hilfreiche Reformvorschläge, Zukunftsvisionen und ein Neudenken der Union.
Wenn es darum geht, neue Ideen und Konzepte zu entwickeln und unser Zusammenleben neu zu organisieren, kommen junge Menschen ins Spiel. Zuletzt konnten sie bei den Fridays for Future-Demos sowie bei den Protesten gegen Artikel 13 und 17 eine internationale Bewegung lostreten und beweisen, dass sie nicht so unpolitisch sind, wie es ihnen immer vorgeworfen wird. Es sind viele Anliegen, die Jugendliche an die EU haben, denn sie sind von vielen Gesetzen betroffen.
Nun ist es leider Realität, dass sie unterrepräsentiert sind, während die ältere Bevölkerung überrepräsentiert ist. Die Wahlbeteiligung ist zwar allgemein niedriger als bei nationalen Wahlen, doch vor allem ist sie das bei den jüngeren Jahrgängen. Sie kommen seit 1999 nicht mehr über die 40 Prozent. Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit im südlichen Europa oder wenig zukunftsorientierte Gesetzgebung frustrieren und schrecken junge Wahlberechtigte ab.
Trotzdem gibt es viele Bereiche, in denen junge Menschen von der EU profitieren können. Denkt man beispielsweise an das Erasmus-Programm oder eine Aktion, bei der an gerade volljährig gewordene EU-Bürgerinnen und Bürger Interrail-Tickets verschenkt wurden, gewinnt man den Eindruck, dass es viele Angebote gebe, die Jugendliche nah an Europa und nah an den Wahlurnen halten sollten. Muss also noch mehr getan werden?
Womöglich muss die Bedeutung der EU für uns nochmal stärker betont werden. Auch wenn wir mit ihr groß geworden sind und es nicht anders kennen, sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es sich um ein einmaliges Phänomen handelt und wir alle von diesem gemeinsamen Projekt lernen und profitieren können. Gerade uns jungen Menschen bietet sich gerade eine Chance: Die Union ist im Aufbruch in eine neue Ära, es wird sich erst zeigen, in welche Richtung sie sich entwickeln wird und wir können mitgestalten. Selbst wenn die EU immer so weit entfernt scheint, sollten wir nicht ignorieren, welch große Auswirkungen unsere Stimmen an der Wahlurne haben könnten, wenn wir sie denn nutzen.
Es wäre zu schade, das Schicksal der Europäischen Gemeinschaft denen zu überlassen, die sie schon immer gestalteten und somit auch nationalistische Stimmen laut werden ließen, die einen Rückzug fordern. Doch die Situation ist nicht so ausweglos wie sie scheint. Es ist heute wichtiger denn je, zu zeigen, dass uns die EU wichtig ist und dass wir sie nicht auseinander brechen lassen werden, und wie geht das besser als an der Wahlurne?
von Xenia Miller
Xenia Miller studiert Politikwissenschaften und Soziologie und schreibt seit Sommersemester 2018 für den ruprecht. Sie schreibt von verkalktem Trinkwasser über Kabarettist*innen und Autor*innen bis hin zu Drachenbootfahren über alles, was sie so interessiert. Herzensthema bleibt natürlich die Politik. Im Wintersemester 19/20 leitete sie das Ressort Weltweit, seit Sommersemester 2020 das Ressort Heidelberg als Doppelspitze.