Ein Blick ins Leben eines Flaschenpost-Lieferanten
Innerhalb von 90 Minuten bequem seine Getränke in die Wohnung getragen bekommen? Dieses Angebot des Online-Getränkemarkts „Flaschenpost“ erfährt nicht nur unter Studierenden große Beliebtheit. Für jeden, der wartet, empfängt und das Schleppen vermeidet, erscheint dies ein überaus angenehmes Prinzip. Aber wie bequem ist das Konzept für die andere Seite? Wie erträglich ist die Schlepperei wirklich?
Jonas, ein ehemaliger Flaschenpost-Lieferant, studiert Jura in Köln. Er verriet, dass mit der Ankunft im Lager die flüssige Fracht schon für seine Kunden vorbereitet wurde. Die tägliche Ankunft und das Verlassen des Lagers blieb allerdings das einzig Routinierte in seinem Arbeitsalltag. Mit dem Starten des Wagens begann eine Tour mit immer neuen Überraschungen. Man wisse nie, ob der Kundenkontakt daraus bestehen wird, Dorffeste zu beliefern, die kein Bier mehr haben, Firmen ihre Getränke zu bringen, oder ob man Einzelpersonen in jeglichen Lebenssituationen in ihrem Hausflur auffindet. Mit einem Lächeln beschreibt er: „Manchmal denkt man sich schon: So hätte ich die Tür jetzt nicht aufgemacht.“
Alles in Allem seien die Menschen hinter der Tür allerdings gerade das, was die Arbeit interessant macht. Im Kontakt erlebte er sie in den meisten Fällen sehr dankbar. „Es gibt Leute, die Hilfe anbieten, und in der Regel habe ich diese auch dankend angenommen, wenn es nicht wenig zu tragen war.“ Der Anblick eines schwitzenden und schleppenden Auslieferers veranlasse viele Kunden, besonders in der sommerlichen Hitze, selbst zu helfen oder gutes Trinkgeld zu geben. Manchmal, so Jonas, war diese Nähe sogar etwas zu viel: Auf der Website des Anbieters lässt sich die Bestellung anhand des Vornamens des Lieferanten nachvollziehen. Ohne jemals selbst etwas bei der „Flaschenpost“ bestellt zu haben, war er zunächst mehr als irritiert, als ihn ein Kunde mit seinem Namen ansprach.
Zwischen Stufen, Skurrilität und körperlichen Strapazen habe er sich zwar ab und an gewünscht, Kunden zufriedenzustellen, indem er Pizza liefert, insgesamt habe er es allerdings nie bereut, diesen Beruf ergriffen zu haben. „Man merkt sehr schnell, wie man fitter wird.“ Die von seinen Kunden vermiedene Schlepperei als bezahltes Workout mache sich demnach auch im Alltag bezahlt. Aufgehört habe er auch lediglich aufgrund eines Umzuges.
Als neue Herausforderung arbeitet er heute in einer Anwaltskanzlei. Sein neuer Job erfordert weniger Stufen, Muskelkraft und Fahrzeit. Dabei bleibt ihm aus seiner Zeit als Flaschenpost-Lieferant eine Fülle an Erinnerungen, Dankbarkeit, Freude, Professionalität und allerlei Seltsames hinter sich öffnenden Türen – jede so individuell wie der klingelnde Lieferant.
Von Paula Binder