Zwischen Staubmilben und religiöser Verzückung entdeckte ein Schmutzfink die Lehren der weisen Prophetin Marie Kondo
Der Bedrohung der internationalen Unordnung treten in unzähligen Formaten selbsterklärte Wohnungsausmister entgegen. Eine von ihnen ist die professionelle Aufräumerin Marie Kondo. Ihr 30-Tage-Programm verspricht Zufriedenheit durch die Restrukturierung des gesamten Besitzes. Hierbei setzt sie ganz bewusst bei dem Aufräumenden an und fragt nach dessen emotionalem Bezug zu seinem Besitz.
Auch ich bin mit den beschriebenen Problemen von überquellenden Regalfächern vertraut. Allein mein letzter Umzug war ein Urwald aus überquellenden Umzugskartons. Stellvertretend für die Fraktion von Unordentlichen entschied ich mich dazu, Marie Kondos Programm (im deutlich reduzierten 7-Tage-Format) zu testen. Also begann ich damit, meine WG zu „kondoen“.
Seit dem 1. Januar dieses Jahres läuft „Tidying up with Marie Kondo“ bei Netflix. Mein Experiment begann am Freitagnachmittag damit, dass ich mir diverse Blogeinträge und besagte Serie zu Gemüte führte. Die erste Folge zeigte Bilder von mittelalten, übertrieben freundlichen amerikanischen Vorstadteltern, die über den alltäglichen Aufgaben von Kindererziehung und Aufräumen in eine Sinnkrise geraten waren. Diese Dokumentation schien mir zunächst nicht vielversprechend. Kondos erster Auftritt wirkte auch wenig seriös. Zwar bin ich als Theologiestudent in meinem Leben bereits mit absonderlichen Formen von Gläubigkeit in Kontakt getreten; jedoch wirkte es dann doch wie Heidentum, mich emotional und spirituell bei meinen „eigenen vier Wänden“ zu bedanken. Kondos Art war aber durchaus unterhaltsam. Zwar schien mir die seltsame Obsession für das Falten von T-Shirts doch etwas obskur, aber nach der dritten Folge dachte ich mir, dass es mir doch wenig schaden könne, einmal selbst zu falten.
Am Morgen des zweiten Tages startete ich zunächst mit mäßigem Tatendrang. Sechs Stunden später war ich jedoch in eine Art Rausch verfallen. In akribischer Kleinarbeit hatte ich meinen gesamten Kleiderschrank ausgeleert, jedes einzelne Stück in der Hand gehabt, mich bei ihm persönlich bedankt und diejenigen Stücke ausgesucht, die in mir ein „Ching“- Gefühl ausgelöst hatten (Das „Ching-Gefühl“ ist das Geräusch, dass ertönen soll, wenn ein Kleidungsstück spontane freudige Ekstase in dessen Besitzer auslöst).
Als ich meinem nach Heidelberg zurückkehrenden Mitbewohner am Sonntagabend von meinen freudigen Erfahrungen des Wochenendes berichtete, schien er wenig angetan, mich die gesamte Wohnung umwandeln zu lassen und meinte, dass ich ihn mit dem „Hippiescheiß“ alleine lassen solle. Vielleicht hatte ich ihn auch mit meinem Anblick verstört, da ich im Geiste meiner spirituellen Aufräumerfahrung dazu übergegangen war, meine alte Yoga-Wickelhose zu tragen und barbrüstig durch meine entstehende Ordnung zu hüpfen. Auch mein soziales Umfeld schien irritiert und quittierte diese „neue Phase“ nur mit einem Augenrollen.
Aber die Frage nach den Einrichtungsgegenständen und ihrem mich glücklich machenden Potenzial begleitete mich die gesamte Woche über. Zwischen Unistress und Aufräumleidenschaft machte ich mich daran, mir jedes einzelnen in meinem Zimmer befindlichen Objektes bewusst zu werden.
Der Dienstag setzte mich dem verstaubten angesammelten Schrott, der sich unter meiner Chaiselongue verschanzt hatte, aus. Mit meinem Chaos konfrontiert, fühlte es sich wie eine Ausgrabung an, verschiedene Schichten meines Besitzes und Zimmers wiederzuentdecken. Mittwoch und Donnerstag vergingen mit der Selektierung meiner nicht geringen Sammlung von Krimskrams. Meinen Freitag verbrachte ich damit, über meine Büchersammlung zu gehen und zu schauen, welches bei mir bleiben könne und welches nicht. Ich brachte es nicht übers Herz, mich von einem einzigen Buch zu trennen. Zunächst dachte ich, dass ich somit das Experiment torpediert hätte. Aber laut dem kondoschen „Ching“-Index ist so etwas erlaubt. Kondos Mission ist es, zu fragen, welcher Gegenstand dem Individuum Freude bereitet. In meinem Falle sind es Bücher. Als mein Selbstversuch zu Ende ging, waren mein Zimmer und ich durch Marie Kondo von viel Krempel befreit. Durch sie habe ich, meiner eigenen Erwartung zum Trotz, ein neues Bewusstsein für meine eigenen vier Wände bekommen und frage mich jetzt öfter, ob ich denn wirklich jeden Schrott zum Zufriedensein brauche.
Von Frederik Kaufmann