Beim „Hip Hop Monday“ im Jugendzentrum Eppelheim hält der Nachwuchs die Subkultur am Leben. Dabei lernen sowohl die Teenager als auch das Team mit- und voneinander
Pfft. Kurzes Innehalten. Gefolgt von einem metallischen Klacken. Zerstreut im Gras liegen Sprühdosen in leuchtenden Farben: Acid, Atom’s Megablast, Slate. Ilya und Steve schütteln die Cans in ihren Händen. Sie setzen erneut an, ziehen dunkelgrüne und graue Linien durch ihr Bild. Getragen vom Wind verteilt sich der Lackgeruch in der Luft. „Brand Wars“ heißt das Piece, an dem die beiden Teenager arbeiten.
„Beim Hip Hop Monday wollen wir den Jugendlichen das Gefühl geben, was zu kreieren. Die Kids sollen ausprobieren. Egal, ob das, was sie machen, richtig oder falsch ist“, erzählt Bryan Vit. Gemeinsam mit Freunden hat der Sprachwissenschaftler den „Hip Hop Monday“ ins Leben gerufen. Weil der Stadt Eppelheim das Geld ausging, blieb das Jugendhaus „Altes Wasserwerk“ montags geschlossen. Sie bot der Gruppe daher die Möglichkeit, an diesen Tagen ein Programm zu gestalten. Seit April dieses Jahres öffnet das Jugendhaus nun immer montags seine Türen für den Hip Hop-Nachwuchs.
„Im Fokus liegt das Machen, nicht Frontalunterricht“, betont Vit. Emceeing, Deejaying, Breakdance und Graffiti Writing – an unterschiedlichen „Workstations“ werden die Jugendlichen kreativ. „Wir wollen einen Raum schaffen, in dem die Vielfalt von Hiphop erfahrbar wird, an dem sie ihre Talente entdecken und weiterentwickeln.“ Ziel sei es, Selbstreflexion zu lernen. Hiphop diene dabei als Werkzeug: Spielerisch lernten die Jugendlichen unterschiedliche Ausdrucksformen zu verstehen und selbst zu nutzen. Darunter Sprache, Bild, Musik, Tanz und Mode. „Es geht darum, Selbstwirksamkeit zu erfahren – und vor allem Spaß zu haben“, fasst Vit es zusammen.
Der Gucci-Panzer und das Fila-Flugzeug ziehen in den Krieg. Steven und Ilya geben ihrem Graffito den letzten Schliff. Mit einem schwarzen Edding bekommt der Soldat drei Streifen auf seine Adidas-Jacke gemalt. „Ilya, pass mit der Farbe auf. Du trägst einen neuen Trainingsanzug“, mischt sich Vit ein. „Warte, ich habe was für dich“, fügt er hinzu und verschwindet im Haus. Schuldig wischt Ilya an seiner Jogginghose herum. Vit kommt mit einem Schutzanzug aus weißem Polyester zurück. Steve grinst: „Viel Spaß mit deinem Ganzkörperkondom.“
Eigentlich sei er ein normaler Betreuer der „Mobilen Jugendarbeit Eppelheim“. Beim Hip Hop Monday sei dies aber anders: „Ich bin sowas wie der große Bruder.“ Aber auch er lerne von den Jugendlichen. „Unser Prinzip ist ‚each one teach one‘.“ Das Motto stehe für gemeinsames Lernen – miteinander und voneinander. Deshalb seien hierarchische Strukturen beim Hip Hop Monday fehl am Platz. Stattdessen suchen das Team und die Jugendlichen gemeinsam nach Lösungen für Alltagsprobleme – und bleiben dabei stets auf Augenhöhe: „Beim Tanzen tauschen wir beispielsweise die Rollen. Die Kids zeigen uns Schritte. Oder wir hören aufmerksam zu, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Für uns hat jede Geschichte das Recht, gehört zu werden.“ Storys haben die Jugendlichen genug zu erzählen. Sie handeln von Freundschaft, Respekt oder dem ersten Herzschmerz.
„Ey, Bryan, komm mal her!“ Aufgeregt läuft Luca in den großen Partyraum. Er hat sich hinter dem Mischpult in Position gebracht, das Mikro in der Hand. Der Beat setzt ein, Luca rappt seinen Text – laut und für alle hörbar. Interessiert strecken die Anderen ihre Köpfe durch den Türrahmen. Nicken zum Beat. Schließlich verklingt langsam der Ton. „Nice!“ Stolz schlägt Luca bei DJ Miki—Leaks ein. Seit den 90er Jahren ist der Heidelberger DJ in der lokalen Szene aktiv. Seit Mai macht er im Rahmen seiner Umschulung zum Erzieher ein zweimonatiges Praktikum bei der Mobilen Jugendarbeit im „Alten Wasserwerk“. Er unterstützt die Teenager dabei, ihre eigenen Songs zu produzieren. Denn im Hip Hop sei es verbreitet, dass alle ihr Wissen teilen. „Und ich lerne von den Jugendlichen, was sie so beschäftigt“, ergänzt er. Heute hätten sie allerdings bessere Möglichkeiten: „Hier gibt es ein Tonstudio. Das gab es zu unseren Zeiten nicht.“ Gebaut haben es die Jugendlichen selbst. Über ein Jahr hat es gedauert, eine Aufnahmekabine zu basteln. Auf einer der Wände glänzt „EPU 214“ in goldener Schrift von einem selbstgemalten Plattenteller. Das Logo haben ebenfalls die Kids entworfen. „EPU steht für ‚Eppelheim united‘ und 214 ist die Postleitzahl von hier“, erklärt Vit. Der erste Track, der im neuen Tonstudio aufgenommen und bei dessen Eröffnung im September 2018 live gespielt wurde, trägt den Titel „JUZ – meine Heimat“. Rapper MOZ und Sängerin SariHa bringen in ihrem Duett zum Ausdruck, wie viel der Jugendtreff ihnen bedeutet: „Unser Haus in rotem Gewand, dir gewidmet diese Strophen aus meiner Hand.“
Rund 20 MCs zählt der Jugendtreff, 170 Musikprojekte haben sie bereits angelegt. Gerade arbeitet der 12-jährige Leon an einem der PCs und bastelt an einem Beat. Er ist noch unzufrieden: „Ist nicht gut geworden.“ „Ne, lass mal laufen“, ermutigt Bryan ihn.
Das Projekt läuft ehrenamtlich. Für Material und Essen ist das Team aber auf Spenden angewiesen – unter anderem durch das Label „360° Records“ von Torch und Toni L., die mit Advanced Chemistry berühmt wurden. Die Heidelberger Hip Hop-Urgesteine seien schon vor 30 Jahren im Alten Wasserwerk aufgetreten. Damit knüpfe der Hip Hop Monday an die Tradition des Hauses an: „Hip Hop war immer da und wird immer hier bleiben. Auf der ganzen Welt gibt es Leute, die Hip Hop als Lebensphilosophie anwenden. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Idee und die damit zusammenhängenden Praktiken und Einstellungen hier weitergelebt werden.“
Am Abend sitzt die Crew vom Hip Hop Monday in der Sonne und wartet auf das Essen. Es gibt selbstgemachte Käsespätzle. „Den Text hatte ich noch im Kopf“, verrät Luca, als ihn die anderen auf seine Performance vom Nachmittag ansprechen. „Quatsch, den Song hast du selbst geschrieben. Das war doch ein Liebeslied an deine Ex“, ruft eine Stimme dazwischen. Ertappt zuckt Luca mit den Schultern: „Ich schreibe einfach drauf los und schaue, was bei rauskommt. Es macht Spaß.“
Von Eylül Tufan
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.