Auf dem Campus der Middle East Technical University in Ankara kam es zu Ausschreitungen gegen die Teilnehmenden einer LGBTQ-Demo
Die Kontaktperson des ruprecht möchte aufgrund der aktuellen politischen Lage in der Türkei anonym bleiben. Sie schildert hier die Ereignisse der Ausschreitungen bei der Pride Parade in Ankara und die Folgen an der Partneruniversität der Universität Heidelberg im März 2019 während ihres Bachelorstudiums auf dem Campus.
Wer in der Türkei lebt und studiert, muss sich, auch als ausländischer Studierender, gezwungenermaßen an einige Regeln der derzeitigen Regierung halten. Dazu gehört, die eigene Medienpräsenz so weit wie möglich einzuschränken. Aus Angst vor unerwünschter Aufmerksamkeit werden diese Einschränkungen auch weitestgehend eingehalten. Dass diese Angst berechtigt ist, zeigt die Reaktion der Polizei beim letzten Protest auf dem Campus der Middle East Technical University, Partneruniversität der Uni Heidelberg, in Ankara.
Der studentische LGBTQ-Club plante im März 2019 die Pride Parade, so wie sie jedes Jahr um diese Zeit organisiert wird. Bevor überhaupt Daten und Orte veröffentlicht wurden, kam bereits die Ansage des derzeitigen Rektors der Universität: Alle LGBTQ-Events in der Stadt Ankara wurden von der Uni in Absprache mit der Regierung und dem Präsidenten verboten. Diese enge Zusammenarbeit, die durch das Einsetzen des Rektorats durch den türkischen Präsidenten selbst bezeichnend ist, sorgte für Unbeliebtheit des Rektors bei den Studierenden, es überraschte aber auch niemanden. Die Studierenden sind vielmehr verärgert, dass der Rektor nicht auf demokratischem Weg von den anderen Professoren gewählt wurde. Auch deshalb wurde die jährliche LGBTQ-Parade mehr zu einem Protest und Aufschrei.
Der LGBTQ-Club forderte als Maßnahme zu einem Marsch am 10. März auf, um dem korrupten Rektor zu trotzen und Vielfältigkeit zu zelebrieren. Aus Solidarität wurde an diesem Tag zusätzlich der Unterricht boykottiert, was sich im Nachhinein als eine gute Entscheidung herausstellte, da sich kaum Studierende auf dem Campus befanden, die von den Folgen der „Sicherheitsmaßnahmen“ betroffen waren.
Durch die Erlaubnis des Rektors wurden zahlreiche Polizeieinheiten auf den sonst streng gesicherten Campus gelassen, um dem Protest entgegen zu wirken. Dies endete in Angst und Schrecken, da mit Tränengaspanzern und Plastikpatronen auf die anwesenden Studierenden geschossen wurde. Zwanzig Studierende und ein Dozent wurden vorübergehend verhaftet, sehr viele weitere verletzt.
Da dieses Ereignis, wie vieles andere, nicht ausreichend von den Medien aufgegriffen wurde, war noch lange Zeit nach den Verhaftungen unklar, was genau passiert war, und wer genau von der Polizei mitgenommen wurde. Besonders über den verschwundenen Dozenten wurde viel spekuliert, was die Spannungen auf dem Campus nochmals erhöhte.
Die Stimmung auf dem für seine regierungskritischen und liberalen Aktionen bekannten Uni Campus ist bedrückt. Studierende sowie Dozenten sind verärgert. Ein Mitglied des Debate-Society-Clubs sagt: „Die Schweigsamkeit des Rektors über die Verhaftungen und Einschränkung unserer Freiheit hinterlässt einen schwarzen Fleck in der Geschichte unserer Universität.“ Seit dem 18. November 2017 sind alle Gay-Festivals, Foren und jegliche Ausstellungen in Ankara aus „Sicherheitsgründen“ verboten, um die Öffentlichkeit zu schützen. Hoffnung auf Veränderungen bieten die letzten Ergebnisse der Kommunalwahlen, bei denen die Oppositionspartei der Regierung positive Ergebnisse erzielt hat.