Am 21.09 blockierte Extinction Rebellion die Brücke zum Bismarckplatz – legal, mit Kooperation der Polizei. Dahinter steckt mehr als Symbolik gegen den Klimawandel
Wer die kurze Blockade der Theodor-Heuss-Brücke am Samstagmittag aus der Ferne betrachtet und den Protestzug als kleine Störung empfindet, sei nicht getäuscht: Denen geht es um nicht weniger als um die Endzeit. Und ihre Vorstellung der Endzeit ist konkret. Bei allem Spaß solle nicht vergessen werden, wozu man hier sei, ruft ein Redner am Straßenrand. Dürren, Waldbrände, Tornados, Artensterben, das seien die Folgen des menschengemachten Klimawandels, und die Zeit daran etwas zu ändern verrinne schnell.
Auf den Fahnen der Brückenbesetzenden prangt eine Sanduhr in einem Kreis – ein Symbol des Aussterbens, des nahenden Endes. Es ist das Symbol der Klimabewegung Extinction Rebellion, deren Ortsgruppe die Blockade veranstaltet. Ihre Forderungen an die Regierung: der Ausruf des Klimanotstands, sofortige Maßnahmen gegen weiteren CO2-Ausstoß, Bürgerbeteiligung. Ihre Strategie ist, wie der Name schon sagt, Rebellion. Das heißt, mit gewaltfreiem zivilem Ungehorsam den wirtschaftlichen Ablauf stören. Sich auf die Fahrbahn einer Brücke hocken beispielsweise. Geldstrafen und Verhaftungen werden in Kauf genommen, sogar provoziert. Unter anderen Klimabewegungen sind solche Aktionen umstritten.
Ungewöhnlich für die Rebellinnen ist eine Kooperation mit der Staatsgewalt. Aber tatsächlich ist die Demo und Blockade diesmal legal angemeldet. Der Kompromiss: Die Brücke darf nicht länger als fünf Minuten gesperrt werden.
Anstoß für die Kooperation gab ein Interview der Rhein-Neckar-Zeitung in dem der Leiter des Polizeireviers Heidelberg-Mitte erklärte, eine kurze, symbolische Blockade wäre okay. So eine Taktik der Entschärfung ist nicht neu. Einen zunächst unangemeldeten Protest von Extinction Rebellion in Hamburg hatte die Polizei einfach selbst angemeldet.
Warum gehen die Rebellinnen auf den Kompromiss ein? „Ziviler Ungehorsam ist unser Hauptpfeiler und die insgesamt sinnvollste Methode unsere Ziele zu erreichen“, sagt Leoni Faschian, die Pressesprecherin der Heidelberger Extinction Rebellion. Dennoch sei es „strategisch clever“ gewesen, das Angebot der Polizei anzunehmen. „Es geht darum Aufmerksamkeit zu generieren“, erklärt Faschian und betont: „Extinction Rebellion ist nicht dafür da, den Staat auszuhebeln“. Legale Aktionen ließen sich leichter bewerben und zudem sei diese symbolische Blockade in Heidelberg der regionale Auftakt für die Vorbereitungen einer größeren Aktion in Berlin. Am 7. Oktober plant Extinction Rebellion weltweit eine Blockade vieler Hauptstädte. Das soll die Regierungen der Länder zu einer radikalen Kursänderung in der Klimapolitik zwingen.
Die Blockade der Theodor-Heuss-Brücke ist auch eine Probe für Berlin. So durften Teilnehmer beispielsweise testen, wie man sich möglichst unbeschadet wegtragen lässt, wenn die Polizei eine Sitzblockade auflöst (siehe Bild unten). Die Figur, bei der die Arme unter den Knien verschränkt werden, heißt „das Päckchen“ – Polizisten wüssten, wie dann zuzupacken sei.
Von den ungefähr 200 aktiven Heidelberger Rebellinnen werden (nach Angaben der Pressesprecherin) geschätzt 100 nach Berlin fahren. Es ist noch weit bis zu den 3.5% der Bevölkerung, die laut der deutschen Extinction–Rebellion-Website für eine Systemveränderung erforderlich sind. Die Pressesprecherin Faschian hofft auf die Werbewirksamkeit von Blockaden: “Jedes Mal wenn so eine große Aktion statt gefunden hat, dann merken wir, dass der Anstieg von Mitgliedern relativ hoch ist”. Aber schrecken die juristischen Konsequenzen illegaler Aktionen nicht ab? Faschian betont, um bei Extinction Rebellion mitzumachen, müsse man keine Gesetze brechen, lediglich die Prinzipien (Gewaltlosigkeit etc.) anerkennen: „Jeder Grad an Partizipationsmöglichkeit ist willkommen“. Wie das aussehen könnte, zeigt sich in dem Programm nach der symbolischen Blockade.
Neben Sprechchören wie „Kohle! – Stopp, Stopp, Stopp!“ schallt während des Demonstrationszugs zum Neuenheimer Marktplatz Hurra die Welt geht unter von K.I.Z – ein optimistisches Lied über die Endzeit, in dem die Rapper den Zusammenbruch des jetzigen Wirtschafts- und Wertesystems besingen. Die anschließende basisdemokratische Versammlung widmet sich den Fragen: Wie stellt ihr euch das Jahr 2050 vor? Wovor habt ihr Angst? Eine Rednerin fürchtet sich vor den Kämpfen um Ressourcen, die ihren Nachfahren bevorstünden. Eine zweifelt, ob sie Kinder in so eine kaputte Welt setzen will (viel Zustimmung aus dem Publikum). Andere wiederum erklären, was man noch tun könnte: aufklären, gegenlenken, das Wirtschaftssystem ändern – rebellieren.
Auf dem Marktplatz herrscht Endzeitstimmung, die jedoch vielschichtiger ist als der Pessimismus, der normalerweise darunter verstanden wird. Sie klagen und schwärmen, erklären und träumen – aufgeben wollen sie nicht. Diese Ambivalenz der Gefühle wird vielleicht am treffendsten eingefangen in der Signatur der Rebellinnen: Love&Rage.
Von Hans Boehringer