Bei der Podiumsdiskussion von CORRECTIV und ruprecht am vergangenen Montag stellten sich Vertreter der Verfassten Studierendenschaft und des Studierendenrats kritischen Fragen
Es ist kein Geheimnis, dass die bundesweite Hochschulpolitik unter nicht wenigen chronischen Krankheiten leidet: wenig Transparenz der Arbeit der Verfassten Studierendenschaften (VS), unkooperative Hochschulleitungen, Missstände bei der Verwaltung von Finanzen, frustrierende Suchen nach Amtsübernehmer*innen – um mal ein paar zu nennen. Und natürlich das größte Sorgenkind: die niedrige Wahlbeteiligung der Studierenden.
Zwei Mitarbeiterinnen des deutschen gemeinnützigen Recherchezentrum CORRECTIV, Miriam Lenz und Maria-Mercedes Hering werfen im Rahmen ihres neuen Online-Projekts „Warum wählst du?“ einen genaueren Blick auf die düstere Situation, von der mehr oder weniger alle Hochschulen Deutschlands betroffen zu sein scheinen. Bis zum 15.12.2019 läuft die Online-Plattform mit dem Motto „Hilf mit, die studentische Demokratie zu stärken!“, über die Studierende per Fragebogen ihre Erfahrungen mit und ihre Kenntnisse über die demokratische Praxis ihrer Verfassten Studierendenschaften teilen können. Miriam und Maria-Mercedes haben darum eine investigative Tour durch mehrere deutschen Universitäten vor. Erster Stopp war die Podiumsdiskussion am 21. Oktober im Hörsaal 9 der Neuen Uni in Heidelberg. Gemeinsam mit Lisa Schweigert, Mitglied der Sitzungsleitung des StuRas, Leon Köpfle, Vorsitzender der Verfassten Studierendenschaft, und Eduard Ebert als Vertreter des ruprechts, nahmen sie die Heidelberger Situation genau unter die Lupe und stellten sich anschließend den Fragen des Plenums.
Nach einer kurzen Vorstellung von Miriam und Maria-Mercedes bezüglich der Arbeit von CORRECTIV und den Hintergründen ihres Hochschul-Projekts, erläutern Leon und Lisa den Aufbau der VS. Dabei gehen sie genauer auf die Funktionsweise der VS als allgemeine Interessenvertretung aller Studierenden und die des Studierendenrates (StuRa) als legislatives Gremium bestehend aus den Hochschulgruppen- und Fachschaftsvertreter*innen, ein. Lisa betont die Wichtigkeit einer solchen Möglichkeit zur Selbstorganisation: „Ich komme aus Bayern und da gibt es keine verfasste Studierendenschaft, hier schon!“
Auf die Frage nach der Unabhängigkeit des ruprecht als einziges Studierendenmedium erklärt Eduard, dass die Zeitung sich ausschließlich durch Werbeanzeigen finanziere und damit nicht mit einem Einwirken der Hochschule rechnen müsse. „Unsere Unabhängigkeit macht uns frei, aber auch mehr Arbeit“, fügte er hinzu. Miriam will daraufhin wissen, wie es um das Interesse der Leserschaft an Themen wie der Arbeit des StuRas steht, sind doch dessen Verfahrensweisen vielen Studierenden unschlüssig. Eduard stimmt dem zu, benennt aber auch die Schwierigkeit ständiger Wiederholungen. Interessierte Studierende seien sowieso meist in irgendeiner Weise mit Hochschulpolitik engagiert und wüssten über das gängige Prozedere bereits Bescheid.
Hier liegt klar die Krux der ganzen Problematik: das geringe Interesse derjenigen, die von der Arbeit der VS überhaupt profitieren sollen. Die Wahlbeteiligung bei der letzten Stura-Wahl gurkte mit 15% auf SPD-Niveau herum und die Legitimation der demokratisch gewählten Entscheidungsträger gerät damit immer mehr in Schieflage. Leon bleibt optimistisch und beruft sich auf die Werbung, die der StuRa in Wahlzeiten betreibt: Große Banner, Medienpräsenz durch Facebook-Artikel, Plakatier-Aktionen auf den Straßen etc. Ein bisschen Frustration lässt er sich trotzdem anmerken: „Wir versuchen es wirklich!“ Trotzdem sei es schwer mit Leuten ins Gespräch zu kommen und auch das Flyer-Verteilen in der Stadt mache keinen großen Spaß. „Es ist schwierig Leute zu erreichen, die nicht erreicht werden wollen“, fasst Lisa zusammen.
Tatsächlich gibt es aber Beispiele von Hochschulen, an denen es besser zu funktionieren scheint. Die Uni Göttingen verzeichnete im letzten Jahr eine Wahlbeteiligung von 30%. Ist das schon Zauberei? Nein, Miriam sieht die Gründe dafür woanders. In Göttingen herrschten lediglich andere Verhältnisse. Eine Woche lang stark polarisierender Wahlkampf, institutionell unterstützt, begleitet von viel Musik und kostenlosem Essen. Es sei eine „Materialschlacht“, die wahnsinnig viel Geld koste. In Heidelberg ist mit administrativem Beistand vonseiten der Hochschule nicht zu rechnen. Außerdem, so Leon, sei die niedrige Wahlbeteiligung doch für die Uni „ganz praktisch“. Geringe Wahlbeteiligung führe zu geringer Legitimation. „Es wird auch versucht, über die Uni an die Studierenden heranzutreten, doch das gestaltet sich als relativ schwierig.“ Selbst dem Verschicken von Mails, die an bevorstehende Wahlen erinnern sollen, verweigert sich die Uni-Administration. Leon meint, das Ganze „könnte bestimmt leichter gemacht werden.“
Auf die Veranstaltung zurückblickend lässt sich schlussfolgern, dass vor allem eine ganze Menge Probleme benannt wurden. Konkrete Lösungsvorschläge fallen sicherlich nicht einfach so vom Himmel. Trotzdem endete die Podiumsdiskussion nicht gerade auf einem optimistischen Ton. Der Frust steckt tief. Hürden und Rückschläge zu beklagen nutzt langfristig natürlich nichts, trotzdem wurden ein paar Baustellen klarer. Die unkooperative Haltung der Univerwaltung gegenüber der Versammelten Studierendenschaft zum einen und das chronische Desinteresse der Studierenden am politischen Hintergrund ihres Unialltags zum anderen.
Hätte es der Existenz des Projekts von Miriam Lenz und Maria-Mercedes Hering bis dato noch an Berechtigung gemangelt, hätte es eben diese bereits Minuten vor Beginn der Veranstaltung erhalten. Die Teilnehmer*innen an der Podiumsdiskussion waren schnell gezählt, 13 an der Zahl, zum Großteil Mitglieder des ruprechts.
Enttäuschend? Mit Sicherheit, doch gerade das hat die beiden Projektleiterinnen sicher in ihrem Vorhaben, über Problematiken rund um die deutsche Hochschulpolitik aufzuklären, bestärkt.
Von Christina Kapp