Die Ortsgruppe der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. organisierte einen Rundgang, in dessen Rahmen Stolpersteine gesäubert und die Geschichten der Menschen dahinter erzählt wurden
In der Hauptstraße gibt es sie in Bergheim und in der Plöck. Eigentlich in ganz Heidelberg, Deutschland und Europa. Doch wer achtet schon näher auf die kleinen, goldglänzenden Stolpersteine, welche vereinzelt durch das schier nimmer enden wollende Stakkato der Grautöne brechen, auf welchem jeder von uns sich Tag für Tag von A nach B begibt? Unaufdringlich und leise und zugleich eindrücklich und nachhaltig wachen sie vor jenen Häusern, in denen einst Menschen lebten, die vom Naziregime nicht erwünscht waren.
„Anlässlich des baldigen Jahrestages der Reichspogromnacht, wollten wir mit diesem Rundgang ein Zeichen für das Erinnern und gegen den Antisemitismus, Ausgrenzung und Fremdenhass setzen. Mit den Anschlägen von Halle hat das Thema nochmals an Aktualität gewonnen“, sagt Marieke Onnasch, einer der InitiatorInnen der Aktion. Und ihrem Ruf sind an einem herbstlichen Sonntagmorgen um 11 Uhr knapp 50 Menschen aller Altersstufen gefolgt. In den kommenden zwei Stunden werden sie ausgewählte Stolpersteine in der Heidelberger Altstadt besuchen, diese unter den Blicken neugieriger Passanten blitz blank putzen und etwas zu den Menschen hinter den Stolpersteinen erfahren. Unter den Teilnehmern ist zum Beispiel ein Herr älteren Semesters, welcher zu Protokoll gibt: „Ich wurde 1941 geboren und finde es furchtbar wie man damals mit Andersdenkenden umgegangen ist. So etwas darf sich nicht wiederholen. Meine Teilnahme verstehe ich auch als Zeichen“. Ebenso sind zwei Schülerinnen einer neunten Klasse mit ihrem Geschichtslehrer extra aus Mannheim angereist. „Bei uns in der Schule wird viel über die Themen Holocaust und Drittes Reich gesprochen. Jede Generation muss sich, unabhängig ihres persönlichen Bezuges, an diese Zeit erinnern und dazu beitragen, dass dies nie wieder passiert. Dabei helfen solche anschaulichen Rundgänge sehr“. Und ihr Lehrer ergänzt: „Der Holocaust sollte eigentlich in allen Fächern, nicht nur in Geschichte ein wichtiges Thema sein. Geschichte ist nicht auf den Unterricht beschränkt, sondern muss in die Mitte der Gesellschaft. Wir als Lehrer stehen in der Verantwortung unsere SchülerInnen zu DemokratInnen heranzuziehen.“
Doch wie kommen die Stolpersteine überhaupt in den Boden? Susanne Himmelheber von der Heidelberger Stolperstein Initiative klärt auf: „Der erste Stolperstein wurde 2010 in Heidelberg verlegt. Mittlerweile gibt es sie überall im Stadtgebiet. Ein Stein kostet in der Anschaffung 120 Euro. Jeder kann, wenn er eine bestimmte Person im Kopf hat, zu uns kommen. Manchmal wollen ältere MitbürgerInnen an ehemalige NachbarInnen oder Nachfahren an einen Familienangehörigen erinnern. Die Stolpersteine sind allen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet. Egal ob Juden, Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma oder politisch Andersdenkenden. Schließlich erfolgt eine umfassende Recherche zu der Person selbst. Anschließend braucht es noch das Okay des Gemeinderates, da wir die Stolpersteine im öffentlichem Raum versetzen. Einmal im Jahr kommt Gunter Demning nach Heidelberg, der 1992 in Köln mit der Verlegung der Stolpersteine begann, und bringt diese an ihren neuen Platz“. Kritik wie etwa von Charlotte Knobloch (ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden) „man würde die Opfer mit Füßen treten“ kann Susanne Himmelheber nicht . Auch viele der TeilnehmerInnen finden die Stolpersteine eine gelungene Sache. „Meiner Meinung nach ist das „Darüber-Stolpern“ keine Entwürdigung, sondern ein bedeutender Akt des Erinnerns“.
Die Stolpersteine bezeugen durch ihre bloße Präsenz: Hier haben einst Menschen gelebt und gearbeitet. Menschen wie Doris Baum, Eugen Ehrmann oder Karoline Borchardt. Dank der Recherche der Initiative Stolpersteine Heidelberg und den kurzen Vorträgen der Mitglieder der Aktion Sühnezeichen ist es möglich, deren ganz persönliche Geschichte zu erzählen. „Bei den Steinen vor dem Hölderlin Gymnasium in der Plöck wollten wir zum Beispiel zeigen, wie die Nazis in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eindrangen, aber auch wie tief verankert jüdisches Leben war. Es ging nicht nur darum, über die Verfolgung der Menschen zu sprechen, sondern ebenso, hoffnungsvolle Elemente in deren Biografien aufzuzeigen“, erzählt Leo Volkhardt, der den Rundgang mitorganisiert hat.
Für all die Studierenden unter den TeilnehmerInnen wird es besonders spannend als über die Rolle der Universität Heidelberg im Dritten Reich berichtet wird. Die Hochschule hatte sich e wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Jüdische Professoren wurden entlassen und jüdische Studenten exmatrikuliert. Aber das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete nicht das Ende der meisten akademischen Karrieren. Der erste Universitätsdirektor dem Zweiten Weltkrieg, Dr. Karl Heinrich Bauer, lehrte als Professor für Medizin im Dritten Reich unter anderem das Fach Rassenlehre.
Vielleicht wird ja mancher von uns in Zukunft an der Heuscheuer bei der alten Synagoge oder in der Hauptstraße an einem der vielen Stolpersteine für einen Moment innerhalten und kurz an jene Menschen denken, die hier einst gelebt, gearbeitet und gelacht haben. Oder um es mit den Worten von Marieke Onnasch auszudrücken: „Ich hoffe, ihr kommt in eurem Alltag ab und zu ins Stolpern“.
Von Niklas Hauck
[box type=“shadow“ ]Wer mehr zu den Stolpersteinen in Heidelberg wissen will oder wer in Erfahrung bringen möchte wer Doris Baum, Eugen Ehrmann oder Karoline Borchardt waren: http://www.stolpersteine-heidelberg.de/
Wer Näheres zur Heidelberger-Mannheimer Ortsgruppe der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V erfahren möchte: https://www.asf-ev.de/engagiere-dich/regionalgruppen/heidelberg-mannheim [/box]