Durch zivilen Ungehorsam will Extinction Rebellion tief greifende gesellschaftliche Veränderungen bewirken. Kaum eine Gruppe polarisiert mit ihren Aktionen derart stark. Betreibt Extinction Rebellion effektiven Klimaaktivismus? – Pro: Robin Celikates, Professor für praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin
Ob Extinction Rebellion (XR) eine effektive Form des Protests darstellt, ist sicher wichtig – aber zumindest ebenso wichtig ist, ob der Protest von XR auch Legitimität beanspruchen kann. Denn neben dem Verfassen von Aufrufen und angemeldeten Demonstrationen brechen die Klimaaktivisten Gesetze, indem sie etwa Straßen und Brücken blockieren.
Damit stellen sie sich in eine lange Tradition des zivilen Ungehorsams: des Rechtsbruchs im Namen von Prinzipien der Demokratie und der Gerechtigkeit, nun in einer intergenerationellen Perspektive.
Dass ziviler Ungehorsam eine historisch extrem wichtige Rolle gespielt hat bei der Erkämpfung von Rechten und demokratischen Errungenschaften, sollte eigentlich außer Frage stehen. Ebenso lässt sich kaum bestreiten, dass der Klimawandel eine Herausforderung ungekannten Ausmaßes darstellt, dem die Politik bisher recht hilflos gegenübersteht. Da die Zeit drängt, hat der Protest von XR die Vermutung der Legitimität auf seiner Seite. Bleibt zu hoffen, dass er auch effizient ist!
These 1: Glaubwürdiger Klimaaktivismus muss konkrete Forderungen beinhalten.
Auf der Website von XR findet man ja die zentralen Forderungen. Die ersten beiden lauten schlicht „Sagt die Wahrheit!“ und „Handelt jetzt!“. In ihrer Schlichtheit sind aber beides revolutionäre Forderungen, weil sie nach einer vollkommen anderen Politik verlangen.
Darauf zu entgegnen, das sei nicht konkret genug, wirkt wie ein Ausweichmanöver, das auch den wissenschaftlichen Konsens ignoriert, aus dem sich ziemlich präzise ergibt, welche Maßnahmen schnellstmöglich ergriffen werden müssen, um die schlimmsten Folgen abzumildern. Aber selbst davon sind wir weit entfernt. Wer in dieser deprimierenden Situation meint, den Aktivisten die Leviten lesen zu müssen, hat nicht begriffen, wie ernst die Lage ist und dass sich der Realitätssinn nicht auf Seiten der Verteidiger des Status quo, sondern aufseiten der protestierenden Jugend findet.
These 2: Ziviler Ungehorsam sollte die letzte Möglichkeit des Protests sein, wenn alle anderen Arten des Protests ausgeschöpft sind.
Ob ziviler Ungehorsam gerechtfertigt ist, hängt davon ab, ob legaler Protest angesichts schweren Unrechts Aussicht auf Erfolg hat. Auch Martin Luther King wurde vorgeworfen, zu schnell zu weit zu gehen. Radikalere Mittel sind nötig, um den Stimmen der Betroffenen Gehör zu verschaffen und die Mehrheit zum Umdenken zu bringen. Dass der Klimawandel katastrophale Folgen hat, ist hinreichend dokumentiert.
Deshalb ist es absurd, Arbeitsplätze gegen die Fortexistenz unserer Lebensgrundlagen auszuspielen.
Zugleich sind die am stärksten Betroffenen – Kinder und Jugendliche (von zukünftigen Generationen ganz zu schweigen) – nicht politisch repräsentiert und haben kaum eine Lobby. Eigentlich ist es verwunderlich, dass es nicht mehr Protest gibt.
These 3: Extinction Rebellion legt die Basis für eine gefährliche
Radikalisierung der Klimabewegung.
Das Schreckbild von Radikalisierung und Anarchismus wird immer mobilisiert, wenn soziale Bewegungen Aspekte unseres Lebenswandels und Weltbildes problematisieren, die fundamental für unser Selbstverständnis und mit mächtigen gesellschaftlichen Interessen verbunden sind. Dagegen ist zunächst festzuhalten, dass XR zwar ein bisschen radikaler auftritt als Fridays for Future, in seinen Protestaktionen bisher aber doch sehr moderat und dem Prinzip der Gewaltfreiheit verpflichtet war. Der objektive Problemdruck wird in den nächsten Jahren natürlich zunehmen, ebenso wie die Frustration angesichts einer Politik, die unsere Zukunft aufs Spiel setzt. Daher ist es primär die Verantwortung der Politik, dafür zu sorgen, dass radikalere Formen des Klimaaktivismus nicht nötig werden.