Es ist ein historischer Abend für die britische Politik. Mit einer absoluten Mehrheit gewinnt Boris Johnson die Wahl und erhält somit das grüne Licht, endlich den Brexit durchzuziehen. Selbst die „Red Wall” im Norden, deren Städte seit über 100 Jahren an ihrem Laboursitz festhielten, werden von der konservativen blauen Abrissbirne zertrümmert. Von den Tories wird dies als einstimmige Unterstützung gefeiert. Doch ein genauerer Blick zeigt: Großbritannien ist so gespalten wie noch nie.
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„I would never marry a Tory” ist ein Satz, der für viele junge Menschen schon alltäglich ist. Besonders an Universitäten mit einer hohen Labour-Wählerschaft wird eine große Intoleranz gegenüber der konservativen Seite gepflegt. Mitglieder konservativer Hochschulgruppen werden mit den Worten „you Tory bitch” verprügelt und auf sozialen Medien mit Todesdrohungen angegriffen. Auch auf Wohnungssuche findet man unschwer eine Anzeige mit „No Tories Allowed”. Einer Studie des Kings College of London zufolge trauen sich 58 Prozent junger Konservativer nicht, ihre politische Meinung zum Ausdruck zu bringen. Wie kommt es nun, dass eine Tory-Mehrheit ins Parlament gewählt wurde? Viele Labourwähler schieben das auf die Berichterstattung in den Wochen vor der Wahl. Jeder Medienkanal sprach von Jeremy Corbyns mutmaßlichem Antisemitismus. Zu keinem Zeitpunkt sei aber auf den ebenfalls offensichtlichen Rassismus von Boris Johnson fokussiert worden. In einem Interview auf Sky-News in der Nacht der Wahl sprach beispielsweise ein lokaler Labourpolitiker über rassistische Kommentare Johnsons, woraufhin die Moderatorin, Kay Burley, antwortete: „Dafür ist er ja aber kein Antisemit”. Den Medien wird eine Voreingenommenheit vorgeworfen, da durch das konstante Abwerten der Labourpartei die Tories begünstigt würden.
Trotz der Vorwürfe ignorierten Labourmitglieder den Antisemitismus, um auf die Probleme der Tories aufmerksam zu machen. Und das scheint das Problem zu sein: Labour sei antisemitisch, Conservatives rassistisch und elitär. Aber warum kann nicht beides gleichzeitig stimmen? Mir und vielen anderen fiel es schwer, in dieser Wahl überhaupt unser Kreuz zu setzen, weil beide Parteien sich weigern, die offensichtliche Diskriminierung im Inneren anzusprechen. Genau diese Sturheit ist es, die das Land spaltet. Pflegen wir weiter diese Kultur der gegenseitigen Intoleranz, sehe ich keine Chance, diese immer größer werdende Kluft zu schließen.
von Natascha Koch
Natascha Koch studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit 2019 für den ruprecht. In ihren Artikeln dreht es sich um aktuelle politische und gesellschaftliche Trends und alles, was die Welt bewegt – oder auch nur das Internet. Seit 2020 leitet sie das Ressort für die Seiten 1-3.
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.