Ein großes Problem der Medien ist, dass wir fast nur über Neuigkeiten schreiben, über Veränderungen, über Entdeckungen. Vor allem die Universität ist und bleibt aber trotz allem Wandel in Forschung, Lehre und Studium ein Hort der Kontinuität. Und so gibt es an der Universität meistens nicht allzu viel Neues zu berichten.
In unserer neuen Kolumne „Hochschule bleibt stabil“ geht es um all das, was sich nie verändert.
Pro Ausgabe stellen wir einen Fels in der Brandung der Zeitgeschichte vor. Dieses Mal: Das Phänomen des Papierscheins.
Als ich an der Universität Graz mein erstes Studium begann, warnte meine Mutter mich, auf jeden Fall jeden Schein, den ich bekam, sofort zu kopieren und beide in gesonderten Ordnern sicher abzuheften. „Scheine? Aus Papier? Wir sind doch nicht mehr in den 80ern, heute ist alles digital! Scheine, als ob …“ lachte ich über die gefühlte Ewiggestrigkeit meiner Mutter. Anderthalb Jahre und einen Umzug später hielt ich, inzwischen in Heidelberg, meinen ersten Schein aus Papier in der Hand. Nach Lachen war mir nicht mehr zumute.
Ausfüllen, mit der Klausur abgeben, dann ein paar Wochen später unterschrieben und gestempelt aus der Bibliothek abholen und hoffen, dass die Note auch im LSF steht. Ich fühlte mich wie in eine andere Epoche zurückgesetzt. Wieso so kompliziert? Sollte ich nun die Hausarbeit mit der Schreibmaschine schreiben? Mit Feder und Tinte auf Pergament und dann per Brieftaube an die Dozentin schicken?
Gut, Hausarbeiten schreibe ich auf meinem Laptop und maile sie dann an meinen Dozenten. Aber dann bereite ich den Schein vor, füge Name, Geburtsdatum und Matrikelnummer ein, und werfe ihn ins Postfach des Dozenten. Tatsächlich habe ich erst diese Woche meinen ersten Schein abgeholt, denn im LSF sind all meine Noten ganz vorbildlich eingetragen.
Vielleicht werde ich die restlichen Scheine bald einmal abholen, wenn ich endlich mein Studium abschließe. Man munkelt, dass man diese mysteriösen Scheine tatsächlich irgendwann mal brauchen kann. Aber bisher habe ich tatsächlich noch nie gedacht „Wow, wäre das toll, wenn ich zusätzlich zu meinen online eingetragenen Noten noch ein paar Fetzen Papier hätte …“ und ärgere mich stattdessen regelmäßig, wenn ich vor der Klausur mal wieder vergessen habe, einen Schein auszudrucken und mitzunehmen.
Natürlich macht es irgendwie Sinn, Noten nicht nur online zu dokumentieren. Aber bitte, liebe Uni, könnte man diese endlosen losen Scheine nicht wenigstens mit einem ECTS-Buch ersetzen, das ganz ordentlich im Sekretariat des jeweiligen Instituts aufbewahrt wird? Und Scheine endlich auf den Scheiterhaufen der Geschichte verbannen, wie man es in so überaus fortschrittlichen Ländern wie Österreich längst getan hat?
von Hannah Steckelberg
Hannah Steckelberg studiert Osteuropastudien und Germanistik im Kulturvergleich. Seit 2016 ist sie beim ruprecht – erst nur als Fotografin, seit 2017 auch als Autorin. Am liebsten schreibt sie Reportagen aller Art sowie ihre Kolumne “Hochschule bleibt stabil”. 2019/20 leitete sie zwei Semester lang das Ressort Seite 1-3, inzwischen lebt sie in Wien.