„Leben und Lernen: selbstverwaltet, bezahlbar, gemeinschaftlich und kreativ“ – das sind schicke Adjektive. Dahinter steht das Collegium Academicum in der Altstadt.
Verwunderlich sind alte Häuser und ein geschichtsträchtiger Fremdenverkehr in einer für eine Universitätsstadt traumhafter Lage zwar nicht, doch dass eine WG die Studiendauer der hartnäckigsten Langzeitkommilitonen überdauert, ist ungewöhnlich. Die aktuellen Bewohner des Collegium Academicum (CA) leben im stilechten Altbau an der Plöck. Charmant gewundenes Treppenhaus und rotgesichtige Sonnen, die mit freundlichem Gestus Kernenergie ablehnen. Der Besucher wähnt sich bereits in einer typischen Heidelberger Altstadt-WG, die der kurze Weg zur Uni und die gemeinsame Freude am Ausschlafen zusammenführte. Bis er feststellt, dass sich drei Wohngemeinschaften das Haus und eine Kreidetafel, die Haustreffen und Wandertage ankündigt, teilen. Gemeinschaften in der Gemeinschaft.
Das Collegium Academicum ist ein Wohnheim, dass im Gegensatz zu den Altstadtwohnheimen des Studentenwerks von den Bewohnern selbst verwaltet wird. Die Nische zwischen studentischen Kleinstgemeinschaften und öffentlich verwaltetem Wohnraum fördert enormes Engagement und viel Kreativität zu Tage. Sowohl die elf Bewohner des Hauses als auch die gesamte Gemeinschaft setzen dieses Aktionspotential in gesellschaftliches Engagement um. Verbindungen zur „Energiegenossenschaft“ und zur „Solidarischen Landwirtschaft“, die Sommerwoche und offene Abende mit Podiumsvorträgen machen das CA zu einem Zentrum studentischen Lebens in der Altstadt. Hier wird gänzlich undogmatisch „genetzwerkelt“ und „geplattformt“. Obwohl das auch den kühnsten Netzwerktraum eines Unternehmensberaters beflügeln würde, ist es, erklären mir die CA’ler mit authentischer Bescheidenheit, eher Produkt zufälliger Korrelation. Denn zusammengefunden haben sich unter dem Dach des Collegiums Menschen, denen nicht zwangsläufig am alternativen, als vielmehr am bewussten Leben gelegen ist. Absichtlich verschrieben hat sich das CA hingegen den Bedürfnissen des studentischen Lebens in Heidelberg.
Das CA ist etwa von Beginn an an der Diskussion um die Konversion beteiligt. Von ihrem Aktionsbündnis „hd_vernetzt“ wurde das Mark Twain Village in der Südstadt ins Auge gefasst. Das CA setzt sich dabei für die Einrichtung eines Wohnheims für 200 Studierende ein. Dem ist ein Bildungskonzept und ein Verständnis als kreativer Plattform zugrunde gelegt. Deshalb sind nicht nur WG‘s, sondern Werkstatt, Seminarräume, Grünflächen und Ateliers geplant. Auch wenn sich diese Pläne nur wie kühne Zukunftsmusik anhören, liegt das allenfalls an den vielfältigen Kompetenzen, der es zur Umsetzung bedarf. Mindestens einmal in der Woche ist das gesamte Haus mit der Umsetzung der Pläne beschäftigt.
Die Geschichte des Collegium Academicum scheint eher zufällig mit der räumlichen Enge der Studentenstadt Heidelberg verbunden zu sein: Es drängten vor allem Kapazitätsprobleme der von den Kriegsnöten verschonten Stadt. Das Carolinum wurde dem damaligen Rektor von der amerikanischen Militärverwaltung unter dem Paradigma der „demokratischen Umerziehung“ zur Begründung eines basisdemokratisch verwaltetem Studienkollegs übergeben. Neben einem reichhaltigem Gemeinschaftsleben, schuf das Collegium eine hauseigene Theatergruppe, offene Abende und internationale Austauschprogramme.Dem zum Trotz beschloss der Senat der Heidelberger Universität 1975 die Auflösung des Wohnheims im Carolinum. Den Platz nahm der Verwaltungsapparat der Universität ein.
Aus dem Haus getrieben, entwickelte sich das CA in völliger Selbstständigkeit, konstituierte sich als Verein und mietete später das heutige Wohnheim in der Plöck. Heute befindet sich das CA in einem Wohngebiet, das der Fachliteratur zur Gentrifizierung als Paradebeispiel dient. Unter den Aktionsgruppen, die dieses Problem aufgreifen, fällt das CA mit seiner Pragmatik als besonders brav und kooperativ auf. Keineswegs sehen sich die Bewohner des heutigen CA der Tradition des früheren Collegiums verpflichtet. Auch in Zukunft will das CA ein anerkannter Verhandlungspartner für die Stadt und die Universität Heidelberg sein.
von Erik Dietrich