„Leider ist es eine typisch deutsche Eigenschaft, den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten. Wir brauchen die Zivilcourage, ‚Nein‘ zu sagen.“ 1949 kehrt der jüdische Jurist Fritz Bauer aus dem Exil zurück. Der Generalstaatsanwalt bringt Auschwitz vor Gericht – und wird dafür gehasst. Die Deutschen haben ihren Blick in die Zukunft gerichtet und wollen die Kriegsjahre hinter sich lassen. „Wenn ich mein Büro verlasse befinde ich mich im feindlichen Ausland“, stellt Bauer fest. Mit Bombendrohungen und Schmähbriefen versuchen Bauers Gegner ihn zum Schweigen zu bringen.
Davon unbeirrt spürt Bauer gemeinsam mit dem israelischen Geheimdienst Adolf Eichmann in Buenos Aires auf. Daraufhin wird dem Organisator der Judenverfolgung in Tel Aviv der Prozess gemacht. Bauer gibt sich damit nicht zufrieden. Mit einem Team aus jungen Staatsanwälten bringt er die Struktur des größten Vernichtungslagers ans Licht und die Verantwortlichen auf die Anklagebank. Sein Plan: Das „System Auschwitz“ zu entlarven und die junge Generation vor blinder Pflichterfüllung zu warnen.
Im Sommersemester 1921 kommt der 17-jährige Jurastudent Fritz Bauer erstmals nach Heidelberg. Als Erstsemester sehnt sich Bauer nach Anschluss zu Gleichgesinnten, aber die Studentenverbindungen verwehren Juden den Beitritt. In der „Freien Wissenschaftlichen Vereinigung“ findet Bauer Zuflucht. Die überkonfessionelle Verbindung erklärt Religion zur Privatsache, was den Mitgliedern auch unter jüdischen Kommilitonen Anfeindungen einbringt. Als immer mehr Gasthäuser keine Juden mehr als Kunden akzeptieren, trifft sich die Vereinigung im Hinterzimmer der Brauerei in der Leyergasse. Wo heute die Kulturbrauerei steht, hält Fritz Bauer mit gerade einmal 18 Jahren Plädoyers auf die Trennung von Politik und Wissenschaft. Als immer mehr Dozenten aufgrund ihrer politischen Einstellungen entlassen werden, schreibt er in seinem zweiten Semester: „Wenn eines die Wesenheit der Wissenschaftler und Lehranstalten ausmacht, so ist es doch sicherlich ihre Unabhängigkeit von den Ereignissen des Tages und der Stunde, ihre Freiheit und Losgelöstheit von Politik und Partei.“ Der Freigeist kommt mit seinen leidenschaftlichen Reden gut an, in denen hier und da ein schwäbischer Dialekt seine Stuttgarter Herkunft verrät.
Doch der Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts greift weiter um sich. Der öffentliche Raum verschließt sich Juden in Heidelberg immer mehr. Als Fritz Bauer die Teilnahme am Unisport verwehrt wird, beschließt er 1922, Heidelberg zu verlassen und sein Studium in München und Tübingen fortzusetzen.
Bauers Enthüllungen waren maßgebend für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Bis zu seinem Tod im Jahr 1968 setzte er sich zudem für die Rechte von Homosexuellen ein. Ihm selbst begegnet man mit weniger Offenheit: 1933 interniert man den jüngsten Amtsrichter Deutschlands im Konzentrationslager Heuberg. Vor seiner Deportation in das Lager Theresienstadt flieht Bauer nach Dänemark und entgeht so seiner Hinrichtung. Seine unbequeme Art und Homosexualität treiben Bauer in die Isolation. Nach seinem Tod gerät sein Name fast in Vergessenheit – nur sein humanistischer Gerechtigkeitssinn, der in Heidelberg seinen Anfang fand, setzt sich in den folgenden Generationen fort.
Von Svenja Schlicht
Svenja Schlicht machte im Sommer 2020 ihren Bachelor in Politikwissenschaft und Ethnologie an der Uni Heidelberg. Von Februar 2020 bis August 2020 leitete Sie das Feuilleton. Theater und Kultureinrichtungen waren aber bereits seit Oktober 2019 vor der ruprecht-Redakteurin nicht mehr sicher. Jetzt studiert sie an der Kölner Journalistenschule und freie Journalistin.