Aber mal ganz von vorne: Ende Februar fuhr ich zu meinen Eltern nach Österreich, um dort für eine Hausarbeit zu forschen. Im Steiermärkischen Landesarchiv wälzte ich täglich alte Gemeindezeitungen und Kirchenblätter, bis meine Recherche am Donnerstag, dem 12. März, zu einem abrupten Ende kam: „Das Steiermärkische Landesarchiv ist bis voraussichtlich 3. April gesperrt“, verkündete ein Zettel an der Eingangstür.
So beschloss ich, noch ein paar Tage bei meinen Eltern zu bleiben und dann nach Deutschland zurückzufahren und buchte ein Ticket für den 17. März. Am 15. März schloss Deutschland seine Grenzen und ich bekam Panik: War ich nun im Reihenhaus meiner Eltern gefangen? Müsste ich noch mehrere Wochen lang in meinem alten Kinderzimmer wohnen? Ich war bereits drei Wochen bei meinen Eltern, und so gern ich sie auch habe – mir fiel die Decke auf den Kopf. Ich wollte nach Hause, in meine eigene Wohnung, zu meinen Pflanzen und in mein eigenes Bett. Nach mehreren Stunden in der Warteschleife des Servicetelefons der ÖBB (Österreichische Bundesbahn) erfuhr ich, dass mein Zug fahren würde.
Gesundheitsminister Jens Spahn riet allen Österreich-Rückkehrern, sich in eine zweiwöchige Quarantäne zu begeben, und so sprach ich mich mit Freunden ab, dass sie mich mit Lebensmitteln versorgen würden. Denn meine Quarantäne dauert nicht sieben Tage, sondern zwei Wochen – denn das ist die maximale Inkubationszeit des SARS-Cov-2.
Und so begab ich mich direkt nach meiner Rückkehr nach Heidelberg in Quarantäne. Zwei Wochen lang soll ich nun meine Wohnung nicht verlassen, und das bedeutet auch, zwei Wochen ganz alleine sein. Meine Mitbewohnerin ist in der Heimat, Freunde dürfen mich nicht besuchen kommen.
Ich würde hier gerne eine Art Tagebuch schreiben können: Am ersten Tag putzte ich die Fenster, am zweiten Tag backte ich einen Laib Brot, am dritten Tag sortierte ich meine Bücher nach Farben, … aber ich kann nicht. Denn wenn man seine Wohnung 14 Tage lang nicht verlässt, verschwimmen alle Tage miteinander. Wenn Freunde mich fragen, was ich gestern gemacht habe, kann ich nicht antworten, denn ich weiß nicht, wann gestern war, wann vorgestern war.
Deo trage ich seit dem ersten Quarantänetag nicht mehr, wozu auch? Mich riecht doch eh keiner, und mehr Sport als ein paar Push Ups kann ich in meiner Wohnung auch nicht machen. Meine Haare wasche ich nur noch alle vier Tage, ausfetten und so. Dazu brauche ich einen Kalender, denn anders verliere ich den Überblick. Welcher Tag ist heute, welches Datum? Ich weiß es nicht. Draußen scheint jeden Tag die Sonne, manchmal sehe ich Spaziergänger, alleine oder mit ihrer Familie, und will nichts mehr, als auch an der frischen Luft den Neckar entlanglaufen. Ich fühle mich wie Rapunzel, wenn ich aus meinem Fenster im zweiten Stock heruntergucke und sehe, wie eine alte Dame ihren Hund spazieren führt. Um mich abzulenken höre eine Folge eines True Crime Podcasts.
Ich möchte nicht in eine Spaghetti-und-Tiefkühlpizza-Monotonie fallen, also koche ich jeden Tag. Kichererbsencurry, Käsespätzle, Chili sin Carne, Linsensuppe. Danach backe ich Bananenbrot. Ohne meine Freunde hätte ich weder die Tomaten für Curry und Chili gehabt, noch den Käse oder die Spätzle, geschweige denn die Bananen fürs Bananenbrot. Quarantäne ohne Freunde, die für einen zu Rewe gehen und frisches Obst und Gemüse, Käse und Brot kaufen und sich danach durch die geschlossene Tür mit einem unterhalten, kann ich mir nicht vorstellen. Ich esse meine Linsensuppe, stelle die Reste in den Kühlschrank und spiele ein bisschen Animal Crossing. Durch die dünnen Wände höre ich meine Nachbarn streiten, im dritten Stock übt jemand Klavier. Mir ist sterbenslangweilig.
Obwohl ich nicht rausgehe, ziehe ich mich jeden Tag an, inklusive Jeans und BH. Ich möchte ein bisschen Nomalität bewahren und zwei Wochen nur im Schlafanzug sein, fände ich dann doch ein bisschen eklig. Ich scrolle durch Netflix und gucke ein paar Folgen „Walking Dead“. Pandemie, Virus und so, aber wirklich unterhaltsam ist es nicht. Dasselbe bei Youtube: Millionen von Videos, aber nichts was mich interessiert. Ich klappe den Laptop zu.
Meine Mutter schickt mir Fotos von unserem Hund, vom frischen Bärlauchpesto auf der Terrasse. Eigentlich wäre ich gerne wieder in Österreich, in Heidelberg fällt mir die Decke auf den Kopf. Doch die Grenzen sind zu. Ich klappe den Laptop auf und schreibe meinen Text für den ruprecht. Sieben Tage Quarantäne für die Reihe Sieben Tage. Inzwischen ist für mich Tag Dreizehn und ich muss noch einen Tag drinnen bleiben. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder selber zu Rewe zu laufen.
von Hannah Steckelberg
Hannah Steckelberg studiert Osteuropastudien und Germanistik im Kulturvergleich. Seit 2016 ist sie beim ruprecht – erst nur als Fotografin, seit 2017 auch als Autorin. Am liebsten schreibt sie Reportagen aller Art sowie ihre Kolumne “Hochschule bleibt stabil”. 2019/20 leitete sie zwei Semester lang das Ressort Seite 1-3, inzwischen lebt sie in Wien.
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.