Das Coronavirus verändert das öffentliche Leben und so auch die Lehre an deutschen Hochschulen. Christan Spannagel – Prorektor für Forschung, Transfer und Digitalisierung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg – sprach mit dem ruprecht über Chancen und Risiken eines digitalen Semesters und die Zukunft der Lehre.
Das kommende Semester kann nicht wie geplant stattfinden, es müssen digitale Alternativen zur Präsenzlehre gefunden werden. Wie ist die Pädagogische Hochschule Heidelberg darauf vorbereitet?
Wir waren vor der Corona-Krise noch nicht bereit für ein komplett digitales Studium – wie vermutlich die meisten Hochschulen. Aber die Hochschule hat in den letzten Wochen zahlreiche Maßnahmen getroffen: Zum Beispiel haben wir Systeme für Webkonferenzen und Videoplattformen eingerichtet, um auf ein digitales Semester vorbereitet zu sein. Die technischen Voraussetzungen sind aber noch lange nicht alles. Entscheidend ist, dass die Lehrenden die Technik für Online-Lehrformate einsetzen können. Wir ermutigen die Lehrkräfte auch einfache Szenarien umzusetzen. Eine Strategie kann dabei sogenanntes „asynchrones Vorgehen“ sein. Dabei nutzt die Lehrkraft die digitalen Medien beispielsweise, um Studierenden Aufgaben zu geben, die sie zeit- und ortsunabhängig im Selbststudium bearbeiten können. Auf die Lösungen der Studierenden kann die Lehrperson dann Feedback geben. Nicht alles muss synchron per Webkonferenz geschehen. Synchron bedeutet, die Lehrkraft nutzt das digitale Medium, um in Echtzeit mit den Studierenden zu interagieren. Asynchrone Varianten der digitalen Lehre sind einfacher umzusetzen und in vielen Fällen die bessere Alternative. Wir haben aber noch viel zu tun. Es ist schon ein bisschen verrückt, eine Hochschule innerhalb weniger Wochen komplett auf digitale Lehre umzustellen.
Wie bereiten Sie die Lehrenden auf die Umstellung zur digitalen Lehre vor?
Es ist keine einfache Aufgabe (lacht). Wir setzen auf enge Kommunikation mit den Lehrenden. Das Medienzentrum stellt außerdem viele Video- und Textanleitungen bereit. Diese sollen es den Lehrenden ermöglichen, Ideen für die Umsetzung digitaler Lehre zu bekommen. Dazu haben wir auch unser Onlineforum wieder aktiviert, wo Lehrende in den gemeinsamen Austausch kommen, sich gegenseitig Fragen stellen und Unterstützung anbieten. Im besten Fall geschieht das dann über Fächer- und Institutsgrenzen hinweg. Das „digitale Semester“ kann funktionieren, wenn jeder etwas dazu beiträgt und wir alle an einem Strang ziehen.
Wie wird die digitale Lehre im kommenden Semester konkret aussehen? Wie sehen Vorlesungen mit hunderten Teilnehmenden aus, im Vergleich zu Seminaren mit zwanzig Teilnehmenden?
Eine Möglichkeit sind Vorlesungen via Livestream. Die Lehrperson hält live eine Vorlesung und alle schauen online zu. Die Variante hat den Nachteil, dass sie synchron ist. Dafür müssen alle Studierenden zur selben Zeit wie die Lehrkraft am Computer sitzen. Wenn dann zwei Streams gleichzeitig stattfinden, müssen die Studierenden sich für eine Veranstaltung entscheiden.
Auch hier könnten asynchrone Varianten die Lösung sein, weil sie flexibler sind. Die Lehrkraft hält ihren Vortrag, wann immer sie Zeit hat, und lädt ihn auf unsere Videoplattform hoch. Die Studierenden wiederum können die Lerneinheit dann jederzeit so abrufen, wie es in ihren persönlichen Stundenplan passt. So entzerrt man die Situation.
Man muss da aber von Fall zu Fall unterscheiden. Es gibt auch Unterrichtsformen, die geradezu von der Echtzeitkommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden leben und ohne gar nicht auskämen. Nehmen wir Seminare: Je kleiner das Seminar ist, umso wichtiger sind die Diskussion und der Austausch. Dann können Webkonferenzen und synchrone Szenarien sinnvoll sein.
Wie ist es mit Lehrveranstaltungen, für die Anwesenheit erforderlich ist – etwa Laborarbeiten oder Sportübungen?
Da wird es schwieriger. Manche Veranstaltungen funktionieren online einfach nicht. Die müssen im Notfall verschoben werden. Aber wir werden von Veranstaltung zu Veranstaltung genau hinschauen und möglich machen, was möglich zu machen ist.
Denken Sie, diese Krise wird die Lehre an Hochschulen auch nachhaltig verändern?
Die aktuelle Situation ist eine aufgezwungene Fortbildung im Einsatz digitaler Medien (lacht). Ich glaube, wesentlich mehr Lehrende werden sich jetzt mit technischen Möglichkeiten auseinandersetzen. Der ein oder andere erweitert so sein Medienrepertoire und macht Erfahrungen, die auch nach der Krise noch hilfreich sind.
Ich sehe aber auch die Gefahr, dass eine „Technikfrustration“ aufkommen kann. Technik funktioniert nicht immer. Manchmal funktioniert sie gar nicht und häufig nicht so, wie man sich das vorgestellt hat. Das ist natürlich ärgerlich und kann vorhandene Motivation zerstören, wenn das zu häufig vorkommt.
Wir werden unsere Lehrenden natürlich auch da unterstützen. Ein Aspekt ist, die technischen Abläufe so reibungslos und benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten. Aber alle Störfälle werden wir auch so nicht vermeiden. In solchen Situationen ist es wichtig, den Lehrenden zu helfen, den Fokus auf eine konstruktive Lösung zu legen.
Es wird ja oft gefragt, ob die Corona-Situation auch etwas Positives hat. Ich will nicht so unsensibel sein. Die Corona-Situation ist erstmal etwas Tragisches: Menschen sind krank oder sterben und können nicht mit ihren Lieben Kontakt aufnehmen. Ich bin schon zufrieden, wenn wir am Ende sagen können, dass digitale Medien uns geholfen haben, diese schwierige Situation zu meistern.
Das Gespräch führte Stefanie Weber
Stefanie Weber studiert Übersetzungswissenschaft und schreibt seit SoSe 2018 für den ruprecht. Dabei berichtet sie am liebsten über die brisante hochschulpolitische Landschaft in Heidelberg. Seit WS 19/20 leitet sie das Ressort Hochschule.