Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Corona-Onlineausgabe.
Ich bin ein kritischer Mensch. Bevor ich das Video „Männerwelten“ von Joko und Klaas anschaue, ist mir klar, dass ich etwas zu meckern finden werde. Das liegt nicht daran, dass ich explizit nach Kritikpunkten suche, ich finde sie einfach. Und ich muss auch sagen, ich bin positiv überrascht. Ich sehe eine valide Veranschaulichung von den Problemen, die Frauen im Alltag bekämpfen müssen, mit verschiedenen Perspektiven und Ansichtspunkten. Doch ich habe auch meine Kritikpunkte, die ich noch am gleichen Tag auf sozialen Medien äußere. Und schon bald erreicht mich die Nachricht: „Kannst du dich nicht einfach mal mit etwas zufriedengeben?“ Aber wieso?
Man solle sich mal vorstellen, unsere Gesellschaft existiere ohne konstruktive Kritik. Nach der Legalisierung der Homosexualität hätte man LGBTQ+ Personen gesagt: „Könnt ihr euch nicht einfach mal damit zufriedengeben?“ Nachdem Abtreibungen straffrei gemacht wurden, wäre es bei einem „Wenigstens irgendwas…“ geblieben. Wo wären wir als Gesellschaft, wenn man nicht wichtige Fortschritte kritisch betrachten dürfte? Wenn man Dinge ausschließlich als gut oder schlecht beurteilen müsste?
Aktivismus existiert nicht in einem Vakuum. Man kann Aktionen, wie die des Männerwelten-Videos applaudieren, zu weiteren Taten ermutigen, und gleichzeitig einzelne Punkte mit Kritik betrachten. Ich bewundere Joko und Klaas dafür, Diskussionen wie diese anzuzetteln. Ich kann den Mehrwert erkennen. Aber sie sind nun mal nicht gottesgleich, und darum von Kritik ausgenommen. Wenn ich laufen lernen möchte, bleibe ich doch nicht erst stehen und applaudiere jeden Schritt zehn Minuten lang. Ich merke mir, was ich bisher getan habe und wie ich diese Taktik verbessert anwenden kann, um einen zweiten Schritt zu tätigen. Also, nein, ich kann mich nicht einfach mal mit allem zufriedengeben. Ich werde kritisch bleiben, und ich werde mich gegen Terre des Femmes und weißen Feminismus aussprechen, solange bis diese Diskussionen im Mainstream auch anerkannt werden. Bedenkt doch einfach: diese Diskurse werden doch jetzt erst anerkannt, weil Frauen sich nun trauen, sich nicht einfach zufrieden zu geben.
von Natascha Koch
Natascha Koch studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit 2019 für den ruprecht. In ihren Artikeln dreht es sich um aktuelle politische und gesellschaftliche Trends und alles, was die Welt bewegt – oder auch nur das Internet. Seit 2020 leitet sie das Ressort für die Seiten 1-3.