Während ein Virus die Welt überrollt, gibt es in der Krise einen eindeutigen Gewinner: Netflix. Nach Angaben der Tagesschau konnte das Unternehmen einen Rekord an Neukunden verzeichnen. Ein gemütlicher Serientag ist nun einmal verlockender, als sich mit einer halbwegs funktionierenden Onlinevorlesung herumzuschlagen.
Gleich, ob man dabei eine Vorliebe für Actionfilme, Blockbuster oder Liebesfilme hat, alle Genres haben eines gemeinsam: die Hauptfiguren sind meistens Weiß. Besonders auffällig wird der Mangel an Diversität in der Sitcom „Friends“. Vor dem Hintergrund einer diversen Stadt wie New York wirkt die Gruppe der Freunde sehr homogen. Nicht-Weiße übernehmen in der Serie grundsätzlich nur Nebenrollen wie Kellner, Rezeptionisten oder die der Ex-Freundinnen. Auch bei Actionfilmen, wie dem 2016 veröffentlichten Film „The Great Wall“ vermisst man diversere Serienhelden. Unter allen chinesischen Kämpfern ist es der Weiße Schauspieler Matt Damon, der am Ende den Sieg bringt. Dieses sogenannte „Whitewashing“, bei dem die Hauptrolle mit einer Weißen Person besetzt wird, obwohl der Film in China, Afrika oder Japan spielt, ist laut der Zeitschrift Musikexpress in Hollywood beliebt. Ohne Kritik bleibt dieses Vorgehen jedoch nicht.
Die amerikanisch-taiwanesische Schauspielerin Constance Wu twitterte 2016, dass man endlich aufhören müsse, den rassistischen Mythos zu verbreiten, dass nur ein Weißer Mann die Welt retten könne. Dieses mediale Verhalten lässt sich laut Frau Dr. Christiane Brosius, Professorin für Visuelle und Medienethnologie am Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien, auf den immer noch vorherrschenden Zivilisationsmythos Weißer Menschen zurückführen. Der Überlegenheitsgedanke säße wei-terhin tief im Denken vieler Menschen fest und zeige, dass wir das kolonialzeitliche Denken nicht hinter uns gelassen haben.
Erst ein „Recht auf Differenz“ ermöglicht eine tolerante, vielfältige Lebensweise
Die Serie „Scrubs“ sieht sich ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt. Vier Folgen der Serie zeigen verschiedene Schauspieler im Blackface und seien daher laut des Magazins Musikexpress als rassistisch einzustufen. Beim sogenannten Blackfacing werden die Gesichter von Weißen Schauspielern schwarz geschminkt, damit sie auf der Bühne eine Person mit dunkler Hautfarbe darstellen und somit karikieren können. In Zukunft sollen die fraglichen Episoden der Serie laut Angaben des Musikexpress aus dem Programm genommen werden.
Kritik sieht sich jedoch nicht nur Netflix, sondern auch Disney ausgesetzt. Im Klassiker „Dumbo“ trifft der Elefant auf ein paar Krähen, die im englischen Original afroamerikanischen Slang sprechen und der Anführer den Namen „Jim Crow“ trägt. Der Name „Jim Crow“ wird heutzutage als Sinnbild für den systematischen Rassismus gegen Afroamerikaner genutzt. Zensiert wird „Dumbo“ von Disney dafür nicht. Der Film wird lediglich mit einem entsprechenden Warnhinweis versehen.
Professorin Brosius erklärt diese Schwarze Stereotypenbildung mit der Kulturforschung des Professors Stuart Hall. Ihm zufolge diene dies vor allem der Erzeugung vom Spektakel des „Anderen“. Dieses Spektakel nehme dem Einzelnen die Handlungsmacht und ordnet ihn dem Gesamtnarrativ unter. Die Geschichte von Sklaverei und „legitimer Ausbeutung“ durch den „Weißen Menschen“ spiegele sich dabei wider und zeige, dass unser Sehen keinesfalls unschuldig ist. Ein weiteres beliebtes Motiv, das sich sowohl im deutschen Fernsehen als auch in großen Hollywoodproduktionen wie „King Kong“ wiederfinden lässt, ist der „Weiße Retter“. „White Saviorism“ bezeichnet die Geschichte eines privilegierten Weißen, der sich mit gut gemeinten Ideen aufmacht, um in armen Schwarzen Gemeinden ein gutes Werk zu vollbringen.
Dieses Narrativ lasse sich laut Professorin Brosius leicht als ein kolonialer und christlich-patriarchaler Mythos dekodieren. Die Expertin warnt jedoch davor, die Medienkultur zu sehr zu vereinheitlichen. Es gäbe durchaus Versuche, den sogenannten dominanten Diskurs zu durchbrechen und kritisch zu reflektieren. Stereotypen seien darüber hinaus ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Ordnung und nicht per se schlecht. Erst ein „Recht auf Differenz“ ermögliche eine tolerante, vielfältige und bunte Lebensweise. Jedoch müsse alles dafür getan werden, um ideologische, populistische und erniedrigende Formen von Stereotypen zu unterbinden.
Von Lina Abraham
...hat während der Coronapandemie ihre Liebe zum Schreiben und zum ruprecht entdeckt und war bis zum Ende ihres Studiums in Heidelberg Teil der Redaktion. Sie leitete das Ressort „Seite 1-3“ und erlebte, wie der ruprecht im Jahr 2021 als beste Studierendenzeitung Deutschlands ausgezeichnet wurde. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine Recherche über das Unternehmen „Heidelberg Materials“ und dessen Umgang mit Menschenrechten in Togo. Lina ist weiterhin journalistisch aktiv und schreibt für das Onlinemagazin Treffpunkteuropa. Zudem ist sie als Podcast Autorin beim BdV tätig und berichtet über Flucht und Vertreibung in Europa.