In Polen wurde gewählt und für die deutschsprachigen Medien gibt es einen klaren Gewinner der Herzen: Rafał Trzaskowski von der Platforma Obywatelska (PO – Bürgerplattform) und Bürgermeister Warschaus. In der Stichwahl um das Präsidentenamt am 12. Juli 2020 erreichte Trzaskowski 48,97 Prozent der Stimmen und lag damit knapp hinter dem amtierenden Präsidenten Duda, der 51,03 Prozent erhielt.
Die österreichische Zeitung Der Standard nennt Trzaskowski die „Hoffnung von Polens Liberalen“, die Süddeutsche Zeitung bezeichnet die Wahl als „progressive Liberale gegen rückwärtsgewandte Bewahrer“. Zeit Online sieht im knappen Ausgang der Polenwahl gar „ein Erstarken der linksliberalen Opposition“ und selbst die linke Taz nennt Rafal Trzaskowski den „liberalen Herausforderer“. Nur: Trzwaskowski ist weder progressiv, noch links, noch liberal im weitesten Sinne. Seine Partei, die PO, ist wie die CDU und die CSU ein Mitglied der Europäischen Volkspartei. Sie ist jedoch deutlich konservativer in ihren Werten und deutlich neoliberaler in ihrer Wirtschaftspolitik.
Trzaskowskis Wahlkampf kam fast vollständig ohne politische Werte, Programme oder gar Versprechen aus. Er unterschrieb eine Erklärung, die Rechte von LGBT-Personen zu unterstützen. Gleichberechtigte Ehe, Adoptionsrecht oder Schutz vor Diskriminierung – so weit möchte Trzaskowski aber nicht gehen. Besonders liberal ist das nicht. Mehr Unterstützung für einkommensschwache Familien, für Geflüchtete, eine grüne Wende? Das alles findet sich nicht im Programm. Ja, Trzaskowski ist pro-europäisch, steht für mehr Zusammenarbeit auf EU-Ebene, aber das ist für sich keine progressive oder linke Position. Auch konservative und libertäre Parteien und Politiker können pro-EU sein.
Tatsächlich ging Trzaskowski mit nur einem Versprechen in die Wahl: Er ist der Anti-Duda. Der amtierende Präsident ist der „Kugelschreiber“ der rechtsnationalen PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit), der den antidemokratischen Umbau von Medien und Gerichten vorantreibt. Trzaskowskis zentrales Versprechen war es, den Rechtsstaat und die Demokratie zu achten. Das ist weder links, noch liberal, noch besonders progressiv, sondern schlicht und einfach das grundlegende Minimum.
Und einen Präsidentschaftskandidaten, dessen einziges Versprechen es ist, die Verfassung zu respektieren, als linksliberal zu bezeichnen wirft übrigens auch kein gutes Licht auf Konservative. Nur so nebenbei.
Hannah Steckelberg studiert Osteuropastudien und Germanistik im Kulturvergleich. Seit 2016 ist sie beim ruprecht – erst nur als Fotografin, seit 2017 auch als Autorin. Am liebsten schreibt sie Reportagen aller Art sowie ihre Kolumne “Hochschule bleibt stabil”. 2019/20 leitete sie zwei Semester lang das Ressort Seite 1-3, inzwischen lebt sie in Wien.