Ihr habt letztes Semester einen Lesekreis am Philosophischen Seminar gegründet. Zuerst über „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir, dieses Semester über Philosophinnen in der Philosophiegeschichte. Wie seid ihr dazu gekommen?
Heide: Ich hatte „Das andere Geschlecht“ zuhause und war begeistert davon. Außerdem hatten wir uns über Sartre aufgeregt.
Charlotte: Ich hatte die Einleitung gelesen und dachte: Warum liest das niemand? Wir sind doch an der Philosophischen Fakultät, dann mache ich eben selbst einen Lesezirkel.
Warum ist Feminismus so ein wichtiges Thema?
Heide: Es gibt denkende Frauen, Philosophinnen, aber die werden totgeschwiegen. Wir versuchen, dagegen etwas zu unternehmen.
Charlotte: Das Totschweigen ist ein Symptom der männlich dominierten Strukturen an der Uni. Die ganze Gesprächsatmosphäre im Seminar ist männlich dominiert. Man liest nur männliche Autoren. Immer noch sind Denken und Geist mindestens implizit an Männlichkeit geknüpft.
Wart ihr schon Feministinnen bevor ihr angefangen habt, Philosophie zu studieren?
Charlotte: Als ich anfing Philosophie zu studieren, war ich sehr jung. Da war ich keine Feministin. Ich bin im Studium erst politisch geworden. Aber dann hat es nochmal gedauert, bis ich wirklich ein explizit feministisches Bewusstsein entwickelt habe. Aber mein Feminismus kommt dabei aus einer oppositionellen Haltung zu der an der Uni gelebten.
Heide: Ich bin viel älter und immer wieder geflasht, dass Vieles immer noch wie vor 50 Jahren ist. Das bringt mich dazu, aktiv etwas unternehmen zu wollen. Der Überzeugung, dass, wie Simone de Beauvoir sagt, alles anerzogen sei, war ich schon lange. Aber die Spülmaschine räumt sich nicht aufgrund von dieser Haltung aus.
Welches Klischee über Feminist*innen stimmt nicht?
Charlotte: Dass sie sexuell frustriert sind. Sie sind im Gegenteil bemüht, sich mit ihrer Sexualität zu beschäftigen, sie auszuleben. Es stimmt nicht, dass hässliche Frauen Feministinnen werden, weil sie nicht begehrt werden. Ich kenne so viele, so hübsche Frauen, die deshalb Feministinnen sind, weil sie so oft belästigt wurden.
Welches Klischee über Feminist*innen stimmt?
Heide: Ich persönlich kenne keinen feministischen Mann. Wenn Männer es nicht gut finden, dass Frauen geschlagen werden, denken sie, sie wären Feministen. Das reicht bei Weitem nicht. Es gibt noch andere Arten von Gewalt. Zum Beispiel, einer Frau nicht zuzuhören oder der Frau eine gewisse Rolle zuzuordnen.
Woran erkennt man einen Feministen?
Charlotte: Wenn jemand in frauenfeindlichen Situationen, die wir als die Normalität sehen, den Mund aufmacht. Feminismus ist auch Aktivismus. Auch im Alltag.
Wer besucht den Lesekreis? Auch Männer?
Charlotte: Wir sind 20 Leute, ein Viertel davon sind Männer.
Heide: Interessierte Studierende. Viele hören nur zu und beteiligen sich nicht am Gespräch. Keine kriegerischen Feministinnen.
Charlotte: Gibt es schon auch. Alles ist dabei.
Und woran liegt es, dass manche sich nicht trauen, sich zu äußern?
Heide: Das sind häufig Frauen. Junge Männer hingegen denken oft: Die ganze Welt freut sich wahnsinnig, wenn ich jetzt meine Gedanken, die völlig abschweifen, allen Anwesenden mitteile.
Wie war die Rückmeldung der Studierenden?
Charlotte: Für viele war es ein geschützter Raum, wo sie Gedanken äußern konnten, die sie sonst nicht sagen würden. Teilweise nicht mal im Freundeskreis. Das Verlangen nach feministischen Themen an der Uni ist sehr groß.
Inwieweit hat euch der Lesekreis selbst verändert?
Charlotte: Für mich war es eine neue Erfahrung, mal in der leitenden Position zu sein. Das hat mich sehr gestärkt in meinem Selbstbewusstsein. Es hat mich auch feministisch gestärkt, weil ich dann Leute um mich haben konnte, die diese Themen wichtig finden.
Welche weiteren Pläne habt ihr bezogen auf den feministischen Lesekreis?
Heide: Nächstes Semester wollen wir wieder einen machen.
Charlotte: Auf jeden Fall was Feministisches. Es wird auch ein Proseminar „Einführung in die feministische Philosophie“ geben, finanziert durch Qualitätssicherungsmittel, das die Fachschaft organisiert hat. Von Seiten der Lehrenden kriegt man nichts. In den ganzen Jahren, die ich hier studiert habe, gab es einen einzigen feministischen Kurs, von einer amerikanischen Doktorandin zu Judith Butler. Es gibt feministische Philosophie, aber sie wird einfach nicht gelehrt. Diese selektive Bildung kann nur politische Gründe haben.
Heide: Zu jeder Epoche gibt es bekannte Schriften von Frauen. Man scheint aber immer noch zu meinen, das sei minderwertig. Die Dozenten meinen, sie sind völlig unschuldig daran. Viele denken bestimmt, sie seien Feministen. Machen aber nichts.
Das Gespräch führte Ruth Fuentes
Ruth Lang Fuentes studiert Mathematik. Sie schreibt seit dem SoSe 2020 für den ruprecht über politische Anliegen der Studierenden, sowie über Film und Kino in Heidelberg. Nebenbei schreibt sie einen Blog über Film und Feminismus, ein Thema, das sie auch im ruprecht mehr aufgreifen möchte. Seit dem WiSe 2020/21 leitet sie das Ressort Online.
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.