Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg soll reformiert werden – das fordert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, und legt einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. Doch besonders das geplante Verhüllungsverbot, eine Wiedereinführung des Ordnungsrechts und die Unterminierung der Studierendenräte sorgen für eine Welle des Protests. Was die Novellierung des Landeshochschulgesetzes für das universitäre Leben bedeutet und warum sie so viel Kritik auslöst.
„Der Gesetzentwurf soll die Handlungs- und Kooperationsfähigkeit der Hochschulen verbessern und Verantwortlichkeiten präzisieren. Zudem wird die Verantwortung der Hochschulen für eine nachhaltige Entwicklung festgeschrieben“. So wird die Neufassung des Landeshochschulgesetzes (LHG), die das Hochschulrecht reformieren soll, auf der Webseite der Bürgerbeteiligung Baden-Württemberg (Hochschulrecht: Beteiligungsportal Baden-Württemberg.de (baden-wuerttemberg.de)) beworben.
Das klingt zuerst großartig, denn beispielsweise im Kampf gegen die Klimakrise können ohne gesetzliche Verpflichtungen kaum Fortschritte gemacht werden. Doch im Gesetzesentwurf fallen vor allem andere Themen auf: die Wiedereinführung des Ordnungsrechts, ein Verhüllungsverbot, der Entzug der Legitimation für Studierendenräte. Das stößt vielen sauer auf – es regt sich Widerstand, auch in Heidelberg. Am 30.10. nahm der StuRa am bundesweiten Aktionstag zur Novellierung des Landeshochschulgesetzes teil und demonstrierte auf dem Universitätsplatz. Auf der Webseite des StuRa (Studierendenrat der Universität Heidelberg – LHG-Novellierung 2019/20 (uni-heidelberg.de)) sind neben Kritik an der Neufassung eigene Verbesserungsvorschläge und Anmerkungen zu finden: Unter den Überbegriffen „Hochschule demokratisieren“, „Studierende stärken“ & „Verantwortung wahrnehmen“ werden konkrete Vorschläge gemacht, wie Hochschulen modernisiert werden können und das Gesetz verbessert werden kann. Außerdem gibt es virtuelle Kampagnen und Gespräche mit Medienvertreter:innen, ebenso wie den unmittelbaren Austausch mit Politiker:innen.
Besonders stark wird dabei die Wiedereinführung des Ordnungsrechts in §62a kritisiert. Ordnungsverstöße sind dann nicht nur Sexual- und Gewaltdelikte, sondern auch „die Störung des bestimmungsmäßigen Betriebs einer Hochschuleinrichtung […] oder die erhebliche Beeinträchtigung eines Mitglieds der Hochschule in der Ausübung ihrer oder seiner Rechte oder Pflichten.“ Hier wird festgelegt, auf welche Ordnungsverstöße das Rektorat zu reagieren hat – allerdings birgt diese Neuerung erheblichen Interpretationsspielraum.
Studentische Gruppen sehen vor allem politischen Aktivismus in Gefahr: Ist ein Sitzstreik in einem leeren Hörsaal schon ordnungswidrig, oder eine Demonstration auf dem Universitätsplatz? Was ist eine „erhebliche Beeinträchtigung“? Wie ist eine Störung definiert? Da diese Fragen allein vom Urteil des Rektorats abhängen, ist für Studierende und Aktivisti im Vorfeld kaum einzuschätzen, wann ihr Aktivismus eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Verschiedene Studierendenvertretungen in ganz Baden-Württemberg befürchten nun eine Entpolitisierung der Hochschulen und einen Rückgang an demokratischer Teilhabe der Studierenden an der Hochschule (Stellungnahme zum Gesetzentwurf (4. HRÄG) – Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg (lastuve-bawue.de)).
Ebenso problematisch ist §65a: „Das Kollegialorgan der Studierendenschaft (legislatives Organ) organisiert sich nach demokratischen Grundprinzipien in parlamentarischen Strukturen.“ Hier wird ignoriert, dass Studierende in Deutschland nicht nur durch Studierendenparlamente, sondern auch durch Studierendenräte vertreten werden – wie auch in Heidelberg. Studierendenräte werden genauso nach demokratischen Prinzipien geführt, sind aber nun mal keine Studierendenparlamente, und widersprechen so dem Landeshochschulgesetz. Noch hat das keine Konsequenzen, trotzdem wird ihnen aber die Legitimation und damit die Rechtssicherheit entzogen, weil unklar bleibt, was diese Änderung konkret für die Studierendenräte bedeutet.
Der dritte große Kritikpunkt: das Verhüllungsverbot an Universitäten. Laut §9, 1a kann die Hochschule die Gesichtsverhüllung untersagen „unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit oder zur Identitätsfeststellung, oder […] zur Erreichung des Ziels einer konkreten Lehrveranstaltung.“ Wieder ist der Artikel schwammig formuliert, lässt viel Raum zur Interpretation und ist für Betroffene schwer zu deuten. Wann kann das Ziel einer Lehrveranstaltung durch Verhüllung verhindert werden? Wie so vieles liegt auch die Antwort darauf im Gestaltungsspielraum des Rektorats.
Noch ist das Gesetz nicht rechtskräftig – zuerst muss es im Landtag beraten und beschlossen werden. Bis zum 26. August war es möglich, auf der Webseite der Bürgerbeteiligung zum neuen Gesetzesentwurf Kommentare abzugeben; auch den Studierendenvertretungen wurde vier Wochen Zeit gegeben, um sich zu positionieren. Selbst in der Rede zum Auftakt des akademischen Jahres 2020/21 von Rektor Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard Eitel ist von der Novellierung des Landeshochschulgesetzes die Rede. Er spricht vom Verlust der Wissenschaftsfreiheit, und warnt eindrücklich davor, die Wissenschaft zu stark in den Dienst der Politik zu stellen: „Aber indem politische Interessensgruppen unterschiedlichster Herkunft versuchen, sich der Universität zu bedienen oder sie gar einzuspannen, dann geht Universität, in ihrer ganz der Wahrheit und der Erkenntnis verpflichteten Form, unter“. Ein eindrücklicher Appell, der zeigt, dass auch das Heidelberger Rektorat nicht begeistert ist von den angekündigten Änderungen.
Lässt sich das Gesetz noch verhindern? Schwer zu sagen, da es nun an der Politik liegt, die Kritik aufzunehmen oder die Novellierung endgültig zu beschließen. Bis dahin wird es weitere Diskussionen, Petitionen und Vorschläge geben – hoffentlich nicht umsonst.
Julia Liebald
...studiert Geschichte und Germanistik und ist seit 2020 beim ruprecht aktiv. Nach der Leitung der Ressorts Studentisches Leben und Weltweit interessiert sie sich inzwischen vor allem für das Layout.