Pro:
Die Dynamik und Atmosphäre einer Präsenzvorlesung kann durch Online-Lehre nicht ersetzt werden, aber die Online-Lehre bietet auch Chancen!
Zusammenfassend kann man sagen, dass die digitale Lehre zu Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie uns zwar vor Herausforderungen gestellt hat, aber auch viele Möglichkeiten eröffnet hat, die universitäre Lehre dauerhaft zu verbessern.
Contra:
Lina steht der Online-Lehre zwiespältig gegenüber. Einerseits erkennt sie deren aktuelle Notwendigkeit und glaubt, dass die Online-Lehre nicht als pauschal „schlecht“ abgestempelt werden kann. Anderseits ist sie derMeinung, dass die Online-Lehre nie den Präsenzunterricht mit all seinensozialen Aspekten ersetzen können wird.
1. These: Durch die Corona-bedingten online Vorlesungen gehen viele interaktive Aspekte des Studierens verloren. Studierende sind zunehmend darauf angewiesen, sich in komplexen Themenbereichen selber zu orientieren.
Pro: Das kann ich so gar nicht unterschreiben, denn zumindest in meiner Vorlesung sind ganz im Gegenteil Interaktionsmöglichkeiten dazu gekommen! Ich halte die Vorlesungen Physik A+B als Zoom Webinar, und dort gibt es außer einem Chat das Q&A-Tool, mit dem eine viel strukturiertere und somit effizientere Kommunikation möglich ist, als das bei einer Präsenzveranstaltung der Fall ist. Die Studierenden können in Zoom nämlich die von anderen gestellten Fragen bewerten, sodass die am höchsten bewertete Frage bei mir ganz oben auf der Liste erscheint, und diese beantworte ich dann zuerst. Wenn ich dagegen im Hörsaal jemandem das Wort erteile, weiß ich nicht, ob er oder sie eine interessante Frage stellen wird.
In Zoom gibt es ebenfalls die Möglichkeit Fragen anonym einzusenden, wodurch die Hemmschwelle Fragen zu stellen gesunken ist. Man merkt das daran, dass vergleichsweise mehr Studierende Fragen online stellen, als das in der Präsenzvorlesung der Fall war. Fragen, die in der Live-Vorlesung aus zeitlichen Gründen nicht beantwortet werden können, speichere ich und gehe bei der nächsten Vorlesung darauf ein.
Contra: Ein weiteres Online-Semester lässt vor allem die Dinge vermissen, die sonst im regulären Hochschulbetrieb selbstverständlich erscheinen: Soziale Aspekte wie Flur- oder Campusgespräche mit Kommilitonen und Kommilitoninnen, gemeinsames Mittagessen in der Mensa und direkten Kontakt mit dem Lehrenden. Die Möglichkeit kurz nach der Vorlesung am Dozentenpult stehen zu bleiben, um noch eine Frage zu stellen, fällt vollständig weg. Stattdessen sind Studierende dazu verdammt, auf einen Bildschirm zu starren, in der Hoffnung, dass der Live-Stream nicht schon wieder den Geist aufgibt. Das Privileg der interaktiven Nachfrage kommt nur denjenigen zu, die über ein funktionierendes WLAN und über genug Mut verfügen, vor dem ganzen Kurs eine Frage zu stellen.
2. These: Das online Studium ist flexibler, dadurch können Studierende sich die Zeit besser einteilen, in der sie die Vorlesungen besuchen möchten und gegebenenfalls die Vorlesungen wiederholen.
Pro: Ja, das stimmt, zumindest bei den Vorlesungen, die auch asynchron als Videoaufzeichnung angeboten werden. Aus diesem Grund zeichne ich meine Zoom-Webinare auch auf und stelle die Videos den Studierenden über Moodle und HeiBox zur Verfügung. Einige Studierende haben mir erzählt, dass sie sich meine Aufzeichnungen bei höherer Abspielgeschwindigkeit anschauen, das spart dann also Zeit!
Aber es liegt natürlich auch eine Gefahr darin, dass man sich die Vorlesung anschauen kann wann man will, denn zu Hause auf dem Sofa der Studierenden konkurrieren wir Lehrenden wahrscheinlich oft mit Netflix, YouTube & Co., und es fehlt der soziale Druck, zur Vorlesung in den Hörsaal zu kommen.
Wenn eine Vorlesung ausschließlich asynchron vorliegt (und nicht vorher auch live angeboten wird), geht ein Stück Alltagsrhythmus verloren. Das Anschauen der Aufzeichnung sollte idealerweise nur in Ausnahmefällen als Notlösung genutzt werden, und die überwältigende Mehrheit der Studierenden in meiner Vorlesung macht das auch genauso.
Contra: Online Lehre verlangt ein hohes Maß an Eigenständigkeit. Dies mag für mehr Flexibilität im Alltag sorgen, erhöht jedoch grundsätzlich den Druck auf Studierende. Ohne die altbekannten Strukturen führt die Arbeitsbelastung im Digitalsemester zu immer mehr psychischen Belastungen und einem Gefühl der Überforderung. Darüber hinaus verlagert sich der Lebensmittelpunkt im reinen Online-Semester in die eigenen vier Wände. Eine vergleichbare Lernatmosphäre zum Hörsaal oder der Bibliothek kann im heimischen Kinder- oder WG-Zimmer so gut wie nie hergestellt werden. Betroffen sind vor allem diejenigen, die vor der Einsamkeit oder aus Geldmangel zurück ins „Hotel Mama“ geflohen sind. Sozial angespannte Situationen, wie die Vereinbarkeit von familiären Verpflichtungen und Studium, gehören für viele wieder zum Alltag.
3. These: Die Online-Lehre ist zurzeit weder strukturiert noch einheitlich, da ein gemeinschaftliches Konzept fehlt. Der ständige Wechsel zwischen unterschiedlichen Formaten führt zu Verwirrung bei den Studierenden.
Pro: Ein einheitliches Format würde die Lehrenden erheblich in ihren didaktischen Möglichkeiten einschränken und somit potenziell der Qualität der Lehrveranstaltungen schaden. Deswegen würde ein von oben verordnetes oder fakultätsweites beschlossenes, einheitliches Lehrkonzept bei mir – auch angesichts der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Forschung und Lehre – eine erhebliche Bockigkeit hervorrufen.
Außerdem sehe ich die jetzige Situation als große Chance, die Lehre durch den gerade ablaufenden kreativen Prozess nachhaltig zu verbessern. Denn viele der didaktischen Konzepte, die meine Kollegen und Kolleginnen jetzt ausprobieren, werden in Zukunft sicherlich auch in Präsenzveranstaltungen übernommen werden, wenn sie sich bewährt haben.
Als sehr nützlich hat sich an unserer Fakultät auch der Austausch unter den Lehrenden über die verschiedenen Vorlesungsformate erwiesen, und darüber, welche besser oder weniger gut in der Praxis funktioniert haben.
Abschließend möchte ich noch einen weiteren positiven Aspekt der derzeitigen Krise erwähnen. An unserer Fakultät hat sich die technische Ausstattung deutlich verbessert, finanziert vor allem durch die Sondermittel, die das Ministerium relativ kurzfristig für genau diesen Zweck zur Verfügung gestellt hat. Auch davon werden die Studierenden in Zukunft profitieren.
Contra: Mit enormem Zeitdruck versuchen die Universitäten die Präsenzlehre auf eine reine Online-Lehre umzustellen. Ein Vorhaben, das im Hinblick auf die jahrelange Vernachlässigung der Digitalisierung nur scheitern kann. Das Ergebnis ist ein didaktisches Wirrwarr. Während in einem Fach die Online-Lehre kreativ gestaltet wird, verfügt der andere Professor nicht einmal über den nötigen Netzanschluss. Darüber hinaus bleibt weitgehend ungeklärt, wann und wie Pflichtpraktika nachgeholt und wie Klausuren zukünftig gehandhabt werden. Während in manchen universitären Lehrveranstaltungen erst gar keine Klausuren geschrieben werden, stellt sich bei anderen Fächern die sicherste und populärste Testmethode, der Multiple-Choice-Test, als schlicht und ergreifend unbrauchbar dar. Es bleibt fraglich, wer dabei noch den Überblick behalten soll.
Thesen von Emma Engel
Meinungen aus der Studierendenschaft
„Ich bin selber Ersti und würde sagen: Ja. Ein bisschen weniger lernt man schon, aber die Zeit ist auf diese Weise nicht verschwendet.“
„Es lohnt sich auf jeden Fall, um einen Einblick in sein Studium zu bekommen und online bekommt man alle Infos. Es ist nur schade, dass es keine Erstiwoche gab. Jetzt kennt man die Leute halt nur von heiCONF.“
„Ja. Ein, zwei Bekannte von mir haben jetzt angefangen und haben beide gut Kontakt gefunden. Mir selbst fällt das online-Studium leicht. Es läuft sogar besser als zuvor.“
Umfrage und Fotos: Nicolaus Niebylski