2020. Was für ein Jahr. Ein gefrorener See. Ich in der Mitte. Und plötzlich bricht das Eis. Im März fielen wir mit der vollen Wucht in das kalte Wasser – Unsicherheit, Panik und ein steiler Weg in den Wahnsinn fingen uns auf. Winter ist nun eingebrochen und die Eisdecke schließt sich wieder. Ich zumindest habe es aber nie an Land geschafft.
Alle Jahre wieder kommt diese Zeit: Es ist Jahresende und ich versuche zu reflektieren. Dieses Jahr fällt es mir schwer. Was könnte ich bloß aus so einem chaotischen, verworrenen, von Anarchie geprägten Jahr für ein Fazit ziehen?
Ich merke, ich kann 2020 – so sehr ich es will – unmöglich in Worte zusammenfassen. Ich denke, das ist auch gar nicht nötig. Ein „Year in Review“, scheint mir, würde einfach nur Salz in die Wunde streuen – schließlich weiß doch jeder, was passiert ist. Das Jahr verlief für die meisten gleich: Jedem Bergauf folgte stets ein tieferes, steileres Bergab. Jede weitere Welle brachte einen Ozean an Ängsten mit sich. Das Leid, die Trauer, der Tod, die Isolation – ich bin sicherlich nicht die einzige, der nur die negativen Dinge in Erinnerung geblieben sind.
Früher habe ich mir immer gewünscht, Teil eines historischen Ereignisses sein zu können. Das würde ich gerne wieder zurücknehmen. Historische Ereignisse sind nach dem neunten Monat und dem millionsten Tod nur noch halb so erlebenswert. Mittlerweile kann ich nicht mal mehr die Nachrichten gucken, ohne dass mir die Tränen kommen.
War deswegen alles schlecht? Ich versuche, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ich habe gelacht, geliebt, umarmt, geküsst. Gelesen und gemalt, gelernt, gelernt, gelernt und getanzt, als das Lernen vorbei war. Ich habe getrunken und getorkelt, verstanden, was es bedeutet, sich trotz Abstand jemandem nahe zu fühlen und habe Abstand eingehalten, obwohl alles in mir die Barriere brechen wollte – ob nun wegen Corona oder nicht. In meinem Jahresfazit müsste das Glück doch eigentlich die Sorge überwiegen.
Mittlerweile erscheint es aber, als würde das Glück niemanden mehr so richtig erreichen wollen. Kleine Wohnungen verkleinern mit jedem lockdownverschuldeten Tag den Willen, aufzustehen und sich auch einfach nur die Zähne zu putzen. Viele Nächte sind von der Angst gekennzeichnet, hier nie wieder rauszukommen. Die Platzangst verschwindet auch nicht bei offenem Fenster. Muss deswegen alles andere, Positive verschwinden?
Darf man keinen Schritt mehr wagen, aus Angst den nächsten nicht mehr zu schaffen? Dürfen wir nicht mehr lieben, aus Angst verletzt zu werden? Ist die Hoffnung so sinnlos, weil die Enttäuschung immer so viel größer ist? Vielleicht. Die Stimme in meinem Kopf sagt Ja. Ich selber kann es nicht so genau sagen. 2020 hat selbst mir die Freude am Philosophieren genommen.
Was soll denn da aus 2021 werden? Die Krise lässt es wohl nicht zu, ein ständiges Feuerwerk von Glück, Aufregung und Spannung zu haben. Etwas daran ändern kann keiner von uns. Aber die Momente, die ich in 2020 wertgeschätzt habe, verlieren dadurch nicht an Bedeutung. Am Ende müssen für mich die Lichtblicke eben einfach nur Lichtblicke bleiben. Und vielleicht sollte ich optimistisch sein. Vielleicht gibt es im nächsten Jahr genug davon, dass ein bisschen mehr Dunkelheit besiegt werden kann.
Natascha Koch studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit 2019 für den ruprecht. In ihren Artikeln dreht es sich um aktuelle politische und gesellschaftliche Trends und alles, was die Welt bewegt – oder auch nur das Internet. Seit 2020 leitet sie das Ressort für die Seiten 1-3.