Heidelberger Geografen erstellen Karten für Einsatzkräfte auf den Philippinen. Mit Informationen aus Sozialen Netzwerken werden diese aktualisiert
Während sich die philippinische Regierung und dessen Verteidigungsminister Gazmin nach dem verheerenden Taifun Haiyan gegen Vorwürfe wehrten, die Notversorgung und Katastrophenhilfe auf den Philippinen sei nicht schnell genug angelaufen, und dass erst nach sechs Tagen die ersten Hilfsgüter auch abgelegenere Schauplätze erreichten, waren junge Heidelberger Studenten schon von der ersten Stunde an wirksam im Katastropheneinsatz.
Wie das? Das Stichwort lautet „CrisisMapping“. Es handelt sich dabei um eine relativ neue Art der Krisenkommunikation, die sich erst in den letzten Jahren und mit Entwicklung und Verbreitung von sozialen Medien etabliert hat. „CrisisMapping“ visualisiert Folgen von Katastrophen auf digitalen Krisenkarten. Eine Informationsbereitstellung für Einsatzkräfte ist dadurch fast in Echtzeit möglich, und stellt ein enormes Potential und Verbesserung im derzeitigen Katastrophenmanagement dar.
Unzählige Leute waren gekommen, der Hörsaal der Zoologie fast überfüllt
Auf den Philippinen ist nach über zwei Wochen die Zahl der Toten auf über 5500 gestiegen, wie die Behörde für Katastrophenschutz berichtete. Über 1700 werden noch vermisst. 26 000 Menschen wurden verletzt. Eine halbe Million Häuser wurden zerstört, eine weitere halbe Million beschädigt. Die Hilfsaktionen von Rettungskräften, vor allem in den durch die Zerstörung abgeschnittenen Regionen, kommen nur schleppend voran. Der einzige Flughafen in der Region wurde völlig zerstört. Hilfsgüter müssen teils mühsam auf dem Seeweg und weiter mit dem Hubschrauber ins Katastrophengebiet gebracht werden. Unpassierbare Straßen erschweren zudem das Vordringen in die hilfsbedürftigen Gebiete. Niemand wusste nach dem Taifun genau, wie es an den Orten aussieht, zu denen noch keine Einsatzkräfte gelangen konnten. Information und Koordination für die Hilfskräfte sind gefragt und das A und O einer erfolgreichen Katastrophenhilfe.
Die Gruppe „Disaster Mappers Heidelberg“ und die Geoinformationsabteilung des Geographischen Instituts Heidelberg nahmen nach dem verheerenden Taifun Haiyan die Zügel selbst in die Hand und appellierten am 14. November an die Studentenschaft, sich an einem gemeinsamem CrisisMapping Event zu beteiligen. Die Professoren Alexander Zipf und João Porto de Albuquerque forderten zusammen mit dem Masterstudent SvendJonas Schelhorn und den wissenschaftlichen Mitarbeitern Andreas Reimer und Pascal Neis des geographischen Instituts Heidelberg, Studenten und Kommilitonen in einer öffentlichen Infoveranstaltung und zuvor über den Univerteiler dazu auf, „nicht nur von Gutem zu reden, sondern auch Gutes zu tun“. Die Hilfe jedes Einzelnen zähle.
Unzählige Studenten waren gekommen – der große Hörsaal der Zoologie fast restlos gefüllt. Zu Beginn fand eine Einführung zum Thema CrisisMapping statt und grundlegende Konzepte wurden erklärt. Anschließend wurde eine gemeinsame „MappingParty“ veranstaltet. Über 40 Studenten nahmen daran teil. Ausgestattet mit Schokolade, Chips, Bier und Laptop – ansonsten eher von nerdigen LANPartys bekannt – wurden so bis in die Nacht betroffene Regionen mit Hilfe von Satellitenbildern und topographischen Karten kartiert und aktualisiert. Genutzt wurde hierfür die Online Plattform des Projekts OpenStreetMap (OSM), mit dem freie geografische Daten gestaltet und bereitgestellt werden können. Es kann als eine Art „Wikipedia der Karten“ bezeichnet werden und verfolgt frei zugängliche, vollständige geographische Kartendaten der Welt.
Gegründet im Jahr 2004, hat das Projekt bereits mehr als eine Million Mitglieder. Jeder kann sich dort anmelden und in kurzer Zeit Informationen hinzufügen und zum Kartografen werden. In Verbindung mit dem Humanitarian OpenStreetMap Team (HOT) und einem Mitarbeiter aus den USA, Andrew Buck, der live per Skype zugeschaltet war, wurde das Katastrophengebiet neu unter die Lupe genommen. Buck stand in direktem Kontakt mit Einsatzkräften vor Ort und wusste genau, welche Geoinformationen am dringendsten benötig wurden. Die Aufgabe der Studenten war es, Orts und Städtenamen sowie Straßenverläufe und Informationen zur Landnutzung in der betroffenen Provinz Leyte und auf der Insel Samar neu zu digitalisieren. So wurden Kartenebenen, auch Layer genannt, erstellt, die beschädigte Häuser und unpassierbare Straßen anzeigten. Um deuten zu können, wo sich viele Menschen befinden könnten, wurden Daten zur Bevölkerungsdichte hinzugefügt. Des Weiteren wurde ein „Elements at Risk“ Layer erarbeitet, der Informationen über kritische Elemente oder Infrastrukturen wie beispielsweise Schulen und Krankenhäuser bereitstellt. Außerdem hat man geolokalisierte Bilder von Instagram zur erstellten Krisenkarte hinzugefügt.
Die Krisenhelfer erhalten das Kartenmaterial kostenlos
Die Daten werden regelmäßig aktualisiert und stammen aus unterschiedlichen Quellen. Das Ergebnis der Krisenkarte wurde durch die Gruppe GI Science Heidelberg visualisiert und ist online unter http://crisismap.geog.uni-heidelberg.de/einzusehen. Diese Kartendaten dienen anschließend den Hilfsorganisationen und Krisenhelfern, um die Koordination der Katastrophenhilfe vor Ort zu erleichtern. Weltweit haben sich in nur einer Woche mehr als tausend Freiwillige an ihre Rechner gesetzt und OSM genutzt. Nach zwei Wochen konnten über vier Millionen Kartenänderungen in der betroffenen Region verzeichnet werden. Darüber hinaus gibt es weitere Plattformen des Crisis Mapping und Crowdsourcing, die für die Katastrophenhilfe arbeiten und beispielsweise schnellstmöglich die Informationsflut aus Social-Media-Strömen, wie Twitter oder Facebook Nachrichten und Medienmeldungen, sammelt, auswertet, in Karten veranschaulicht und für die Katastrophenhilfe bereitstellt. Eine der Hauptherausforderungen im CrisisMapping stellt bislang jedoch noch die Datenverfügbarkeit dar. Krisenmapper sind auf hochaufgelöste, aktuelle Satellitenbilder angewiesen – Bilder, die kurz nach einer Katastrophe gemacht wurden. Je aktueller Satellitenbilder, desto teurer sind sie in der Regel auch. Ein Sonderabkommen mit den Vereinten Nationen stellt zwar bereits sicher, dass die Krisenhelfer das Material für ihre Karten kostenlos bekommen. Trotzdem muss die Verfügbarkeit solcher Quellen und die Geschwindigkeit der Herstellung derartiger Bilder zur Verwendung für die CrisisMappingCommunity noch verbessert werden.
„Ein nächstes Mal wird es sicher geben“ – Sven Schelhorn nach einer langen Nacht des „mappens“
Das Resümee in Heidelberg ist allerdings ohne weiteres positiv. Die Arbeit der „Disaster Mappers Heidelberg“ war durchaus erfolgreich. „Ich bin erstaunt und froh, wie gut das MappingEvent angenommen wurde und wie viele freiwillige Helfer wir hatten. (…) Ein nächstes Mal wird es sicher geben“, so Svend Schelhorn nach einer langen Nacht des „mappens“. So erfolgreich, dass aus dem Event ein ganzer „Mapathon“ wurde. Eine Woche und eine Wordneuschöpfung später wurde unter anderem zum „Munch“ aufgerufen, wo weitere Krisenmapper während eines Brunchs rekrutiert werden konnten. Insgesamt wurden um die 200 Studenten in das Feld eingewiesen und konnten somit ihren Beitrag zur Katastrophenhilfe auf der anderen Seite des Globus leisten.
Louisa Schneider