Bald steht nicht nur die nächste Klausurenphase an, es jährt sich auch der Beginn des ersten Lockdowns. Mittlerweile hatten die Universitäten auf der ganzen Welt Zeit sich an die Situation anzupassen, Online-Lehre ist Alltag. Die Organisation der Klausuren ist von Universität zu Universität unterschiedlich, viele setzen weiterhin auf Präsenz-Klausuren. Welche Entwicklungen und Konzepte kann man an ausländischen Universitäten beobachten?
Spieglein, Spieglein an der Wand
Das Problem bei Online-Klausuren liegt auf der Hand: Studierende befinden sich in ihren eigenen vier Wänden, der Zugriff auf Online-Quellen oder Lernzettel ist verführerisch leicht. Als Lösung kommt für viele Universitäten vor allem eine starke Überwachung der Studierenden in Betracht.
An der Universität Ankara werden die Klausuren mit eingeschalteter Videokamera geschrieben. Vor der vergangenen Prüfungsphase wurde allen Studierenden ein Spiegel zugeschickt. Dieser soll während der Prüfung so aufgestellt werden, dass man den Bildschirm und den Raum bzw. die Wand hinter dem Computer sehen kann. Die Prüfer wollen so sicherstellen, dass keine Spicker benutzt werden.
„ProctorU“
Die Universität Sydney bietet verschiedene Prüfungstypen an. Es gibt die Möglichkeit sogenannte „take-home releases“ anzufertigen: Dabei haben die Studierenden entweder ein paar Stunden oder sogar mehrere Tage Zeit, um eine Abgabe vorzubereiten. Open-Book-Klausuren gehören ebenfalls zu den gängigen Prüfungsformen. Den Studierenden ist es erlaubt das Internet oder Literatur zum Lösen der Klausur zu benutzen und es findet währenddessen keine Videoüberwachung statt. Des Weiteren benutzt die Universität für Online-Klausuren die Software „proctorU“, die die Identifikation und Kontrolle der Studierenden garantiert. Es gibt das „live+“ Format, bei dem die Software Schummeln anhand bestimmter Verhaltensmuster erkennt und daraufhin eingreift. Zusätzlich sind menschliche Aufsichtspersonen über die Videofunktion integriert. Bei einem anderen Format namens „review+“ wird die Prüfung ebenfalls mit laufender Kamera durchgeführt, damit das Programm verdächtiges Verhalten erkennen kann. Währenddessen ist allerdings keine menschliche Kontrollinstanz dabei. Findet das Programm einen Schummler, schickt es das Video des Prüfungskandidaten an den zuständigen Dozentinnen und Dozenten, der sich im Nachhinein um den weiteren Ablauf kümmert.
„Proctorio“
Auch die Klausuren in Maastricht finden zurzeit online statt. Die Universität greift auf die Software „proctorio“ zurück. Teilweise ist sie mit Sydneys „proctorU“ vergleichbar, denn auch hier werden Audio- und Videoaufzeichnungen der Studierenden angefertigt. Hinzu kommt allerdings, dass „proctorio“ die Tastaturanschläge und die Bildschirmaktivität aufzeichnet; es findet eine umfassende Überwachung statt. Diese Informationen werden von dem Programm ausgewertet und im Anschluss den Dozentinnen und Dozenten zur Verfügung gestellt.
Besserer Lerneffekt durch Zusammenarbeit?
Während die meisten Universitäten den Weg einer starken Überwachung einschlagen, ist die Vancouver Island University wesentlich studierenden- und privatsphärenfreundlicher. Die Dozentinnen und Dozenten können drei Online-Prüfungsformen wählen: Es gibt den normalen Multiple-Choice-Test, einen Multiple-Choice-Test mit unterschiedlichen Aufgaben für jeden Studierenden und sogenannte Short-Answers-Tests. Die Universität kann Schummeln nicht verbieten, da sie keine Möglichkeit sieht die Studierenden zu kontrollieren. Somit ist Zusammenarbeit erlaubt – die Universität erläutert sogar, dass diese den Lerneffekt fördert. Bei dem Multiple-Choice-Test mit individuellen Fragen und bei dem Short-Answers-Test ist eine Absprache mit Kommilitoninnen und Kommilitonen allerdings schwieriger und zeitaufwendiger. Bei Letzterem ist es außerdem nicht möglich die richtige Antwort im Internet zu suchen, weil es dabei auf das Denkvermögen und die Argumentation der Studierenden ankommt. Die Universität versucht ein anspruchsvolles Niveau der Prüfungen aufrechtzuerhalten, allerdings bleibt die Privatsphäre der Studierenden dabei unberührt.
Und wir?
An ausländischen Universitäten ist ein Trend zur massiven Überwachung der Studierenden während der Prüfungen erkennbar. Vancouver stellt eine der wenigen Ausnahmen dar. Auch wenn dadurch weiterhin ein anspruchsvolles Prüfungsniveau sichergestellt werden kann, ist der Eingriff in die Privatsphäre der Studierenden groß. An der Universität Frankfurt sollte probeweise eine Klausur mit „proctorU“ durchgeführt werden, diese wurde allerdings aufgrund datenschutzrechtlicher Probleme abgesagt.
Michelle Sieburg studiert Jura mit Schwerpunkt im Völkerrecht und schreibt seit dem Wintersemester 2020 für den ruprecht. Besonders gerne befasst sie sich mit aktuellen Ereignisses aus der ganzen Welt und gesellschaftskritischen Fragen.