Während in der Pandemie alle zu Hause bleiben, wird die Welt ins Digitale verlagert. Nicht nur Spiel- oder Filmabende und Vorlesungen, sondern auch religiöse Veranstaltungen finden nun auf Laptopbildschirmen statt. Digitale Gottesdienste sind inzwischen stark verbreitet. Die Stadt Heidelberg bietet auf ihrer Webseite eine Übersicht zu diesen Angeboten an. Hier kann man erkennen, dass in der Stadt viel mehr religiöse Gruppen zu finden sind als Katholiken und Protestanten.
So wird dort beispielsweise über den Online-Gottesdienst der Bahá’i informiert. Die Bahá’i stammen aus dem Iran und werden dort als größte, nicht-muslimische religiöse Minderheit verfolgt. Gegründet wurde die Religion von Bahāʾullāh und Bab in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es in Deutschland Bahá’i-Gruppen. Die Gemeinde in Heidelberg besteht sowohl aus Gläubigen, deren Eltern schon den Bahá’i Glauben praktizierten, als auch Menschen, die erst später im Leben damit in Berührung kamen. Die Gemeinde veranstaltet Jugendprogramme, Kindergruppen, Studienkreise und Andachten. Während der Pandemie führt sie ihre Angebote digital fort. Über E-Mail kann man den Link zu Zoom-Konferenzen erhalten, um an einer Andacht teilzunehmen. Sogar eine Andacht für Jugendliche wird angeboten.
Im Internet informieren weitere kleinere Religionsgemeinschaften über ihre Tätigkeiten während des Lockdowns.
So auch die „Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein“, kurz ISKCON. Der hinduistische Lehrer A.C. Bhaktivedanta Sawmi Prabhupada gründete die Religion in den 60er Jahren. Das „Bhakti“-Yoga Zentrum in Heidelberg gibt es seit über 30 Jahren. 2013 ist das Zentrum von Heidelberg in die nahegelegene Gemeinde Meckesheim umgezogen. Viele Rituale beziehen sich auf die vedische Kultur, die älteste Religion Indiens, welche als Grundlage Hinduismus und Buddhismus diente. Neben vedischen Ritualen spielt auch die vedische Kochkunst eine wichtige Rolle. Das Zentrum betreibt sogar einen Cateringservice. Die Speisen reichen von Früchten bis zu Süßigkeiten und werden Prasadam genannt. Sie sind strikt vegetarisch und werden als Opfergaben dargeboten. Nach diesem Prozess sind die Speisen spiritualisiert. In Zeiten von Corona veranstaltet ISKCON Gottesdienste über Zoom. Die Mitglieder haben während der Lockerungen auch kleine Feste gefeiert, die dann gestreamt wurden. Die Umstellungen bringen für die Gemeinde Schwierigkeiten, aber auch neue Möglichkeiten und Vorteile. Ein Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein betont: „Der Kontakt fehlt einfach: das direkte Gespräch, den Menschen richtig zu sehen.“ Doch er berichtet auch von vermehrten Kontakten unter der Woche, die durch digitale Angebote ermöglicht wurden. Mit der Webseite mayapur.tv gebe es zudem die Gelegenheit, ihre Gottesdienste mit der ganzen Welt zu teilen, oder an den Gottesdiensten Anderer teilzuhaben.
Auch islamische Veranstaltungen finden digital statt. Der Türkisch-Islamische Kulturverein überträgt jeden Donnerstag eine Koranrezitation live aus dem Gebetsraum der Heidelberger Moschee. Auf Instagram und Facebook informiert der Verein über kommende Veranstaltungen.
Die Synagoge der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg bietet momentan keine Veranstaltungen an. Auf der mit Bildern und Animationen gestalteten Webseite der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg erfährt man von Pre-Pandemie-Aktivitäten wie dem Kinderschabbat, dem Seniorenclub oder israelischen Tänzen. Wann Angebote wieder möglich sein werden, sei momentan nicht absehbar, so das Sekretariat der Gemeinde.
Zudem gibt es einige Zentren für Menschen mit buddhistischem Glauben. Eines davon ist das „Bodhi Path Zentrum“. Es hat sich in den 90er Jahren aus einer Meditationsgruppe entwickelt, und sich 2011 dem „Bodhi Path“, einem internationalen Verband von buddhistischen Zentren, angeschlossen. Ein Mitglied berichtet, dass im ersten Lockdown alles auf digitale Angebote umgestellt worden sei. Sowohl Meditationen als auch „Teachings“ finden seit dem Frühjahr 2020 über Zoom statt. Um diese Herausforderung zu stemmen, haben sich verschiedene Zentren zusammengetan und sich gegenseitig unterstützt. Dies habe den positiven Nebeneffekt, dass die Kooperation zwischen den Zentren besser wurde. Auch die Tatsache, dass nun Distanz keine Rolle mehr spielt, komme dem Zentrum zugute. Das Gemeindemitglied berichtet von einer geplanten Videokonferenz mit einem Lehrer, der sich aus Indien zuschaltet. Das Mitglied betont welche Vorteile es habe, dass eine größere Anzahl an Menschen aus aller Welt an Angeboten teilnehmen kann. Daher beabsichtigt das Zentrum digitale Angebote beizubehalten, selbst wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind.
Corona verändert Selbstverständlichkeiten. Auch Religion ist keine Ausnahme. Menschliche Nähe ist ein nicht zu vernachlässigender Aspekt von religiösem Beisammensein und an dieser mangelt es während der Pandemie. Durch Videokonferenzen lässt sich das Gefühl von Gemeinschaft ein Stück weit ins Wohnzimmer transportieren.
von Fynn Bastein