Heidelbergs Taeter-Theater spielt Kafka. Der Intendant Wolfgang Graczol verkörpert dabei alle Figuren
Unheimlich und intensiv nimmt Wolfgang Graczol seine Bühne ein. Der fantastische Streit zwischen Georg Bendemann und seinem Vater offenbart die unberechenbare und groteske Darstellung menschlichen Verhaltens, die Wolfgang Graczol einzufangen weiß.
Experimentell inszeniert er Franz Kafkas Erzählung „Das Urteil“ als Einpersonenstück in der alten Landfried-Zigarrenfabrik. Hier findet man heute das Taeter-Theater.
Es ist eines der unabhängigen Theater Heidelbergs und wurde 1987 von Wolfgang Graczol und seiner Frau Anne Steiner-Graczol in der Bergheimer Straße 147 gegründet. Ihr Mann erlernte die Schauspielkunst am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, sie ist Bühnenbildnerin und im Taeter-Theater übernehmen beide alle erdenklichen Rollen auf der und um die Bühne herum. So gibt Graczol neben dem Schauspieler, Dramaturgen und Regisseur auch den Bühnenarbeiter, Techniker, Kartenabreißer und sogar Barmann sowie nicht zuletzt den Intendanten. Unmittelbar vor der Gründung des Taeter-Theaters unterhielten die beiden Theatermenschen eine kleine unabhängige Schauspielgruppe, nachdem man Graczol bereits seit 1973 auf Heidelbergs Bühnen erleben konnte.
Die meisten Inszenierungen des Taeter-Theaters kommen mit einem oder gelegentlich zwei Schauspielern aus. In „Die geliebte Stimme“ steht ausschließlich Anne Steiner-Graczol auf der Bühne, in „Das Urteil“ und „Der Herr Karl“ ist es Wolfgang Graczol und die „Valentiniaden“ zeigt beide zusammen in wiederum ganz anderen Rollen. Hier geben sie in siebzehn Sketchen Karl Valentin und Liesl Karlstadts Kabarettkünste wieder und bringen damit Valentins Ausdruck humoristischer Dialektik auf die Bühne.
Nach dem „Urteil“ feierte eine zweite Inszenierung von Franz Kafkas Erzählungen am 30. November im Taeter-Theater Premiere und wird in jeder Woche im Dezember zu sehen sein. Graczol spielt „Elf Söhne“ und „Ein Landarzt“, beide Erzählungen werden aus der Perspektive des Protagonisten geschildert, beide handeln von gleichermaßen fantastischen wie ausweglosen Umständen. Erst ist es der Vater, der alle seine elf Söhne für bedauerliche Kümmerlinge hält und die Zukunft der Familie aus fragwürdigen Gründen in die Hände des Schwächsten legt, dann erlebt der Zuschauer einen Landarzt, dessen Begegnung mit einem Patienten ähnlich einer Traumsequenz beschrieben wird, die an die griechische Mythologie erinnert. „An beiden Erzählungen reizt mich Kafkas vieldeutige Fantasie und seine herausragende Sprachkunst“, erklärt Graczol. Spezialität des Taeter-Theaters sind besonders textnahe, gründliche Inszenierungen, die das Wort der Autoren beleben wollen.
Das Taeter-Theater ist als Verein organisiert, dessen Mitglieder ermäßigte Eintrittspreise bezahlen und neue Mitglieder werben. Getragen wird es aber vor allem von den Künstlern. Wenn doch mehr als zwei Schauspieler erforderlich sind, um ein Stück zu beleben, kommen in erster Linie Laienschauspieler und Amateure zum Einsatz, die außerhalb des Theaters Lehrer, Ärzte oder auch Studenten sind. Sie ergänzen das Ehepaar Graczol unter anderem in dem Stück „Die geretteten Kinder“, das von den Transporten jüdischer Kinder in Richtung England Ende der 1930er Jahre erzählt.
Vor einem Besuch des Taeter-Theaters sollte man daran denken, Karten zu reservieren, da sich die 99 Sitze rasch füllen. Der Vorverkauf ist täglich von 18 bis 19 Uhr geöffnet. Alle Vorstellungen beginnen um 20 Uhr, der Eintritt kostet zwölf beziehungsweise ermäßigt acht Euro.
von Antonia Wilckens