In der Nacht auf den 29. August 2020 kam es im Haus der Heidelberger Burschenschaft Normannia zu einer Gewalttat. Mitglieder sollen einen anderen Verbindungsstudenten mit Gürteln geschlagen und beleidigt haben, nachdem dieser von seiner jüdischen Großmutter erzählt hatte. Im Zuge dessen löste die Altherrenschaft die Aktivitas der Normannia auf. Alte Herren sind ehemalige Bewohner des Verbindungshauses. Der Prozess gegen die Tatverdächtigen steht noch aus (Stand: Juli 2021). Die Normannia ist Mitglied in der Deutschen Burschenschaft, einem Verband, der häufig mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wird. Ein Gespräch mit einem Aussteiger, der die Burschenschaft im August 2019 verließ:
Was ging dir durch den Kopf, als du von dem Gürtel-Vorfall im August 2020 gehört hast?
Ein ehemaliger Mitbewohner hat mir einen Screenshot von der Homepage der Normannia geschickt. Dort stand, dass die Aktivitas aufgelöst wurde. Mich hat nicht überrascht, dass so etwas bei der Normannia passiert ist. Vielmehr hat mich überrascht, dass der Geschädigte Anzeige erstattet hat. Ich weiß, dass die mutmaßlichen Angreifer den Geschädigten schon jahrelang kennen. Sowohl der Geschädigte als auch einer der Angreifer waren bei der Jungen Alternative (Jugendorganisation der AfD, Anm. d. Red.), der andere war der Ortsgruppenleiter der Identitären Bewegung (rechtsextreme Gruppierung, Anm. d. Red.) in Heidelberg. Ich glaube, dass der Geschädigte für den Frieden des Verbindungslebens keine Anzeige erstattet hätte, wenn er gewusst hätte, was für eine Welle er damit lostritt. Aber das weiß ich natürlich nicht genau.
Schläge mit einem Gürtel sind wirklich brutal, das überrascht dich auch nicht?
Viele Verbindungsstudenten beleidigen und provozieren sich gegenseitig, besonders oft im betrunkenen Zustand. Außenstehende verstehen nicht, was das soll. Wenn jemand zu viel provoziert, wird es schnell mal körperlich. Aus meiner aktiven Zeit weiß ich von vielen körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen Verbindungen.
Wie bist du Aktiver in der Normannia geworden?
Ich wurde im Frühjahr 2017 Mitglied in der Jungen Alternative. Nach einer Einladung in einer WhatsApp-Gruppe war ich bei einem Vortrag auf dem Haus der Normannia; da war ich 15. Das Haus war schön, ich habe mich gut mit den Leuten verstanden. Mir war auch klar, dass die Normannia tendenziell rechtsgerichtet ist. Es ist nicht so, dass ich nicht wusste, was da los ist. Als ich ein paar Monate später in die Normannia eingetreten bin, hatte ich konservative und rechte Werte. Um neue Leute zu finden, brauchte die Normannia keine Zimmeranzeigen im Internet, das ging über politische Kontakte.
Das war also ein Anlaufpunkt für rechte Netzwerke?
Auf jeden Fall. Es gab eigentlich keinen Grund, vorbeizukommen, wenn man nicht in rechten Kreisen unterwegs war. Jemand vom SDS (Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband, Anm. d. Red.) hätte sich kein Zimmer in der Normannia angeschaut.
War die Normannia unbeliebt bei anderen Burschenschaften?
Kann man so sagen. Wir hatten bei 20 der ungefähr 30 Verbindungen in Heidelberg Hausverbot.
Warum?
Ganz unterschiedlich. Teilweise historisch, wegen der Deutschen Burschenschaft, also ohne konkrete Vorkommnisse. Viele hatten generell eine Abneigung und wollten nichts mit den Normannen zu tun haben. Bei manchen Verbindungen gab es konkrete Vorfälle. Zum Beispiel bei der Verbindung Vandalo-Guestphalia: Ich weiß noch ganz genau, dass 2019 ein Brief kam. Alle Normannen bekamen ein unbefristetes Hausverbot. Ein paar Tage davor hatten wir dort geklingelt, die haben aufgemacht und wollten uns nicht hereinlassen. Dann wurden sie körperlich angegangen und ihnen wurde gegen die Tür gekackt.
Was haben die Alten Herren der Normannia zu solchen Vorfällen gesagt?
Viele Alte Herren siehst du in den zwei Jahren deiner aktiven Zeit gar nicht. Die wohnen irgendwo in Deutschland und kriegen überhaupt nichts aus Heidelberg mit. Es gab 15 bis 20 aktive Alte Herren. Die wussten, was auf dem Haus passiert.
Die aktiveren Alten Herren tolerierten Ausfälle der Aktiven auf dem Haus?
Ja, ganz klar. Die aktiven Alten Herren waren die Rechteren und auch die Geschickteren. Auf dem Stiftungsfest (Jahrestreffen der Burschenschaft, Anm. d. Red.) waren nämlich auch gutgläubige Alte Herren aus der liberaleren Vergangenheit der Normannia zu Gast. Da wurde dann nicht übertrieben, dafür haben die aktiven Alten Herren gesorgt. Es wurde durchaus das Deutschlandlied mit allen drei Strophen gesungen, das ist aber ganz normal. Viele von den Älteren sehen das als Tradition und definieren sich nicht deshalb als rechts. Die wollten die rechtsextreme Einstellung nicht wahrhaben und sich die Stimmung nicht von ein paar 20-Jährigen kaputt machen lassen.
Welche Dinge sollten die moderaten Alten Herren nicht mitbekommen?
Das waren Standard-Slogans wie „Sieg Heil“ oder „Heil Hitler“, das wollten die nicht hören. Außerdem Sauf- oder irgendwelche Schmähgesänge. In Burschenschaften singt man normalerweise traditionelle und unverfängliche Lieder. Aber die Jüngeren haben natürlich ganz andere Lieder auf Lager. Die wurden bei höherem Pegel angestimmt, wenn die Moderaten nicht da waren. Viele Alte Herren hat das überhaupt nicht gestört. Wenn du durch dein Milieu geprägt wurdest, dann sind Dinge für dich unspektakulär, die für andere Leute echt krass sind. Antisemitismus war ganz normal. Ausdrücke wie „Ey, du Jude“ oder „Ey du N.*, mach mal das…“ gehörten zum Alltag.
Die Aktivitas wurde offiziell aufgelöst. Aber die Burschen studieren doch noch weiter?
Die Wenigsten wohnen noch in Heidelberg. Einige sind weggezogen, weil sie mit ihrem Studium fertig waren. Die Jüngeren mussten aus dem Haus ziehen, haben aber immer noch Kontakt zueinander. Vor wenigen Tagen habe ich zwei Mitaktive von damals gesehen, als sie den Schlossberg hochgelaufen sind. Ich weiß nicht wohin, aber es kann gut sein, dass sie – sie haben sicher noch ihre Schlüssel – immer noch in dem Haus aus- und eingehen.
Es gab anfangs die Idee, dass die Stadt das Haus übernehmen soll, damit die Alten Herren daran kein Geld mehr verdienen können. Was denkst du dazu?
Ich kann nicht einschätzen, inwiefern die Distanzierung stattgefunden hat. Wenn moderate Alte Herren das Ruder übernommen haben, sollte man ihnen eine Chance geben. Ich gehe aber stark davon aus, dass diejenigen, die nicht erwischt wurden, immer noch tonangebend sind.
Kurz nach dem Vorfall gab es das Bestreben, eine neue Aktivitas mit einer Verpflichtung zu demokratischen Werten zu gründen. Wie glaubwürdig ist das?
Das kann man leicht widerlegen. Man kann keine weltoffene und tolerante Aktivitas eröffnen wenn jeder, der nicht weiß ist, generell nicht Mitglied werden kann. Das ist grundsätzlich widersprüchlich. Welcher weltoffene Typ sagt: „Ich begebe mich in die Schlangengrube und baue die Normannia wieder auf“? Das ist unglaubwürdig. Wenn man eine weltoffene Verbindung will, geht man in die anderen Verbindungen. Alle sind liberaler als die Normannia. Das waren hohle Phrasen der Alten Herren. Die wussten selbst, dass das nicht funktioniert hätte.
Gab es einen konkreten Zeitpunkt, an dem du gedacht hast „Jetzt will ich nicht mehr“?
Konkret hat das Anfang 2019 in Mannheim angefangen. Da war ich dabei, als ein linkes Kulturzentrum in Mannheim angegriffen wurde. Die Geschichte ist richtig groß geworden. Es gab Staatsschutzermittlungen, die auch meine damalige Freundin betrafen. Vor Gericht wurde ich verwarnt. Das war der Moment, in dem ich angefangen habe, zu reflektieren. Ich studiere Lehramt, da steht irgendwann auch eine Verbeamtung an. Es sieht schlecht aus, wenn man in so einer verrufenen Burschenschaft ist. Besonders, wenn es mal zu einer Verfassungsschutzbeobachtung käme. Anlass dazu gab es schon immer.
An was denkst du?
Zum einen an verbotene Symbole, aber zum anderen daran, dass der Ortsgruppenleiter der Identitären Bewegung auf dem Haus wohnte und dort regelmäßig seine Stammtische abhielt. Auch die Kasse der Ortsgruppe wurde auf dem Haus gelagert. Ich wollte mit dem Ortsgruppenleiter nicht mehr zusammenwohnen. Es war klar: Entweder geht er oder ich. Im März oder April 2019 bin ich aus der Jungen Alternative ausgetreten, war aber noch bei der Normannia. Da war es für mich schwerer, rauszukommen. Ich hatte dort Freunde, mit denen ich viel Zeit verbracht hatte. Am Ende sind dann zwei dieser Freunde mit mir ausgetreten.
Welche Konsequenzen hatte der Austritt für dich?
Es wurden Möbel beschädigt, die ich aufs Haus gebracht hatte. Natürlich bekam ich Beleidigungen auf WhatsApp. Aber das hielt sich in Grenzen. Ich wurde nicht bedroht. Die einzigen, die mein Austritt wirklich störte, waren ja die Leute von der Normannia. Menschen aus anderen Verbindungen haben das meistens gut verstehen können und nicht kritisch gesehen.
Was denkst du jetzt zu Burschenschaften oder Studentenverbindungen allgemein?
Burschenschaften außerhalb des Dachverbands Deutsche Burschenschaft – und auch dort gibt es einzelne Ausnahmen – sind okay. Das Verbindungsmilieu zieht eher konservative Menschen an, der krasse Rassismus war aber eine Normannen-Eigenheit. Sonst kommen nur einzelne problematische Personen von anderen Verbindungen dazu, die bis zuletzt mit der Normannia in Kontakt waren. Einer von dem Corps Thuringia war Dauergast auf dem Normannenhaus und hat sich dort wohler gefühlt als im eigenen Bund. Auf dem Normannenhaus konnte er sagen, was den eigenen Bund nur gestört hätte.
Hat Heidelberg ein Problem mit rechten Burschenschaften?
Jetzt nicht mehr.
Bewegst du dich noch in dem rechten Milieu?
Ich bin in keiner Verbindung mehr. Auch schon seit zwei Jahren nicht. Ich bin auch nicht mehr rechts eingestellt.
Das hört sich so einfach an, du warst tief in der rechten Szene verwurzelt. Und dann bist du einfach ausgestiegen?
Ich schiebe mein Verhalten ein Stück weit auf mein junges Alter. Auch mit 16 weiß man, was die Sachen bedeuten, die man sagt. Aber man ist empfänglicher und weniger kritisch bei Schmähgesängen. Und man wollte sich selbst auch ein bisschen wichtigmachen. Am Ende war der Ausstieg einfacher, als es sich anhört. Das ist wie nach einer unglücklichen Beziehung: Man macht Schluss und merkt nach zwei Wochen: „Warum habe ich das nicht schon viel früher gemacht?“ Der Abschied war gar nicht so schmerzhaft.
Das Gespräch führte Thomas Degkwitz
*Anm. der Redaktion: Um Rassismus nicht durch rassistische Sprache zu reproduzieren, wurde an dieser Stelle das N-Wort entfernt.
Thomas Degkwitz will seit 2019 die Netzwerke der Stadt verstehen. Das hat er für zwei Jahre auch als Ressortleiter “Heidelberg” versucht. Ihm ist das Thema Studentenverbindungen zugelaufen, seitdem kümmert er sich darum. Außerdem brennt er für größere Projekte wie die Recherche zur Ungerechtigkeit im Jurastudium. Lieblingsstadtteil: die grünflächige Bahnstadt (*Spaß*)