Es ist Ende August in Tampere, die Luft ist schon kälter und während in Deutschland der Sommer noch getrost einige Wochen weitergeht, ist hier bereits klar: Der Herbst ist da. Und mit ihm die Studierenden. In Tampere und den restlichen Universitätsstädten Finnlands sind während der Ersti-Woche nicht nur die üblichen Einführungsveranstaltungen zu beobachten, die auch dort mit reichlich Alkohol und Partys ergänzt werden, sondern auch eine der vielen Eigenheiten des nordischen Studierendenlebens: das Tragen der sogenannten „Opiskeliahaalarit“.
Es handelt sich hierbei um einen Ganzkörper-Overall, wie bei einem Bauarbeiter:innen, der ursprünglich angeblich dazu dienen sollte, bei einem Filmriss die Kleidung der Studierenden zu schützen. Eigentlich aber sind die Overalls auf schwedische Ingenieursstudierende zurückzuführen. Diese sollen in den 70er Jahren die Tradition nach Finnland importiert haben. Dies wird selbstverständlich von Seiten der Finn:innen heftig bestritten. Diese farbenfrohen, oft mit Patches dekorierten Overalls werden in Finnland in der Regel von den Fachschaften bereitgestellt und sind die inoffizielle Partyuniform der Studierenden. Jede Fachschaft hat ihre eigene Farbe und ein eigenes Logo. Die Auswahl der Farbe obliegt meistens der örtlichen Fachschaft und hat keine besondere symbolische Bedeutung. Manche weichen auch vom traditionellen Design ab, um besser erkannt werden zu können, wie die Geschichtsstudierenden der Universität Turku, die statt Overalls Umhänge tragen.
So verschieden die „Haalarit“ auch aussehen, einige Grundregeln gibt es:
- Auf dem Overall sollte stehen, welcher Universität und welchem Fach die Tragenden angehören.
- Der Overall wird in der Regel so getragen, dass der obere Teil um die Hüften gebunden wird und er so eher als Hose fungiert.
- Die Overalls dürfen nicht gewaschen oder repariert werden. Ein abgetragener Overall signalisiert Partyerfahrung und erfüllt seinen Zweck als Erinnerungsstück an die Erlebnisse des Studierendenlebens. Wer trotzdem der Meinung ist, sein Overall bräuchten etwas Säuberung, wird angewiesen, in ihm schwimmen zu gehen.
- Wenn man mit einer Person aus einer anderen Fachschaft oder Universität zusammenkommt, können vom Hosenbein der Overalls Stoffstücke ausgetauscht werden, um die Begegnung zu verewigen.
- Wie bei jeder Tradition, sind diese Regeln nicht unumstritten. Trotz der Grundregeln erlauben die Overalls einen sehr hohen Grad an Selbstgestaltung. Organisationen, Clubs und Kneipen verteilen oder verkaufen Patches an die Studierenden, die diese dann annähen, um so ihrer Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen.
In der Erstiwoche werden auch oft Patches mit Mitstudierenden ausgetauscht, die man getroffen hat – als Erinnerung an die Begegnung. Die Kleidungsstücke werden aber nicht nur von Erstis und auch nicht nur in der Einführungswoche getragen „Vappu“ (1. Mai) und „Laskiainen“ (Faschingsdientag) sind zwei der wichtigsten Studierendenfeste in Finnland, und spätestens an diesen kommen die Overalls aus dem Schrank. Sonst können sie natürlich zu jeder Uni-Party getragen werden. Da jeder Overall individuell gestaltet wird, eigenen sich Fragen danach bestens um das Eis zu brechen. Außerdem tragen sie zu einem deutlichen Gruppengefühl innerhalb des Faches bei. Es gibt selbstverständlich Kritiker:innen, die vor allem betonen, dass sich manche Studierende auch leichter zum exzessiven Trinken verleiten lassen, gerade wegen des starken Gruppengefühls. Es gab an einigen Universitäten schon Versuche die Overalls abzuschaffen. Diese verliefen allerdings erfolglos. Die „Haalarit“ ermöglichen es allen, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist: uneingeschränkter Alkoholkonsum. Vor allem aber: Niemand muss sich Gedanken machen, was man zu einer Party anzieht. Kippis! (Prost!)
Von Kaisa Eilenberger
...studiert seit dem WiSe 2021 im Bachelor in Geschichte und Religionswissenschaft – beim ruprecht ist sie seit Studienbeginn, hat zwischendurch Hochschule mitgeleitet und ist zurzeit im Layout-Team. Bei Gelegenheit produziert sie auch Illustrationen für Artikel und schreibt am liebsten über Medien und internationale Themen.