Til soll schweigen
„Die Rettung der uns bekannten Welt“
Man muss nur wenige Minuten des Films gesehen haben, um zu merken, dass es sich um eine Til-Schweiger-Produktion handelt: Sepia-Filter, überall Pastell-, Beige- und Grautöne, viele Kerzen und geschmacklose Deko wohin das Auge reicht.
Und doch hat Schweiger mit „Die Rettung der uns bekannten Welt“ etwas Neues geschaffen.
Der Film hat zwei Handlungsstränge, die die Geschichten des alleinerziehenden und überforderten Vaters (gespielt von Til Schweiger; er spielt sich mal wieder selbst) und seines ältesten Sohnes Paul erzählt. Paul, ein liebevoller großer Bruder, unwilliger Schüler und waghalsiger Sportler leidet an einer bipolaren Störung und wird nach wahnwitzigen Mutproben und einem Suizidversuch von seinem Vater in eine geschlossene Anstalt gebracht.
Von Anfang an ist auffallend, dass Til Schweiger alle Diversity Regeln erfüllt – fast schon überfüllt. Anders als in seinen vergangenen Filmen, die teilweise homophobe und misogyne Töne anschlugen, werden hier neue Menschen und Rollenbilder vorgestellt, die so eigentlich nicht in Schweigers „heile Welt“ passen: Es gibt kluge und emanzipierte Frauen in Führungspositionen und erfüllte und nicht an Komplexen leidende Väter in Teilzeitarbeit.
Anders als in seinen früheren Filmen sind die Darsteller:innen nicht überwiegend weiß, wohlhabend und heterosexuell. Sogar für ein Kind mit Trisomie 21 wurde eine Rolle gefunden. Doch damit nicht genug: POC sind nicht in negativen oder dienenden Nebenrollen zu sehen, sondern in wichtigen, positiv besetzten Rollen mit viel Sendezeit. Alle Personen sind unglaublich divers und wohlüberlegt besetzt und das sogar ohne in die Colourism Falle zu tappen.
Die Identität spielt keine Rolle mehr, Til Schweiger macht die Identitätspolitik nicht zum Thema, was gut ist und damit hat er vielen Unternehmen, die Diversität als Marketingstrategie verwenden, etwas voraus.
Oder denken wir an all die Hollywoodfilme, die Vielfalt ständig zum Thema machen, anstatt einfach mal vielfältig zu sein. Das macht Til Schweiger besser: Er sagt, dass das die Wirklichkeit, dass das unsere Welt ist und sie deswegen so divers dargestellt werden muss, aber ohne ein Wort darüber zu verlieren. Es ist fast nicht zum Aushalten kitschig und langweilig, aber Schweiger hat erkannt, was der Zeitgeist verlangt.
Die mangelnde Ästhetik, die ermüdende Storyline und fade Fotografie verhelfen Til Schweiger zu keinem guten Film, und da ist auch die Diversität egal, denn: Diversität ist kein Wertekriterium für einen guten Film.
Til Schweiger, der schon mehrmals Filme mit dem Themenbezug „mentale Gesundheit“ drehte, gibt in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung an, keine fachliche Beratung gehabt zu haben, was durchaus auffallen dürfte. Insbesondere die Darstellung des völlig unrealistischen Umfelds (eine riesige Villa auf dem Land, das Leben außerhalb der Anstalt ist das gleiche wie in der Anstalt, fünf Pfleger:innen auf sieben Patient:innen) als auch der Therapiegruppe (Jugendliche, die an verschiedenen psychischen Erkrankungen leiden, die nicht in der gleichen Anstalt untergebracht wären) ist problematisch. Und nicht subtil. Es ist teilweise nichts anderes als eine unsensible und peinliche Freakshow voller Karikaturen.
Doch bei dem Film handelt es sich um eine Komödie, die davon lebt mit Überzeichnungen zu arbeiten. Eine gründliche Recherche psychischer Erkrankungen und Therapien von jungen Menschen hätte Schweigers plumpe Pointen zerstört.
Passend zum Titel dockt Til Schweiger auch die „Generation Greta“ an: junge Menschen, die überall anzutreffen sind und eine gewisse „Weltretterpose“ an den Tag legen. Auch ein weit verbreiteter Trend in sozialen Netzwerken bei Influencer:innen, die denken, dass ihr Engagement und ihre Aufklärung über die Klimakrise das Ruder herumreißt.
Dabei wird vergessen, dass der neoliberale Kapitalismus genau das möchte: Jede und jeder soll die Klimakrise oder Chancenungleichheit als seine persönliche Krise begreifen und „sein Bestes geben“, diese zu überwinden. Was selbstverständlich unmöglich ist, weil dafür staatliche, weitreichende, ökonomische Entscheidungen getroffen werden müssten.
Im Film beschließen Paul und seine Freundin, die Welt mit ihrer Liebe zu retten – und fahren, ganz romantisch, mit dem Jeep ein Maisfeld kaputt.
Doch am Ende stellt sich doch nur die Frage: Wie kann Til Schweiger seine Welt retten? Wie kann er weiter im Mainstream Filme produzieren?
Die Antwort lautet: mit mehr Diversität.
Von Mia Eitel
Kinderspiele und Organhandel
„Squid Game“
Reiche lassen Arme in tödlichen Spielen gegeneinander antreten. Nachdem diese Idee schon 2012 in Form der amerikanischen „Die Tribute von Panem“-Trilogie umgesetzt wurde, veröffentlichte Netflix am 17. September 2021 nun das südkoreanische Pendant „Squid Game“.
Die Serie handelt von 456 Menschen, die allesamt in finanziellen Schwierigkeiten stecken und angeworben werden, an den „Squid Games“ teilzunehmen. Den Sieger erwartet ein Preisgeld von 45 Milliarden Won (etwa 33 Millionen Euro) und damit eine Erlösung von seinen Schulden.
Seong Gi-hun ist einer der Teilnehmer. Er wohnt bei seiner Mutter, ist spielsüchtig und hat kaum Geld, um ein Geburtstagsgeschenk für seine Tochter zu kaufen, die bei seiner Exfrau lebt.
Um diesem Leben zu entfliehen, erklärt er sich zur Teilnahme an den „Squid Games“ bereit, ohne zu ahnen, worauf er sich damit eingelassen hat.
Bei den „Squid Games“ handelt es sich nämlich um sechs koreanische Kinderspiele, bei denen eine Disqualifizierung den Tod bedeutet. Wer am Ende übrig bleibt, gewinnt.
Nicht nur bei den Spielen selbst geht es blutig zur Sache. Auch unter den Teilnehmern, die allesamt in einer großen Halle untergebracht sind, bricht der Krieg aus. So metzeln sie sich in einer Nacht fast alle gegenseitig nieder. Sie tun das in der Hoffnung, auf diese Weise ihre Chance auf den Sieg zu erhöhen.
Einen weiteren schaurigen Nebenstrang bildet ein Organhandel, der mit den aus den Spielen resultierenden Leichen betrieben wird. Da darf der Zuschauer Zeuge von so mancherlei Augen- oder Herzentnahme werden.
Kurz gesagt: Es wird von Folge zu Folge grausamer und blutrünstiger. Die Teilnehmer verlieren mehr und mehr ihre Menschlichkeit. Für viele ist jede Hemmschwelle gefallen. Es geht um das nackte Überleben. Man fällt sich gegenseitig in den Rücken, und wer es gut meint, dem kommt das teuer zu stehen. Einzig die Hauptperson scheint noch an etwas wie moralischen Grundsätzen festzuhalten.
Ungeachtet (oder gerade wegen?) dieser Grausamkeit erlebt „Squid Game“ aber einen Hype wie keine Serie zuvor.
Innerhalb der ersten vier Wochen wurde „Squid Game“ von 142 Millionen Konten gestreamt und legte somit den erfolgreichsten Serienstart in der Geschichte von Netflix hin.
Aber ist „Squid Game“ wirklich nicht mehr als das neue „Tribute von Panem“ in brutalerer Darstellung?
Schließlich steckt in der Serie doch eine Menge Kritik am Kapitalismus. Finanzielle Schwierigkeiten treiben Menschen in eine derartige Verzweiflung, dass sie bereit sind, ihr Leben für die Tilgung ihrer Schulden aufs Spiel zu setzen. Die taz will sogar in den Spielen selbst die Verkörperung eines neoliberalen Gesellschaftssystem sehen. Den Spielern werde weis gemacht, sie hätten die gleichen Chancen auf den Sieg. In Wahrheit hätten bei Spielen wie Tauziehen jedoch manche Spieler aufgrund ihrer körperlichen Statur einen Vorteil. Ganz wie im Kapitalismus.
Diese Deutung der Serie ist nicht aus der Luft gegriffen. Schließlich wurde das Drehbuch in Zeiten der Finanzkrise verfasst.
Ob es tatsächlich besagte Gesellschaftskritik oder doch das brutale Gemetzel ist, was der Serie so viel Aufmerksamkeit beschert, ist aber fraglich.
Steigende Verkaufszahlen beim Schuhhersteller Vans, der die gleichen Schuhe vermarktet, die auch die Teilnehmer in der Serie tragen, dürften für letzteres sprechen.
Von Laura Kress
Nachruf in drei Akten
„The French Dispatch“
Nach zwei langen Jahren des Wartens erreicht er endlich die Kinoleinwand, der neue Film des Kultregisseurs Wes Anderson. Bekannt für seine skurrilen Figuren und Liebe zur sorgfältigen, symmetrischen Bildkomposition, mit einer Prise Kitsch und schwarzem Humor, präsentiert er mit „The French Dispatch“ eine nostalgische Liebeserklärung an den Kulturjournalismus mit Starbesetzung.
Den Rahmen des Films bildet die fiktive Kulturzeitschrift „The French Dispatch“ in der ebenfalls fiktiven französischen Kleinstadt Ennui-sur-Blasé. Nach dem Tod des geliebten Chefredakteurs Arthur Howitzer Jr. (gespielt von Bill Murray) wollen die Redakteure gemeinsam eine letzte Ausgabe mit alten Artikeln zusammenstellen, die in drei verschachtelten Kurzgeschichten erzählt werden.
Die Kulturjournalistin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton) erzählt von einem malenden Mörder und seiner Muse, der Gefängniswärterin (Lea Seydoux). Im Gesellschaftsteil wird der Anführer der Studentenrevolte, der seine Manifeste in der Badewanne schreibt, vorgestellt (Timothée Chalamet). Und zu guter Letzt die Restaurantkritik: Hier geht es um die essbare Kunst des berühmten Polizeikochs Nescaffier (Stephen Park), dessen Abendessen aber in einem Polizeieinsatz mit Verfolgungsjagd mündet, der tapfere Reporter (Jeffrey Wright) natürlich auf dem Rücksitz.
The French Dispatch ist eine liebevolle Hommage an das Magazin The New Yorker, die Geschichten angelehnt an wahre Artikel, die Charaktere verschrobene, aber liebenswürdige Karikaturen der großen Kulturjournalisten des letzten Jahrhunderts, hinter denen sich die andersonschen, pastellfarbenen Bühnenbilder hin und herschieben. Doch der Wechsel von schwarz-weiß zu farbig und von Englisch zu Französisch und wieder zurück wirkt zusammen mit dem Feuerwerk an filmischen Tricks, die in jeder Szene gezündet werden, überwältigend und lenkt an mancher Stelle von der Geschichte und ihren Figuren ab.
Wie auch in seinen vorherigen Filmen, sind die ruhigen und ernsteren Momente auch hier seine besten. Trotz dessen muss man dieses exzessive und kompromisslose Filmemachen bewundern, und kann gar nicht anders, als sich nach so langer Zeit ohne Kino über Andersons symmetrische Wählscheibentelefone zu freuen.
Von Mara Renner
...studiert Kunstgeschichte und Politikwissenschaft, seit 2021 schreibt sie über Kurioses aus Politik, Kultur und dem studentischen Leben
Laura Kress studiert Jura und schreibt seit dem WiSe 2020 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Themen im Hochschulbereich oder verfasst Glossen.
Mia Eitel studiert Geschichte und Germanistik und schreibt seit Herbst 2021 für den ruprecht. Seitdem sie ideologiekritische Filmkritiken verfasst, muss sie das Feuilleton auch lesen. Eitel begeistert sich neben Kultur für Politik, Poesie und Pommes (rot weiß).