Anfang Dezember 2021 findet der EU-Abgeordnete und ostbelgische Politiker Pascal Arimont die Antwort auf seine zuvor getätigten politischen Äußerungen. Auf seinem Garagentor. Ein Gegner hatte sich in der Nacht an seinem privaten Wohnsitz vergangen „Lügen, Erpressen, Hetzen, Spalten… Dafür werdet ihr bezahlen!!!“ hatte dieser auf das Tor gesprüht. In der Nähe des Hauses findet die Polizei einen Gegenstand, der wenig später als Brandsatz identifiziert wird. Es ist von einem Mordanschlag die Rede. Dieser Angriff ist stellvertretend für viele weitere Fälle, in denen die Privatsphäre politischer Akteur:innen als Projektionsfläche für die Unzufriedenheit radikaler Bevölkerungsteile herhalten muss. Chat-Anbieter wie Telegram, werden zum Epizentrum dieser Unzufriedenheit. Digitale Echokammern verstärken diesen Effekt.
„Geschlossene Gruppen, wie beispielsweise auf Telegram, sind gefährlich, wenn sie zu Echokammern werden, in denen man sich für seine abstrusen Theorien eine Bestätigung abholt und sich jeweils in der eigenen Empörung gegenseitig befeuert“, so Arimont. Auf Telegram wurde zunehmend dazu aufgerufen, die Privatadressen von Politiker:innen öffentlich zu machen. Einige Zeit vor dem Anschlag auf Arimonts Wohnsitz hatte ein Telegram-User solch einen Aufruf gestartet: „Initiative Privatadressen“, ein Kanal, der Nutzer:innen mit ähnlicher politischer Einstellung einen Zusammenschluss ermöglichte. Virtuelle Räume wie dieser werden Echokammern genannt. Dort finden sich Menschen gleicher Meinung wieder, die sich über Diskurse und politische Entscheidungen austauschen.
Problematisch ist, dass es sich hierbei eher um ein Reproduzieren eines einseitigen Meinungsbildes handelt und somit eine potentielle Meinungsänderung quasi unmöglich wird. In vielen Fällen startet hier ein Prozess der Radikalisierung. Der Frust, der bei gewissen Teilen unserer Gesellschaft aufgrund getätigter Äußerungen oder getroffener Entscheidungen aufkommt, kocht in Echokammern hoch. Seit Beginn der Pandemie ist dieses Phänomen auf Telegram häufiger denn je zu beobachten. Nicht selten wandelt sich das Ärgernis in kriminelle Energie um. Meistens braucht es schlussendlich ein Ventil, sodass anfänglicher Frust vermehrt in Anschlägen auf die Privatsphäre von politischen Entscheidungsträger:innen mündet. Pascal Arimont vermutet, dass es sich bei den Täter:innen um Gruppen handelt, die sich auch vor der Pandemie schon in anderer Form für die Zerschlagung des demokratisch-pluralistischen Rechtsstaats in seinen heutigen Formen eingesetzt haben. „Offenbar wird dies nicht mehr nur in den Internetforen ausgelebt, sondern es wird auch zur Tat geschritten – etwa durch die Bekanntgabe privater Adressen von Politiker:innen, die man einschüchtern möchte“, so der Abgeordnete. Das Problem mit Telegram ist, dass der Nachrichtendienst sich nur bedingt um strafbare Inhalte kümmert, diese häufig weder nachverfolgt, noch löscht. „In Bezug auf die Angriffe auf mein Haus ist das natürlich ein krimineller Akt, der nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun hat“, bekundet Arimont. „Hier handelt es sich um eine klare Straftat, die nicht zu rechtfertigen ist“. Daneben gebe es jedoch auch die kritische Auseinandersetzung mit Themen, die, laut Arimont, in einer Demokratie immer sein müsse. Und diese würde auch gelebt.
„Die Demonstrationen eben dieser Gruppen zeigen ja beispielsweise, dass die Demokratie und der Rechtsstaat funktionieren – aber eben immer im Rahmen unserer rechtsstaatlichen Vorgaben. Ich muss als Politiker selbstverständlich immer damit rechnen, dass ein Bürger nicht mit meinen Entscheidungen oder Positionen zufrieden ist und mir dies auch kritisch zu verstehen gibt.“ Das sei Bestandteil der Demokratie. Hinzu fügt der Politiker, es gebe Grenzen und die Distanz des Internets trage dazu bei, dass auch oftmals ganz normale Anstandsregeln vergessen werden.
Nach dem Angriff haben sich viele Kolleg:innen aus dem Europäischen Parlament mit Arimont solidarisiert. Der mittlerweile verstorbene Präsident David Sassoli bekundete diese Solidarität im Namen des ganzen Hauses. Dazu berichtet Arimont, dass es zwischen den Fraktionen, die auf dem Boden des Rechtsstaates stehen, diese Solidarität auch anderweitig gebe – geht es zum Beispiel um die Prinzipien der Wahrung des Rechtsstaates oder um demokratische Prinzipien. Es sei wichtig, dass man sich mit Opfern solidarisch zeigt, und zwar immer dann, wenn rechtstaatliche Prinzipien gebrochen werden. Das Parlament bleibe erst einmal das Zentrum der europäischen Demokratie und damit auch der Ort an dem politische Auseinandersetzungen stattfinden. „Und hier sollte der inhaltliche Austausch der Argumente im Zentrum stehen, um die besten Lösungen für die Gesellschaft zu erreichen“, so Arimont.
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on Carla Scheiff
...interessiert sich für Kultur und Politik und studierte deshalb Germanistik im Kulturvergleich und Politikwissenschaften. Seit 2021 schrieb sie für den ruprecht und leitete Seite 1-3. Am liebsten widmet sie sich gesellschaftspolitischen Themen und Fragen, die unsere Generation bewegt.