Marie (*) ist verärgert: „Ein Großteil der Zeit wurde damit verschwendet, MLP vorzustellen und zu erklären, warum wir eine Berufsunfähigkeitsversicherung benötigen.“ Die 25-Jährige ist Studentin an der Universität Heidelberg. Ihre Unzufriedenheit richtet sich gegen den Finanzdienstleister MLP. Sie hatte über die „Hochschulinitiative Deutschland“ ein Steuerseminar gebucht, bei dem es um die steuerliche Absetzung von Studienkosten vor dem Berufseinstieg gehen sollte. Dass das Finanzunternehmen mit Konzernzentrale in Wiesloch für die Durchführung zuständig ist, wurde ihr erst später klar. Um Steuern ging es letztendlich sehr wenig.
MLP ist kein Unbekannter an Deutschlands Hochschulen. Seit Jahren wehren sich Studierendenvertretungen und unabhängige Organisationen gegen die Zusammenarbeit des Finanzdienstleisters mit den universitären Karrierezentren. Die Vorwürfe lauten: mangelnde Unabhängigkeit universitärer Lehre und die Unterstützung kommerzieller Privatinteressen. Das Unternehmen verkauft Geldanlage-, Altersvorsorge-und Versicherungsprodukte und arbeitet in den allermeisten Fällen auf Provisionsbasis. Das heißt, die Berater:innen verdienen bei Vertragsabschlüssen mit. Dabei ist MLP natürlich nicht der einzige provisionsorientierte Finanzbetrieb in Deutschland –allerdings einer der größten und präsentesten.
MLP nutzt häufig universitäre Karrierezentren, um Studierende anzuwerben. Die sogenannten Career Services sind dafür zuständig, Angebote abseits des normalen Lehrplans anzubieten, die Studierende auf das spätere Berufsleben vorbereiten sollen. Dabei sind die meisten Karrierezentren jedoch massiv unterfinanziert. Die Unterfinanzierung öffnet die Tür für vermeintliche Expert:innen aus der Privatwirtschaft.
Auch an der Universität Heidelberg werden viele Kurse von MLP veranstaltet. Diese tragen griffige Namen wie „Steuerseminare: Mehr Geld, weniger Steuern“ oder „Professionelles Bewerben: Todsünden und Tugenden“. Bewerbungstrainings, Excel-Kurse oder Übungen zu richtigem Verhalten in Gehaltsverhandlungen gehören zum Standardrepertoire von MLP. Nach Angaben der Universität wurden im Sommersemester 2022 acht Veranstaltungen mit MLP durchgeführt, bei zwei weiteren laufen die Anmeldungen noch. Im Wintersemester 2021/22 waren es sogar zwölf Veranstaltungen. MLP gibt auf Anfrage an, dass aktuell circa 20 Berater:innen im „Heidelberger Hochschulteam“ tätig sind.
„Die Universität ist das Wohnzimmer von MLP“
Der Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“ engagiert sich schon lange gegen die Präsenz von MLP an Hochschulen. Britta Langenberg ist Vorsorge- und Versicherungsexpertin bei der Finanzwende. „Es geht dem Unternehmen letztlich nicht um die Wissensvermittlung, sondern um die Kontaktdaten der Studierenden. Dafür sollten öffentliche Bildungseinrichtungen nicht herhalten“, erklärt Langenberg. Das Engagement von MLP sei, so beschreibt es die Versicherungsexpertin, vor allem eine Wette auf die Zukunft. „Viele Studierende von heute sind die Besserverdienenden von morgen. Es wird versucht, die Menschen mit langfristigen Verträgen früh an MLP zu binden. Die Anlagebeträge steigen dann oft mit der Zeit“, erklärt Langenberg. Dabei seien vor allem Studiengänge wie Jura und Medizin beliebt, da hier die höchsten Einkommen erwartet werden.
Aus dem Geschäft mit angehenden Akademiker:innen macht MLP kein Geheimnis. Ganz im Gegenteil: Der Wieslocher Finanzdienstleister kommuniziert seine Aktivitäten im eigens betitelten „jungen Bereich“ sehr offensiv. Die Aussage des Bereichsvorstands Matthias Laier: „Die Universität ist das Wohnzimmer von MLP“, löste eine Kontroverse aus. Dabei soll das Engagement an den Universitäten in Zukunft noch intensiviert werden. Der Vorstandsvorsitzende Uwe Schröder-Wildberg verkündete auf der Jahrespressekonferenz im Februar 2021: „In den vergangenen Jahren haben wir kumuliert mehr als 30 Millionen Euro investiert und ernten nun die Früchte unserer Arbeit.“ Bis zum Ende des Jahres 2022 soll die Anzahl der Vertriebler:innen an Hochschulen von 440 auf 600 steigern. Auf Anfrage sieht sich MLP „bei dem angestrebten Ziel weiterhin auf einem guten Weg“.
Die Kurse des Career Services gehören nicht zur offiziellen universitären Lehre. Trotzdem ist die Trennung zwischen den universitären Angeboten und privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht immer klar. Johannes (*) hat zwei Kurse über den Career Service bei MLP besucht. „Mir war vorher nicht bewusst, dass die Kurse von MLP durchgeführt werden“, berichtet der Psychologiestudent. Er war zudem bei einem MLP-Berater in der weiterführenden Einzelberatung. Auch wenn er mit den Kursen grundsätzlich zufrieden war, merkt er insbesondere für die Einzelberatung an: „Man hat schon gemerkt, dass die richtig Bock haben, einem etwas zu verkaufen.“ In Gesprächen mit verschiedenen Kursteilnehmer:innen wird deutlich, dass vor allem am Ende der Kurse auf eine Angabe von Kontaktdaten Wert gelegt wird. Es ist von einer gewissen Penetranz der MLP-Berater:innen die Rede, auch wenn die Angabe der Kontaktdaten freiwillig ist.
Peter Abelmann, Vorsitzender der Verfassten Studierendenschaft, sieht die Zusammenarbeit des Career Services mit MLP kritisch: „Natürlich finde ich es nicht gut, dass MLP an der Universität ist. Ich halte MLP sogar für ein bedenkliches Unternehmen.“ Jedoch sieht er vor allem die Universität in einem Dilemma. „Klar können wir sagen, dass wir die Kurse von MLP streichen. Aber dann gibt es ein geringeres Kursangebot oder die Kurse kosten etwas“, erklärt Abelmann. Er sieht insbesondere das Land in der Verantwortung für eine bessere Unterstützung der Karrierezentren. Eine bessere und umfassendere Finanzierung der Career Services würde verhindern, dass die Universität darauf angewiesen ist, privatwirtschaftliche Unternehmen mit Verkaufsinteresse an die Universität zu holen. Zudem betont er, dass sich die Lage in den letzten Jahren verbessert habe. Beschwerden über MLPBerater:innen seien ihm seit geraumer Zeit nicht mehr zugetragen worden.
„Ich halte MLP für ein bedenkliches Unternehmen“
Die Kritik betrifft nicht nur die Methoden, die MLP an Universitäten anwendet, sondern auch die vermittelten Produkte. „Wir haben sehr regelmäßig Fälle, in denen Verbraucher, denen ein Vertrag von MLP verkauft wurde, uns um Rat fragen“, erzählt Niels Nauhauser. Er ist Abteilungsleiter für Altersvorsorge, Banken und Kredite bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Ein sehr häufig verkauftes Produkt seien Kombiverträge. Dabei werden Berufsunfähigkeits-und Rentenversicherung miteinander gekoppelt. „Wir raten von derartigen Kombiverträgen grundsätzlich ab. Die Vermittler bündeln diese Produkte, um sie dem Wettbewerb einzelner, bedarfsgerechter Lösungen zu entziehen“, erklärt Nauhauser. Die Kombiverträge seien für die Verbraucher:innen vor allem unflexibel und viel zu teuer für einen rentablen Vermögensaufbau. Verkauft würden die Produkte nur wegen der hohen Provisionen, die die Vermittler kassierten. Nauhauser empfiehlt, sich auf derartige Verkaufsgespräche erst gar nicht einzulassen, wenn man auf der Suche nach unabhängiger Beratung sei. „In den Verkaufsgesprächen nutzen die Berater ihren Informationsvorteil aus, indem sie Produkte vermitteln, an denen sie selbst am meisten verdienen. Wer sich als Kunde vorher gut informiert, ist besser vorbereitet oder im Idealfall gar nicht mehr auf derartige Gespräche angewiesen“, sagt der Verbraucherschützer. Sowohl die Verbraucherzentrale als auch Stiftung Warentest hätten ein breites Informationsangebot für Finanzprodukte.
Für die Durchführung der Veranstaltungen mit MLP „gelten klare Regelungen“, erklärt die Universität auf Anfrage. Diese seien vertraglich festgelegt. Werbung und Kundenakquise durch MLP in den Veranstaltungen seien nicht erlaubt. Zudem werden nach Angaben der Universität keine Kontaktdaten der Teilnehmer an MLP weitergegeben. Die Anmeldung zu den Veranstaltungen erfolge über die Universität. Im Veranstaltungsprogramm des Career Service sei „ausgewiesen, welchem Unternehmen oder welcher Institution die jeweiligen Referentinnen oder Referenten zuzuordnen sind“, heißt es in der Stellungnahme. Es erfolge ein expliziter Hinweis darauf, dass weiterführende Beratungskontakte „nicht Teil des universitären Angebots sind“. Von Seiten der Universität werde eine systematische Veranstaltungsevaluation durch das universitäre Qualitätsmanagementsystem durchgeführt. Es gebe eine starke Nachfrage nach den Angeboten des Career Services. Die Evaluationen „fallen positiv aus“, weshalb die Zusammenarbeit mit MLP weitergeführt werde.
MLP wehrt sich gegen die Kritik der Finanzwende. „Die Kritik wird durch Wiederholung nicht stichhaltig“, erwidert MLP in einer Stellungnahme. Die Wohnzimmer-Aussage von Bereichsleiter Laier liege schon „Jahre zurück und wurde damals schon aus dem Kontext gerissen“. Die Berater:innen seien „sowohl didaktisch als auch inhaltlich“ für die Kurse vorbereitet. Eine fortlaufende Evaluation der Kurse ergebe für MLP ein sehr positives Feedback. MLP gibt an, dass im Anschluss an die Kurse ausschließlich Teilnehmer:innen kontaktiert werden, „die dies schriftlich als Wunsch angegeben haben“. Bei sehr vielen Studierenden gäbe es einen „objektiven Bedarf für Finanzberatung“. Als Beispiel nennt MLP eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Gerne wäre man auch den „kritisierten Einzelfällen in Heidelberg“ nachgegangen. Dazu wären lediglich die Namen der Berater:innen aus den kritisierten Kursen notwendig gewesen. Aus Quellenschutzgründen hat sich der ruprecht dazu entschieden, keine konkreten Namen an MLP weiterzugeben.
Die Kurse bewerten Marie und Johannes im Rückblick sehr unterschiedlich. Johannes war grundsätzlich zufrieden mit den Kursen, vor allem aus den Einzelgesprächen mit dem Berater habe er einiges mitnehmen können. Er überlegt, ein Girokonto und eine Berufsunfähigkeitsversicherung über MLP abzuschließen. „Man muss sich aber schon noch selbstständig informieren und seine Entscheidungen reflektieren“, zieht er Fazit. Marie sieht das anders. Auf die Frage, ob sie nun mehr über Steuern wisse, hat die 25-Jährige eine klare Antwort: „Nein, überhaupt nicht!“ Von bereits gebuchten Kursen bei MLP hat sie sich wieder abgemeldet. „Ich lerne da sowieso nichts“, begründet sie ihre Entscheidung.
(*) Name von der Redaktion geändert
Joshua Sprenger studiert Politikwissenschaft und öffentliches Recht und schreibt seit dem Sommersemester 2021 für den ruprecht. Er interessiert sich vor allem für Politik, die unterschiedlichsten Sport-Themen und alles was unsere Gesellschaft gerade so umtreibt. Seit dem Wintersemester 2021/22 leitet er das Ressort Weltweit.