Schweden ist bekannt für IKEA, Midsommar, ABBA, die schwedischen Royals, Astrid Lindgren, bunte Felder und grüne Wiesen im Sonnenschein. Abgesehen von dem faulig riechenden Dosenfisch „Surströmming“ und der eisigen Kälte im Winter, gibt es wenig Schlechtes über das beliebte Reiseziel zu berichten.
Anfang dieses Jahres hat sich Schweden jedoch einen Shitstorm eingefangen: Nach einem Reddit-Post mussten Schwed:innen Vorwürfe von Unfreundlichkeit und Missachtung über sich ergehen lassen. Schwedische Gastunfreundlichkeit – gibt es die wirklich?
Ein Nutzer empörte sich darüber, dass er als Kind bei einem schwedischen Freund zum Spielen eingeladen war, zum Abendessen aber in dessen Zimmer bleiben musste. Da könnte man sich die Frage stellen: Passiert so etwas nicht nur in deutschen Haushalten? Viele junge Schwed:innen waren von dem Shitstorm überrascht, denn sie hatten zuvor noch nie von dem Problem gehört. Unter #SwedenGate entbrannte auf den Plattformen Reddit und Twitter eine Diskussion über den Post und die Vorwürfe. Schnell bildeten sich zwei Lager: Auf der einen Seite diejenigen, die Schwed:innen für extrem gastfreundlich halten und dieses Problem eher bei anderen Ländern sehen, auf der anderen Seite jene, denen es selbst schon oft passiert ist, dass sie in schwedischen Haushalten nicht zum Abendessen bleiben durften.
Kosten und allgemeine Praktikabilität?
Isabel ist Schwedin und hat einen solchen Fall selbst noch nie erlebt. Sie kann sich das Verhalten aber trotzdem erklären: In den 1950/60er Jahren war Schweden ein armes Land mit vielen Bauernfamilien, die es sich schlichtweg nicht leisten konnten, ein weiteres Kind zu ernähren. Somit seien Kinder zum Abendessen immer nach Hause gegangen und hätten dort mit ihrer eigenen Familie zu Abend gegessen. Als Schweden ein wohlhabenderes Land wurde, blieb diese Sitte dennoch als ungeschriebenes Gesetz bestehen. Außerdem ist das gemeinsame Abendessen eine wichtige Tradition in Schweden. Daher könnte es auch als unfreundlich wahrgenommen werden, ein anderes Kind zum Essen einzuladen, da dies nahelegen würde, die Familie könne ihr eigenes Kind nicht ernähren. Ist es mit den jeweiligen Eltern abgesprochen, dürfe das Kind natürlich zum Essen bleiben.
Sara, ebenfalls Schwedin, hat selbst schon erlebt, dass sie als Gast weniger oder etwas anderes zu Essen bekommen hat. Ihrer Meinung nach liege das jedoch nicht an der vorgeworfenen Unhöflichkeit, sondern an den Kosten und allgemeiner Praktikabilität. Auch andere Reddit-Nutzer:innen argumentierten, dass es eher ein örtliches und soziales Problem sei und somit vermutlich häufiger in ärmeren Bezirken der schwedischen Städte vorkomme.
Sind Schwed:innen nun schlechte Gastgeber:innen oder nicht? Isabel hat auch darauf eine Antwort: Es sei schwer, sich mit Schwed:innen anzufreunden, man müsse sehr viel Zeit und Mühe investieren. Erst wenn man gut befreundet sei, werde man auch gerne zum Essen eingeladen.
Schwed:innen generell als schlechte Gastgeber:innen zu bezeichnen, ist also nicht möglich. Es kommt auf die individuellen Familien an, und lässt sich nicht pauschal auf das ganze Land übertragen. Auf jeden Fall sollte man nicht jedem viralen Hashtag auf Twitter trauen, sondern sich ein eigenes Bild von Land und Leuten bilden.
Aaron Löffler studiert Politikwissenschaft und Philosophie. Für den ruprecht schreibt er seit dem SoSe 2020. Dabei liegt sein thematischer Schwerpunkt vor allem auf dem politischen und philosophischen Zeitgeschehen - in Heidelberg und der Welt außenrum.