Am 24. Juni 2022 fällte der US-amerikanische Supreme Court, SCOTUS, ein Urteil im Fall Dobbs v. Jackson. Es galt zu entscheiden, ob ein Gesetz des Bundesstaates Mississippi, das Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet, gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstößt. Sechs zu drei Stimmen gaben dem Staat Mississippi Recht und widersprachen somit den Kläger:innen der Jackson Women’s Health Organisation. Durch dieses Grundsatzurteil revidierte der SCOTUS die bestehende Regelung, die aus dem 1973 gefällten Urteil im Fall Roe v. Wade hervorging. Nun wird die Regulierung von Abtreibungen wieder an die einzelnen Bundesstaaten übergeben.
Vor Roe v. Wade waren Abtreibungen in vielen Staaten komplett verboten. Erst als eine schwangere Texanerin unter dem Pseudonym Jane Roe gegen den Bezirksanwalt Henry Wade klagte, wurde dieses Verbot verfassungsrechtlich geprüft. „Große Teile der amerikanischen Verfassung stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Sie sagt nichts zu Abtreibungen, sehr wohl aber etwas über die persönlichen Freiheitsrechte, und zwar im 5. und 14. Zusatzartikel. Der Supreme Court leitete 1973 aus diesen Zusatzartikeln ein Recht für amerikanische Staatsbürgerinnen auf die Selbstbestimmung über ihren Körper und somit auf Schwangerschaftsabbrüche ab“, so Anja Schüler vom Heidelberg Center for American Studies.
1973 wurde eine Trimesterregelung erlassen, die eine Abtreibung in den ersten drei Monaten erlaubte. Im zweiten Trimester war eine Abtreibung grundsätzlich auch möglich, aber es fand eine Abwägung zwischen der Gesundheit der schwangeren Person und dem Schutz des ungeborenen Lebens statt. Im dritten Trimester stand der Schutz des ungeborenen Lebens im Vordergrund. Begründet wurde dies mit der Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des mütterlichen Bauches ab der 28., in einem späteren Urteil dann ab der 24. Woche.
Diese Regelung unterschied sich grundlegend von der Gesetzeslage in Deutschland, in der ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ist, grundsätzlich jedoch eine Straftat bleibt. Die Kosten für einen Schwangerschaftsab – bruch werde in Deutschland nach einem verpflicht – enden Beratungsgespräch weitestgehend durch die Krankenkasse übernommen.
Die Folgen des Urteils im Fall Dobbs v. Jackson sind bereits spürbar. Während Washington Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche weiterhin erlaubt, schränken Michigan und Minnesota das Recht auf Abtreibung ein: Ab jetzt ist ein Beratungsgespräch mit anschließender Wartezeit verpflichtend. Inwieweit Abtreibungen in den beiden Staaten weiterhin erlaubt sein werden, hängt von den Wahlen im November ab. In konservativeren Staaten wie Texas sind Abtreibungen nun komplett illegal, selbst in Fällen von Inzest oder Vergewaltigung. Bedroht die Schwangerschaft das Leben der schwangeren Person, wäre das die einzige Ausnahme für eine legale Abtreibung.
In Ohio sind Schwangerschaftsabbrüche nur noch bis zur sechsten Wochen legal, einem Zeitpunkt bei dem viele Personen noch gar nicht sicher wissen können, dass sie schwanger sind. Auch hier wird keine Ausnahme bei Inzest oder Vergewaltigung gemacht.
„Auf jeden Fall sind von der neuen Situation besonders finanziell schwache Frauen betroffen”, betont Anja Schüler. Aber auch für Personen, die über höhere finanzielle Mittel verfügen oder bei denen ihr Arbeitsplatz die Reisekosten für einen Schwangerschaftsabbruch übernimmt , verkompliziert sich die Situation – oft müssen Abbrüche schnell oder vor Ort vorgenommen werden, weil die Gesundheit der schwangeren Person akut gefährdet ist. Zudem hat der Staat Texas bereits vor Monaten ein Gesetz erlassen, das Denunziationen Vorschub leistet. Nun können Privatpersonen Abtreibungsärzt:innen oder Taxifahrer:innen anzeigen. „Man muss sogar befürchten, dass bei einer Fehlgeburt die schwangere Frau wegen Verdacht auf Abtreibung angeklagt werden könnte oder in einer noch weitergehenden Entwicklung Betreiber von Zyklusapps zur Herausgabe von Daten gezwungen werden könnten“, so Anja Schüler.
Roe v. Wade polarisierte die USamerikanische Gesellschaft – seit 1973 kämpften Abtreibungsgegner:innen für die Revision der Entscheidung. „Dazu mussten zum einem republikanische Mehrheiten in den meisten Staaten erreicht werden, die immer strengere Gesetze erlassen, um das Grundrecht auf Abtreibungen einzuschränken. Das zweite Ziel war eine konservativere Ausrichtung des Supreme Courts bei Neubesetzungen. Man benötigte erst die Gesetzgebung auf Einzelstaatenebene und dann einen Supreme Court, der sie für verfassungsgemäß erklärte.” Laut Anja Schüler war dies auch der Grund vieler Evangelikalen, Trump zu unterstützen. Durch die Neubesetzungen unter Trump dominieren im Supreme Court nun Richter:innen des sogenannten „original intent“, der wortwörtlichen Auslegung der amerikanischen Verfassung.
Anja Schüler betont, dass der 5. und 14. Zusatzartikel über das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche hinaus wichtig für viele Entscheidungen des Supreme Courts waren. Der Fall Griswold v. Connecticut 1965 bestätigte das Recht verheirateter Paare auf Kauf und Nutzung von Verhütungsmitteln. Ein Jahr später wurde mit dem Urteil im Fall Loving v. Virginia das Verbot der Eheschließung zwischen weißen und nicht-weißen Menschen aufgehoben.
Die Urteile Lawrence v. Texas 2003 und Obergefell v. Hodges 2015 erklärten das Recht auf gleichgeschlechtlichen Sex und später auf gleichgeschlechtliche Eheschließung als von der Verfassung garantiert. Richter Clarence Thomas, der selbst schwarz und mit einer weißen Frau verheiratet ist, kündigte bereits an, dass drei der vier Urteile – Griswold, Obergefell und Lawrence – als nächstes zu prüfen seien. Loving v. Virginia ließ er außen vor.
All dies sind düstere Szenarien einer von den US-amerikanischen Republikaner:innen betriebenen „konservativen Revolution”. Sie sehen sich dadurch bestätigt, dass am Tag des Urteils bereits die ersten Abtreibungskliniken schlossen und dass die sexualmedizinische NGO Planned Parenthood Abtreibungen schon jetzt nicht mehr in allen Bundesstaaten durchführt. Bleibt nur die Frage: „What’s next?“ – doch die Antwort möchten wir vielleicht gar nicht erfahren.
...studiert Politikwissenschaften und Germanistik im Kulturvergleich. Sie kann sich für alle Themengebiete begeistern, interessiert sich aber am meisten für den gesellschaftspolitischen Bereich. Seit 2021 schreibt sie für den ruprecht und leitet seit 2022 Seite 1-3.
Zarah Janda studiert Molecular and Cellular Biology und ist seit dem Wintersemester 2020/21 beim ruprecht dabei. Am liebsten schreibt sie über Wissenschaft im Alltag.