Nur kurz nach seiner Wiederwahl im April hat der französische Präsident keinen Anlass zur Freude. In der Parlamentswahl hat die Partei des Staatsoberhauptes ihre Mehrheit verloren. Da auch keine andere Partei die Mehrheit gewonnen hat, bildet Macron eine Art Minderheitsregierung. Allerdings muss er sich für jedes neue Vorhaben seiner Regierung neue Bündnispartner:innen suchen. Viele Französ:innen hatten sich offensichtlich in der Stichwahl nur für Macron entschieden, weil sie eine Präsidentin Le Pen, um jeden Preis verhindern wollten.
Der Grund für die Abkehr von Macron ist in erster Linie er selbst. In seiner ersten Amtszeit wirkt er oft unnahbar und arrogant. So fordert er bei einer Veranstaltung einen Jugendlichen dazu auf, ihn „Herr Präsident“ zu nennen. Auch sind viele seiner Vorhaben wie die Forderung nach einer Anhebung des Rentenalters hoch umstritten. Seine Politik hat ihm das Image eines Präsidenten der Reichen und seiner Partei eine Wahlniederlage eingebracht.
Das Wahlergebnis ist mehr als nur eine schlechte Nachricht für Macrons politische Agenda, es sagt auch viel über die politische Stimmung in La Grande Nation aus. Die Mehrheit der Wähler:innen hat nicht gewählt. Zusätzlich gaben viele Französ:innen leere oder ungültige Stimmzettel ab, vor allem Erstwähler:innen blieben zu Hause. Die klassischen Regierungsparteien wie die Republikaner oder Sozialisten haben an Bedeutung verloren. Die Republikaner hatten 2007 noch die absolute Mehrheit der Abgeordneten, jetzt blieben sie sogar hinter Le Pens Partei zurück.
Damit setzen sie ihre Misere fort, in der Präsidentschaftswahl hatte es ihre Kandidatin Valérie Pécresse nur auf 4,78 Prozent geschafft. Die Sozialisten sind nach einem desaströsen Abschneiden in den Präsidentschaftswahlen in dem Wahlbündnis von Jean-Luc Mélenchon NUPES aufgegangen. Obwohl die Sozialisten als Mitglieder von NUPES zwar Teil einer erfolgreichen Koalition sind, gibt es in der neuen Nationalversammlung nur wenige Abgeordnete der klassischen französischen Linken.
Der große Gewinner des Abends war Jean-Luc Mélenchon, als das Gesicht von NUPES. Er hat es geschafft, eine Koalition von Sozialisten, Grünen und unterschiedlichen Links-Außen Parteien zur zweitstärksten politischen Kraft des Landes zu machen.
Besonders bei jüngeren Wähler:innen konnte der 70-Jährige punkten, seine Wahlkampfveranstaltungen wurden von seinen enthusiastischen jungen Unterstützern:innen regelrecht gestürmt.
Mélenchon versteht es, die Frustration über soziale Ungleichheit in Begeisterung für seine politische Agenda umzuwandeln. Die Begeisterung geht so weit, dass einige Unterstützer:innen ein MélenchonComputerspiel kreiert haben. Das Spiel simuliert passenderweise soziale Umverteilung.
Der Erfolg gibt dem Star der französischen Linken Recht. Die andere Gewinnerin ist Marine Le Pen. Ihre Partei wird mit 89 Abgeordneten erstmals seit Jahrzehnten eine Fraktion bilden können. Dieser Sieg ist das Resultat der Anstrengungen ihre Partei zu entdämonisieren. In jeder Wahl des 21 Jahrhundert hat ihre Partei bei Erstwähler:innen Stimmen hinzugewonnen.
Diese Wahl ist eine Absage an Frankreichs etablierte politische Elite. Die fehlende Volksnähe treibt die Wähler:innen in die Hände der Populist:innen.