Die Wände sind mit dunkelgrauem Noppenschaum verkleidet. Bis auf das Gesagte herrscht konzentrierte Stille. Das Herzstück des Studios ist ein großer Tisch, ausgestattet mit Mikrofonen, Kopfhörern und mehreren Computern. Es ist kurz vor 18 Uhr. Raphael Zellner und Patrick Schunk werden heute die Sendung „Frei Schnauze“ moderieren: „Frei Schnauze – über alles, was momentan passiert oder auch nicht passiert“, beginnt Raphael die Sendung schließlich.
Die beiden informieren ungeskriptet über aktuelle Themen, die mal ernst, mal locker sind. Unterbrochen werden die Redesequenzen regelmäßig von Musikblocks: „Und nun ein Songwunsch von Lea aus Heidelberg“, leitet Patrick ein, bevor der Track live ertönt. Patrick und Raphael sind keine hauptberuflichen Mitarbeiter von hiesigen Radiosendern. Sie studieren in Mannheim und moderieren in ihrer Freizeit Sendungen für das Campusradio Radioaktiv.
Seit 1998 gibt es den studentischen Radiosender als eingetragenen Verein. Er wird von ehrenamtlichen Moderator:innen produziert und ist keiner Hochschule angegliedert. Das macht ihn zum einzigen unabhängigen Campusradio Baden-Württembergs. Bis 2019 hatte der Sender auch in Heidelberg an der Pädagogischen Hochschule Räumlichkeiten; nun läuft alles zentral über das Studio im Herzen Mannheims.
Von dort werden 46 Stunden pro Woche Sendungen von Studierenden für Studierende im Rhein-Neckar-Kreis produziert und ausgestrahlt. Die Sendungen drehen sich um das Geschehen an den umliegenden Hochschulen und dem Rest der Republik sowie um alles, was das Studierendenleben ausmacht: Kultur, Kino, Konzerte, Sport und Partys.
Während die Sendung „Campuswecker“ täglich von 9 bis 12 Uhr generell über relevante Nachrichten und Themen informiert, gehen Sendungen wie „Filmtöne“, „Ersatzbank“ und „Hyperaktiv“ speziellere Themen an wie aktuelle Filme, regionales Sportgeschehen und Veranstaltungstipps. Außerhalb der Sendungen läuft ununterbrochen Musik.
Bei der Musikauswahl geht Qualität vor Bekanntheit oder Chartplatzierung. Vieles kommt von lokalen Musiker:innen. „Bands, die ihre Tracks ins Radio bringen wollen, kontaktieren uns häufig. Musiker:innen haben aber auch schon hier geklingelt und ihre CDs vorbeigebracht“, erklärt Julius Diener, Chefredakteur des Musikressorts. Pro Woche gehen etwa 300 Mails von Musiker:innen, Labels und Marketingagenturen mit Songvorschlägen ein. Sechs bis zehn Songs davon schaffen es ins Programm.
Während der Sendung wählen die Moderator:innen die Musik, ergänzt durch Musikwünsche, die das Publikum per Mail oder Instagram einsenden kann. „Wir haben einen GEMA-Vertrag, über den wir alles an Musik spielen dürfen“, erzählt Patrick. Diese Lizenz gilt allerdings nur für Liveübertragungen, weshalb man die Sendungen später nicht nachhören kann. „So behalten wir uns den Eventcharakter – die Leute schalten ein!“, ergänzt Raphael.
Als Campusradio gehört Radioaktiv zum nichtkommerziellen Rundfunk. Das bedeutet, dass der Sender keinen Gewinn erzielen möchte und nicht Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder gar staatlich ist. Der Sender darf keine kommerzielle Werbung ausstrahlen, um sich zu finanzieren. Gefördert wird die ehrenamtliche Radioproduktion von der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg.
Als ehrenamtliche Initiative ist Radioaktiv neben der Finanzierung vor allem auf eines angewiesen: hörfunkbegeisterte Studierende, die mitmachen wollen. Da sich der Campussender als Ausbildungsradio versteht, benötigen interessierte Studierende keinerlei Vorerfahrung. Der Sender stellt ein umfangreiches Workshopangebot bereit, das in die professionelle Radioarbeit einführt.
„Es gibt zwar viele Hebel und Schalter, aber das ist alles Übungssache – wenn man Bock hat, lernt man schnell und es macht Spaß!“, erklärt Patrick. Praktischer Bonus: Das Studio ist knapp eine Gehminute vom Mannheimer Hauptbahnhof entfernt, so können auch pendelnde Studierende schnell vor Ort sein.
Nach Lampenfieber gefragt, erzählt Raphael: „Anfangs war ich wahnsinnig nervös, aber man gewöhnt sich daran. Es hilft, dass man das Publikum nicht sieht. Vor Fehlern muss man sich außerdem nicht fürchten. Die Frage ist, wie man damit umgeht! Am besten hängt man sich nicht daran auf – auch die Profis kochen nur mit Wasser und versprechen sich.“
Wer Interesse an Medien hat, kann bei Radioaktiv erste Erfahrungen für die Berufswelt sammeln: Viele Radioaktiv-Alumni arbeiten heute professionell im Medienbereich. Zu den bekannteren Vertreter:innen gehören die Fernsehmoderatorin Larissa Rieß, auch bekannt als Lari Luke, oder der Journalist Demian von Osten, der heute Moskau-Korrespondent für die ARD ist.
Wer sich sorgt, ob das Radio neben Streamingangeboten wie Spotify, Apple Music und Co. noch zeitgemäß ist, darf beruhigt sein: Laut einer Studie der Radiozentrale hören 53 Millionen Menschen täglich durchschnittlich vier Stunden Radio. Das entspricht 75 Prozent der Deutschen.
Auf die Frage, welche Zukunftspläne für Radioaktiv anstehen, verrät Raphael von der Planung des 25-jährigen Jubiläums im nächsten Jahr und ergänzt: „Längerfristig gesehen: weitermachen. Uns gibt es schon seit fast 25 Jahren, das ist eine große Leistung für eine ehrenamtliche Studierendeninitiative. Wir wollen weitermachen!“
von Daniela Rohleder
...studiert Editionswissenschaft & Textkritik im Master und ist im Herbst 2021 beim ruprecht eingestiegen. Zwischen Oktober 2022 und November 2023 leitete sie das Ressort „Studentisches Leben“. Auch thematisch widmet sie ihr Zeichenlimit gerne dem studentischen Blick auf die Umwelt – wobei sie einiges über Radiosender, Feierkultur und Elternschaft gelernt hat.