Das Studium ist eine besondere Zeit: Für viele bedeutet das die ersten Nächte in einer fremden Stadt, die erste WG, Tag und Nacht in Bibliotheken Bücher wälzen, bei Hauspartys bis in die Morgenstunden feiern oder sich – wenn nötig – tagelang von Pasta ernähren. Ein Feierabendbier im Hörnchen gibt es an manchen Tagen schon um elf Uhr und Freitag ist bei den meisten genau das, was der Name verspricht: frei.
Um sieben Uhr früh nach Ziegelhausen zum Babyschwimmkurs zu fahren, passt auf den ersten oder zweiten Blick nicht in das klassische Studierendenleben. Für Paula (24) gehört es zum Alltag. Sie studiert in Heidelberg im vierten Mastersemester Romanistik im Erweiterungsfach auf Lehramt und ist seit acht Monaten Mutter einer Tochter. Damit gehört sie laut Bundesministerium für Bildung und Forschung zu den sechs Prozent der Studierenden in Deutschland, die gleichzeitig Eltern sind.
Paula sieht in Kind und Studium keinen Widerspruch: „Es war eine bewusste Entscheidung, bereits im Studium eine Familie zu gründen. Wir haben es mit dem Studienende meines Freundes abgestimmt. Meine Schwester hatte im Studium zwei Kinder bekommen. Unsere Eltern haben zuerst geschluckt. Jetzt kennen sie es nicht anders: Enkel und Studium.“
Mit der Elternschaft läuft ein Studium weniger reibungslos als das der kinderlosen Kommiliton:innen. Eltern unterbrechen ihr Studium viermal öfter; Frauen häufiger als Männer. Auch Paula hat nach der Geburt ein Urlaubssemester eingelegt. Da die Unterbrechung vergleichsweise kurz war, fiel ihr der Wiedereinstieg nicht schwer: „Es war nur anfangs komisch. Ich musste wieder in meine Rolle hineinfinden, nicht mehr ‚nur Mama‘ zu sein.“
Trifft man Paula ohne ihre Tochter, merkt man ihr nicht an, dass sie neben Referaten und Hausarbeiten einen Vollzeitjob als Elternteil erfüllt. Sie wirkt entspannt. „Die Uni läuft wie ein Zweitjob nebenher“, kommentiert Paula. Den Balanceakt zwischen Studium, Partnerschaft und Elternschaft meistern sie und ihr Freund gemeinsam: Während sie vormittags Seminare besucht, passt ihr Freund (31) auf die Tochter auf. Zum Mittagessen trifft sich die junge Familie in der Mensa. Danach hat Paula Zeit zum Lernen. Ihr Freund hat eine Teilzeitstelle angetreten. So kann er die Betreuung der Tochter oft übernehmen und gibt Paula die Möglichkeit, sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Auch Paulas Eltern wohnen in Heidelberg und stünden zur Verfügung.
Das klappt allerdings nicht immer. Es kam schon vor, dass Paulas Tochter in den Genuss von Blockseminaren kam: „Weil die Kleine bei meinen Eltern gefremdelt hat, haben sie mich kurz nach Sitzungsbeginn angerufen. Ich musste nach Hause radeln und habe sie mit ins Seminar genommen. Sie war damit zufrieden, auf meinem Schoß zu sitzen. Ich habe sie auch vor Ort gestillt. Das hat gut funktioniert.“ Die Dozentin und ihre Kommiliton:innen hatten den jungen Gast gerne aufgenommen.
So problemlos verläuft der Kontakt zwischen Studierenden und der Universität allerdings nicht immer. Vor allem die strenge Anwesenheitspflicht stellt viele Eltern auf die Probe: Während ihrer Schwangerschaft hatte Paula in einem Seminar einmal mehr als erlaubt gefehlt. Als Konsequenz sollte sie eine umfangreichere Hausarbeit abgeben. „Ich habe das Gleichstellungsbüro kontaktiert. Die Mitarbeiterin war verständnisvoll und hat das Romanistische Seminar für Studierende mit Kind sensibilisiert. Dafür bin ich dankbar – ich wollte es mir mit der Dozentin nicht verscherzen. Sie benotet einen schließlich.“
Für Fälle wie diese gibt es an der Universität Heidelberg die Unit for Family, Diversity & Equality (Unify), die vor Kurzem aus dem Gleichstellungsbüro hervorging. „Das Bewusstsein für die besonderen Herausforderungen von Studierenden mit Kind kam in unserer Gesellschaft erst nach und nach“, erklärt die Referentin Evelyn Kuttikattu. „Früher war die Norm der männliche, ledige Student. Daran hat sich das Studiensystem aufgebaut.“
Etwa 30 bis 35 Studierende kontaktieren Kuttikattu pro Semester, um sich über ihre Rechte als Eltern zu informieren. Anfragen kommen beispielsweise über Finanzierung, Gefährdungsbeurteilungen oder zu einem konkreten Problemfall, wie Paula ihn hatte. „Viele Studierende wissen gar nicht, welche Rechte sie haben, und dass nicht nur Beratung angeboten, sondern auch vermittelt wird“, erzählt Kuttikattu. „Unsere Aufgabe ist es, die Universität darin zu unterstützen, die gesetzlichen Aufgaben Studierenden mit Kind gegenüber zu erfüllen. Dazu gehört es auch, die Belange von studierenden Eltern zu vertreten, wenn auf diese im Studien- und Lehralltag nicht ausreichend Rücksicht genommen werden“, erklärt Kuttikattu. „Es besteht beispielsweise ein Anspruch auf Flexibilisierung der Prüfungsleistung. Das wissen wiederum viele Lehrende nicht“, ergänzt sie.
Seit 2010 ist die Ruperto Carola viermal bei „Beruf und Familie“ als familiengerechte Universität zertifiziert worden. Verliehen wird das Zertifikat an Hochschulen, die Universitätsangehörigen familienfreundliche Arbeits- und Studienbedingungen anbieten. Paula ist mit dem Angebot der Universität größtenteils zufrieden. Was ihr aber neben der Flexibilität bei der Anwesenheitspflicht fehlt, sind Vernetzungsangebote: „Bei meiner Schwester in Tübingen war es gang und gäbe, dass Leute mit Kind im Seminar saßen. Hier bin ich eher ein Exot. Ich kenne an der Universität keine anderen Studierenden mit Kind.“ Vor der Pandemie gab es in der Triplex-Mensa das Café Einhorn, in dem der „Club Parentes“ zum gemeinsamen Austausch einlud. Bisher wurde das Angebot nicht wieder aufgenommen.
Neben den Herausforderungen bringt die Elternschaft im Studium auch Vorteile mit sich. Der Stundenplan kann flexibel nach den eigenen Bedürfnissen erstellt werden und man zeigt Verantwortungsbewusstsein und Organisationsgeschick. Um die Rollen erfolgreich zu kombinieren, ist Zeitmanagement das A und O. „Gerade für Frauen ist es immer noch häufiger ein Karrierehemmnis, wenn man für eine gewisse Zeit ausfällt. Da kann es durchaus von Vorteil sein, wenn das Kind schon im Studium geboren wird“, bekräftigt Kuttikattu. Frauen mit akademischem Bildungsabschluss sind in Deutschland nach wie vor häufiger kinderlos als andere Ausbildungs- und Berufsgruppen.
„Schlaflose Nächte steckt man mit 25 besser weg als mit 35. Aber ich habe mich schon gefragt, was ich jetzt verpasse. Alle Freunde in deinem Alter gehen feiern und du kannst nicht mit. Alle in deinem Umfeld sind nicht da, wo du bist. Darüber muss man sich im Klaren sein. Aber diese Zeit wird auch wieder kommen.“ Bald wird Paula mit dem Studium fertig sein und ab Oktober steht der nächste Schritt in Richtung Freiraum bevor: „Unsere Tochter wird in die Kita in unserer Straße gehen. Das ist praktisch!“
von Daniela Rohleder
...studiert Editionswissenschaft & Textkritik im Master und ist im Herbst 2021 beim ruprecht eingestiegen. Zwischen Oktober 2022 und November 2023 leitete sie das Ressort „Studentisches Leben“. Auch thematisch widmet sie ihr Zeichenlimit gerne dem studentischen Blick auf die Umwelt – wobei sie einiges über Radiosender, Feierkultur und Elternschaft gelernt hat.