Täglich essen in Heidelberger Mensen 10.000 Studenten zu Mittag. Ein Blick über den Tellerrand zeigt, was passiert, bis die Nudel auf dem Teller liegt
Donnerstag, 7 Uhr morgens, schrilles Weckerklingeln. Kopfschmerzen, die übrig geblieben sind von einer langen Nacht mit nur wenig Schlaf. Karl tastet nach dem Ausschaltknopf.
Donnerstag, 7 Uhr morgens, lautes Motorengeräusch. Mitarbeiter Horst nimmt die tägliche LKW-Lieferung in Empfang. Wie jeden Tag bringt er das frische Obst und den Salat in die Küche; für die Nudeln, Reis und das Tiefkühlgemüse öffnet er die schweren Türen der Lagerräume. Die Kälte, die ihm entgegenschlägt, nimmt er kaum noch wahr. Er eilt zu den Regalen des sonst leeren Raums, verstaut die Pakete und verschließt die Türen sorgfältig mit einem großen Riegel. Heute nimmt er auch Kaffeebohnen und Zuckertütchen-Ladungen für die neun Cafés der Universität entgegen. Weil die Lagerkapazitäten begrenzt sind, werden frische Produkte täglich, Trockenwaren dagegen mehrmals pro Woche geliefert.
8 Uhr morgens, Katrin streift ihren weißen Kittel über, bindet sich eine rote Schürze um und setzt ein durchsichtiges Häubchen auf. Händewaschen, desinfizieren und ab geht’s in die Küche. Selbst der Schritt über die Türschwelle muss nach Vorschrift verlaufen: Eine mit Desinfektionsmittel getränkte Fußmatte tötet die Keime an den nur für die Küche bestimmten Arbeitsschuhen.
Gemeinsam mit ihren 150 festangestellten Kollegen heißt es, sich auf einen Ansturm von bis zu 5000 hungrigen Studenten vorzubereiten. Hähnchenrupfen oder Nudelteigkneten sieht man in der weitläufigen, weiß gefliesten Mensaküche im Neuenheimer Feld nicht. Auch wer nach Küchenhilfen sucht, die Schnitzel panieren, Salat waschen oder Gemüse schnippeln, wird enttäuscht: Die meisten Lebensmittel werden tiefgekühlt oder bereits als Convenience-Produkte fertig vorbereitet angeliefert, wie zum Beispiel geschälte Kartoffeln und fertige Hähnchenkeulen. Katrins Aufgabe ist es somit nur noch, die Lebensmittel zusammen zu stellen, zu erwärmen oder mit Soßen oder Gewürzen zu verfeinern. Anders sei das in einer Großküche auch nicht zu bewältigen, meint sie. Überdies seien Tiefkühlprodukte viel weniger keimanfällig und garantieren einen hohen Vitamingehalt. Auf Speisen mit frischen Eiern oder rohem Hähnchenfleisch wird in den Heidelberger Mensen komplett verzichtet, um das Salmonellenrisiko schon im Vorfeld zu vermeiden. Hierfür nimmt man dann auch gerne ein aus China eingeflogenes Hähnchen in Kauf, während ansonsten versichert wird, dass die Priorität auf qualitativ hochwertigen Produkten aus der Region liegt. So zum Beispiel kommt der „beliebte Fleischkäse“ aus der mensaeigenen Metzgerei, die ihre Waren wiederum vom Fleischer Merz aus Heidelberg bezieht. Manfred Siegel, der dort im Vertrieb arbeitet, war in all den Jahren der Zusammenarbeit stets zufrieden. Er sagt, dass die Geschäfte „auf einer sachlich kompetenten Ebene und einem persönlich sehr korrektem Miteinander“ stattfinden.
Die kulinarische Sprechstunde und andere Projekte
Nicht weit entfernt, in einem Zimmer des Studentenwohnheims stellt Karl wenig begeistert fest, dass er den 9-Uhr-Kurs diesmal nicht schwänzen darf, schält sich aus dem Bett und versucht mit knurrendem Magen etwas Angemessenes zum Anziehen zu finden.
Zur selben Zeit, um 8:30 Uhr, verlässt Arnold Neveling in Hemd, Krawatte und weißem Kittel sein kleines Büro im Obergeschoss der Zentralmensa, um dieses Presseinterview zu geben – einer von vielen Terminen, die seinen Tagesablauf bestimmen. Als Abteilungsleiter der Hochschulgastronomie ist Neveling für die Personalplanung, die Kontrolle der Mensen und deren Einrichtung und Modernisierung verantwortlich und arbeitet Konzepte und Verbesserungsvorschläge aus. Mit Begeisterung berichtet er von den verschiedenen Projektwochen, die für Abwechslung in der Mittagspause sorgen sollen. Zu diesen gehören unter anderem die Bayerischen Tage in der Zeughaus-Mensa und Nevelings neuestes Projekt, der erste „Veggie Day“ in den Heidelberger Mensen. Außerdem verrät er, dass jeder Student diese Aktionswochen ausnutzen solle, da das Preis-Leistungsverhältnis auf jeden Fall zugunsten der Studenten ausfallen werde.
Darüber hinaus findet monatlich eine „kulinarische Sprechstunde“ statt. Indem er sich den Fragen, dem Lob oder Tadel der Studenten stellt, möchte Neveling den kommunikativen Austausch zwischen den Mensen, Cafés und deren Besuchern fördern. Die nächste Sprechstunde findet am 23. Juli im Café Botanik im Neuenheimer Feld statt.
Karl steht nach seinem Kurs im Café Botanik und wartet, dass seine Kommilitonin hinter dem Tresen die Maschinen mit neuen Kaffeebohnen auffüllt und ihm seinen Cappuccino serviert. Nur eine Treppe höher beginnt die Hygienebeauftragte Albertina Hinz ihren täglichen Rundgang und kontrolliert, ob alle Richtlinien eingehalten werden, jeder an seinem rechten Platz arbeitet und alles nach Plan verläuft. Auch wenn sie hin und wieder ihre Mitarbeiter auf kleine Regelverstöße wie eine nicht korrekt sitzende Mütze hinweisen muss, dem Bild des strengen Aufsehers entspricht die zierliche blonde Frau mit dem netten Lächeln überhaupt nicht. Sie ist Teil des Teams. Auch macht es nicht den Eindruck, als sei die Mensa einfach nur ihr Job; die Art, wie sie von ihren Mitarbeitern spricht und angesprochen wird, wie sie von Abläufen und Gewohnheiten ihrer Kollegen erzählt, alles zeugt von Engagement und Elan für ihre Arbeit. Ihr primäres Ziel ist es, die Zufriedenheit der Studenten zu garantieren – für Hinz eine Herzensangelegenheit: „Manchmal kommen Studenten nach dem Essen zu uns und sagen ‚ah, dies und jenes war toll‘ und das freut uns dann!“ Aber auch für konstruktive Kritik hat Hinz immer ein offenes Ohr, weil sie nur so die Möglichkeit bekommt, sich und das Team zu verbessern.
Von „geht gut“ bis „Renner“
„Wer fasst die Ergebnisse nun noch einmal zusammen? Karl, Sie waren zu spät, kommen Sie doch bitte nach vorne.“ Karl wartete immer noch vergeblich darauf, dass die belebende Wirkung des Koffeins einsetzt, greift nun nach kurzem Nicken seines Nachbarn dessen Aufzeichnungen und schlurft nach vorne.
Inzwischen ist Mittagszeit. Katrin beginnt, die verschiedenen Gerichte zu den Ausgaben zu bringen. Zur Ausgabe D geht sie am liebsten. An sich sollten die verschiedenen Positionen regelmäßig rotieren, sodass jeder Mitarbeiter auch einmal die Aufgabe seiner Kollegen übernimmt, doch allzu streng achtet niemand darauf. Katrin schmunzelt über zwei Kolleginnen, die sich heute mal wieder darüber gestritten haben, wer die schmutzigen Tabletts abräumen darf. Jeder habe hier seine Lieblingsaufgabe, erzählt sie.
Katrin selbst ist gerade damit beschäftigt, kleine Mengen an Kartoffelgratin und Fisch in Plastikgefäße zu füllen. Diese Essensproben müssen jeden Tag genommen und eine Woche lang eingefroren aufbewahrt werden. Die Mensa will vorbereitet sein, für den Fall, dass die Stadt eine unangekündigte Kontrolle durchführt oder ein Student an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt. Tatsächlich sei letzteres schon einmal vorgekommen. „Zum Glück gab es aber keine Befunde in unserem Essen, sondern der Student hatte sich woanders infiziert“, erzählt Albertina Hinz. Eine eher unterdurchschnittliche Kurszusammenfassung später kommt Karl zu dem Schluss, dass Currywurst und Pommes, Milchreis mit Zimt und Kompott ein ideales Katerfrühstück darstellen. Dankbar stellt er fest, dass das Mensamenü nicht ausschließlich nach der „Gesunde-Ernährungs-Pyramide“ konzipiert wird, sondern dass Faktoren wie „sehr beliebt“, „geht gut“, oder „Renner“ eine erhebliche Rolle in der Planung spielen. Daher schafft es auch der Klassiker, Currywurst mit Pommes, regelmäßig auf die Tagesmenükarte, noch vor den anderen Dauerbrennern: Hamburgern und Nudelauflauf.
Karl geht durch das Drehkreuz, ärgert sich zum wiederholten Mal, dass das obere Tablett noch nass ist und er deshalb seine Hand 20 Zentimeter weiter bewegen muss, um ein anderes zu greifen. Er schiebt seinen Teller hin, erhält seine Portion und könnte in der nächsten Sekunde schon nicht mehr sagen, welche der Damen ihn eigentlich bedient hat. Seinen Weg bahnt sich Karl durch die zahlreichen wartenden Kommilitonen. Zu den Stoßzeiten herrscht in allen Mensen Hochbetrieb. Er hat Glück und ergattert einen Platz an einem der weißen Tische. Hungrig macht er sich über seine Portion her – fünf Minuten später ist sein Teller leer. An einem normalen Tag wie diesem würden in den Mensen rund 600 Kilogramm Fleisch, 300 Kilogramm Kartoffeln, 200 Kilogramm Nudeln und 100 Kilogramm Reis verarbeitet, erklärt Cornelia Gräf, Referentin für externe Unternehmenskommunikation des Studentenwerks. Dazu kämen noch je etwa 20 Kilogramm Couscus und Ebly. Den Speiseplänen entsprechend hielten sich die Köche an bestimmte Rezepturen. Was die Kostendeckung anbelangt, schreibe das Land Baden-Württemberg den Grad 70 Prozent vor, den das Studentenwerk erreiche.
Satt und von seinen Kopfschmerzen befreit macht sich Karl auf den Weg zur nächsten Veranstaltung. Ob es ihm geschmeckt hat?
von Christina Mikalo und Helen Laubenstein