Acht Heidelberger Dozenten unterzeichnen die Online-Petition gegen den Bildungsplanentwurf. Der Skandal ist ein anderer.
Die Piratenhochschulgruppe und die grüne Hochschulgruppe stellten mit Entrüstung fest: Acht Heidelberger Dozenten unterschrieben die Petition des Nagolder Realschullehrers Gabriel Stängle. Dieser möchte verhindern, dass ab 2015 die Akzeptanz sexueller Vielfalt fester Bestandteil des Unterrichtes ist. Für den eigentlichen Skandal ist das nur ein Symptom.
Die Akzeptanz sexueller Vielfalt in den Unterricht zu verankern, stelle der Petition zufolge eine „pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung“ dar. Das stimmt – leider.
In einer Studie der EU-Grundrechteagentur gaben 46 Prozent der deutschen Teilnehmer an, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden. Gerade im Schulkontext ist der Schritt der grün-roten Landesregierung unverzichtbar: 90 Prozent aller Teilnehmer aus Deutschland gaben an, dass sie in ihrer Schulzeit Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung erlebt haben. Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ, da es seitens der Grundrechteagentur keine entsprechende Vorauswahl der möglichen Teilnehmer gab. Doch zeigt sie die gravierenden Probleme im Schulkontext: Ein Lehrer eines Stuttgarter Gymnasiums berichtet dementsprechend von seinem Schulalltag: „Auf dem Pausenhof: ‚Ey, du Schwuchtel!‘, ‚Schwule Sau!‘, ‚Was hast Du denn für schwule Schuhe an?‘. Zu lesen ist bisweilen: ‚I hate [Schauspielername], because he’s gay!‘ “
Die Schüler müssen also durch entsprechende Bildungsangebote erst lernen, die sexuelle Vielfalt in dieser Gesellschaft zu akzeptieren. Es ist grotesk, das zu kritisieren.
In der Petition wird zudem verlangt, dass man in der Schule auf vermeintliche Gefahren von Homosexualität hinweisen soll, wie zum Beispiel die erhöhte Suizidrate. Dass diese erst durch die gesellschaftliche Stigmatisierung zustande kommt, wird dabei völlig ignoriert. Als weitere Kritik am Bildungsplan wird auf die erhöhte HIV-Infektionsrate bei homosexuellen Männern verwiesen.
Im Bildungsplan geht es aber darum, dass Schüler lernen sollen, dass Homo-, Bi- und Transsexuelle zu einer pluralistischen Gesellschaft dazu gehören und als solche zu akzeptieren sind. Dies als einen Aufruf zu ungeschütztem Verkehr zu deuten, ist bizarr. Es ist noch haltloser, als dass im Bildungsplan über sexuell übertragbare Krankheiten aufgeklärt werden soll.
Der Verfasser der Petition gehört als Realschullehrer zum hochgebildeten Teil der Bevölkerung. Dasselbe gilt für die Dozenten der Universität Heidelberg. Zusammen mit über 163.000 Menschen, die diese Petition unterstützen, zeigt dies: Homophobie ist ein Teil dieser Gesellschaft. Sie wütet in ihrer Mitte. Bei genauerer Betrachtung liefert die Petition gegen den Bildungsplan also die beste Begründung dafür, ihn einzuführen.
Trotz aller Probleme sind die Voraussetzungen gut: Der Realschullehrerverband hat sich von Robert Stängles Petition ausdrücklich distanziert. Der Rektor der Universität Heidelberg Bernhard Eitel hat sich in einem Brief an die Piraten dazu bekannt, dass zur gelebten Vielfalt an der Universität jede sexuelle Orientierung gehört. Zwei Gegenpetitionen haben mit über 130.000 Unterschriften beziehungsweise 80.000 Unterschriften mehr Unterstützer als die Petition gegen den Bildungsplan. Zudem trägt der Landeselternbeirat den neuen Bildungsplan mit. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten zudem 60 Prozent der Bevölkerung in Baden-Württemberg die Umstellung des Bildungsplans. Dennoch ist der Handlungsbedarf groß: 35 Prozent lehnen ihn ab.
Ziad-Emanuel Farag