In Nordeuropa geraten Regierungen mit dem indigenen Sámi-Volk in Konflikt über die Nutzung ihres Landes. Eine Bestandsaufnahme
Was sind wir bereit, für Klimaschutz und die Nutzung von Bodenschätzen zu opfern? Fleischkonsum und Fast Fashion vielleicht, aber unsere Heimatstadt oder unsere Kultur? In Nordeuropa ist diese Frage ausschlaggebend für die Zukunft ganzer Gebiete des Polarkreises, die Heimat und Eigentum des einzigen indigenen Volkes Europas sind. Die Sámi wohnen im hohen Norden. Ihr Gebiet, Sapmi genannt, zieht sich von der Nordküste Norwegens bis zur Kola-Halbinsel in Russland. Historisch haben die Sámi wie die meisten indigenen Völker systematische Unterdrückung, Enteignung und absichtliche Zerstörung ihrer Kultur erfahren. Seit den späten 70-er Jahren bemühen sich die nordischen Regierungen zumindest auf dem Papier um ihre Rechte – mittlerweile bestehen in allen nordischen Ländern Sámi-Parlamente, der Erhalt und die Förderung ihrer Sprache und Kultur ist rechtlich verankert. Die Natur und vor allem der traditionelle Beruf des Rentiertreibers sind integraler Bestandteil dieser Kultur.
In den letzten Jahren häufen sich die Konflikte zwischen den Sámi und den nordischen Regierungen, weil sich in ihren Gebieten wertvolle Rohstoffe und Möglichkeiten zur Energiegewinnung befinden, die für die jeweiligen Länder sowie für die EU von Interesse sind.
Schweden
In Schweden befindet sich ein Großteil der Minen in Sapmi, doch für die indigene Bevölkerung ergeben sich daraus kaum Vorteile. Im Gegenteil, die negativen Folgen einer neuen Mine reichen weit über das erwartete Maß hinaus: Minenprojekte in Stihke und Kaunisvaara zeigen unvorhergesehene Langzeitfolgen, wie den Verlust oder die absichtliche Zerstörung von materieller Kultur und kulturellen Praktiken und starke psychologische Belastungen sowie Drohungen von Gewalt gegen Menschen und ihre Tiere, die sich gegen die Minenprojekte stellen. Die negativen Effekte der Minen auf die Natur und die Rentiere ermöglichen es den dort lebenden Sámi nicht, ihr Leben regulär weiterzuführen.
Die Stadt Kiruna in Nordschweden, Sitz des schwedischen Sámi-Parlaments, muss umziehen, da wegen jahrelangen Eisenerzabbaus die ganze Stadt einsturzgefährdet ist. Im Februar dieses Jahres gab das staatliche schwedische Bergbauunternehmen LKAB bekannt, sie hätten in Kiruna seltene Erden entdeckt, die es Europa möglich machen könnten, einen gewissen Grad an Unabhängigkeit von China zu erlangen. Die Nachricht wurde EU-weit mit Freude empfangen – die Nachteile für die indigene Bevölkerung überhaupt nicht erwähnt.
Norwegen
Seit etwa anderthalb Jahren steht in Norwegen ein Windpark auf der Halbinsel Fosen, der mittlerweile vom obersten Gerichtshof des Landes für illegal erklärt wurde. Die Baugenehmigung des Windparks war nachträglich entzogen worden, da es das Recht der Sámi auf kulturelle Ausübung einschränkt. Ein konkreter Plan, was mit den Windrädern passieren soll, wurde jedoch nicht vorgeschlagen. Die Regierung hat sich entschuldigt, doch ein Abbau und die Freigabe des Landes steht noch nicht in Aussicht – höchstens ein Kompromiss, bei dem die Rentiere die Fläche trotz der Windräder nutzen könnten.
Die norwegischen Sámi protestieren seit dem Beschluss für einen Abriss des Windparks, bis jetzt ohne Erfolg. Im Februar besetzten sie das norwegische Ministerium für Öl und Energie – es endete mit Konfrontationen mit der Polizei. Seitdem hat sich wenig geändert, die Diskussionen gehen weiter.
Finnland
Auch in Finnland werden die Rechte der Sámi nicht ausreichend geachtet. Das Sámi-Parlament in Finnland hat nicht das Recht, sein eigenes Wahlrecht zu gestalten. Die finnische Regierung bestimmt, wer bei den speziellen Wahlen teilnehmen darf. Dies hat dazu geführt, dass auch Menschen an der Wahl teilgenommen haben, die von der Gemeinschaft der Sámi nicht als zugehörig eingeschätzt werden. Angesichts der Wahlen im März 2023 wurde erneut versucht, dem Sámi-Parlament das Recht zu verleihen, sein eigenes Wahlrecht zu bestimmen – es scheiterte im Februar. Dabei wurde die finnische Regierung bereits von der UN darauf hingewiesen, dass die aktuelle Regelung gegen internationale Konventionen verstößt. Aktivist:innen gehen davon aus, dass die Regierung auf Zeit spielt, da Diskussionen über Natur und Bodenrechte, zu denen mögliche Minenprojekte, aber auch Naturschutz und Fischungsrechte gehören, noch anstehen. In Finnland ist die Regierung rechtlich verpflichtet mit dem Sámi-Parlament bei Themen, die sie betreffen, zusammenzuarbeiten – wenn dort jedoch Menschen sitzen könnten, die nicht Teil der Minorität sind, kann es schwierig werden, deren Interessen durchzusetzen.
Die Natur von Skandinavien und Lappland ist für die Klimaneutralität, Biodiversität und das kulturelle Überleben der indigenen Völker unabdingbar. Nur ist es leider profitabler, die Natur für Energie und Phosphat auszunutzen. Die Regierungen Nordeuropas setzen sich international für Menschenrechte und die Rechte indigener Völker ein. Es ist schade, dass sie sich innerhalb ihrer eigenen Grenzen nicht dazu berufen fühlen, den gleichen Enthusiasmus beizubehalten.
Von Kaisa Eilenberger
...studiert seit dem WiSe 2021 im Bachelor in Geschichte und Religionswissenschaft – beim ruprecht ist sie seit Studienbeginn, hat zwischendurch Hochschule mitgeleitet und ist zurzeit im Layout-Team. Bei Gelegenheit produziert sie auch Illustrationen für Artikel und schreibt am liebsten über Medien und internationale Themen.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.