Landauf, landab fliegen die Geldautomaten in die Luft. Viele andere Länder haben sich bereits vom Bargeld verabschiedet. Warum es in deutschen Taschen noch klimpert
Von 2019 bis 2022 gab es in Heidelberg mehrere Sprengungen von Bankautomaten. Die Sparkasse Heidelberg zog Konsequenzen daraus und schloss neun Geldausgabeautomaten im Rhein-Neckar-Kreis. Laut einer Bundesbank-Studie setzt sich außerdem der Trend zum bargeldlosen Zahlen fort. Stirbt das Bargeld langsam aus?
Das Café Nomad in Heidelberg fährt bereits seit längerer Zeit komplett bargeldlos. Suna Aslan, Inhaberin des Cafés, berichtet, man sei ursprünglich während der Corona-Pandemie aus hygienischen Gründen dazu übergegangen. Doch das bargeldlose Zahlen habe sich bewährt: Es fielen tägliche Arbeitsstunden weg und auch Sicherheitsaspekte seien wichtige Faktoren. Laut Aslan reagiere nicht jeder Gast positiv: „Das ist natürlich völlig in Ordnung, aber dann sind wir vielleicht nicht der richtige Ort“, resümiert die Inhaberin. Oft gehe es aber auch um das nötige Feingefühl, dass man sich fragt „Wie erkläre ich das den Kund:innen?“
Ob Bargeld abgeschafft werden sollte, wird seit längerer Zeit auch in der volkswirtschaftlichen Forschung diskutiert. Zusätzlich Fahrt aufgenommen hat die Debatte in Zeiten von Negativzinsen. Auch Zeno Enders, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg, widmet seine Forschung den Themen Geldpolitik und Konjunkturzyklen.
In Anbetracht der diskutierten Alternativen denkt Enders, seien die Nachteile der Bargeldabschaffung zurzeit überwiegend. Da es direkt von den Zentralbanken ausgegeben werde, habe es eine besondere Werthaltigkeit.
Steuerhinterziehung würde ohne Bargeld zwar schwieriger, aber nicht unmöglich werden. So stellten etwa Kryptowährungen oder Transaktionen mit ausländischem Bargeld Quellen für Betrug dar. Insofern sei der zu erwartende Gewinn des Fiskus deutlich niedriger anzusetzen als erwartet. Es wäre also sinnvoller, Steuerhinterziehung anders zu bekämpfen und insbesondere die Anreize zur Steuerhinterziehung anzugehen.
Dass die Abschaffung von Bargeld Barrieren für Personengruppen wie Kinder, Obdachlose und Senior:innen schafft, sei ein gewichtiges Argument, jedoch ließen sich auch hier Lösungen wie etwa Geldkarten finden. Enders nimmt an, der Kreis der benachteiligten Gruppen werde im Lauf der Zeit schwinden. Dies führe vielleicht dazu, dass die Gesellschaft von selbst weniger Bargeld verwende – ganz ohne gesetzliche Einflussnahme. Außerdem seien technische Prbleme und Hackerangriffe im digitalen Zahlungsverkehr möglich. Vor allem Krypto-Börsen hätten das immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Bei privaten Anbietern digitaler Zahlungsformen mache man sich von deren Zuverlässigkeit abhängig. Zudem würden diese bei jeder Transaktion mitverdienen und Daten sammeln. Bei Kryptowährungen falle ein nicht zu verantwortender Stromverbrauch an, die Bestätigung einer Transaktion dauere zu lange und bei digitalem Zentralbankgeld gebe es Zweifel hinsichtlich der Finanzstabilität, gibt Enders weiter zu bedenken.
Der Pressesprecher der Sparkasse Heidelberg, Jonathan Stich, der sich für den ruprecht ebenfalls geäußert hat, sieht in einer bargeldlosen Welt nicht nur die Gefahr der Cyberkriminalität, sondern befürchtet zudem eine facettenreiche staatliche Kontrolle sowie die Abhängigkeit von Banken. In Zeiten des Minuszinses würden sich die Bürger noch mehr ausgeliefert fühlen.
Die Benachteiligung von Personengruppen wie Kindern, Obdachlosen und Senior:innen durch eine Abschaffung von Bargeld erachtet Stich nur bei einer abrupten Umstellung als Problem.
Mit genug Vorlaufzeit stelle sich die Gesellschaft jedoch auf alles ein und finde Lösungen. Er zieht den Vergleich zur Corona-Pandemie: „Wer hätte im Jahr 2019 geglaubt, dass in Deutschland Maskenpflicht, Ausgehverbot oder digitale Impfnachweise umsetzbar wären?“ Wenn Akzeptanz in der Mehrheit der Bevölkerung herrsche, sei vieles möglich.
Doch dies sei bei der Bargeldabschaffung nicht der Fall, denn fast keine Bevölkerung liebe ihr Bargeld so sehr, wie die Deutschen, so der Pressesprecher. Der Gefahr durch Zahlungs-Blackouts sieht Stich eher locker entgegen. Auch vergangenen Winter wurde angesichts der Energiekrise vor möglichen Stromausfällen gewarnt. Doch wie oft hat sich diese Sorge bewahrheitet? Eine weitreichende Entscheidung wie die Abschaffung des Bargelds sei nur mit Absicherungen im Falle von Notfallszenarien möglich.
Eine Abschaffung vor dem Hintergrund, Bürger:innen vor Automatensprengungen zu schützen, hält Stich allerdings für unverhältnismäßig. Er verweist auf die Sicherheitsinvestitionen, welche die Sparkasse Heidelberg seit 2022 als Reaktion auf die Sprengungen getätigt hat. Diese haben dazu geführt, dass seitdem keine weiteren Sprengungen in Heidelberg verzeichnet wurden. Weitere Investitionen zur Prävention sind in Abstimmung mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg und der Kriminalpolizei Mannheim geplant.
Die Option des Bargelds scheint uns also erstmal erhalten zu bleiben.
Von Emily Burkhart und Heinrike Gilles
...studiert Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Heidelberg und schreibt seit Oktober 2022 für den ruprecht. Sie interessiert sich besonders für das aktuelle politische Geschehen, sowie für alles rund um das studentische Leben in Heidelberg.
...studiert molekulare Biotechnologie und ist seit dem Sommersemester 2023 beim ruprecht. Meistens schreibt sie wissenschaftliche Artikel oder über das studentische Leben. Seit November 2023 kümmert sie sich außerdem um die Website und den Instagram-Kanal des ruprecht.
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.