Dem aktuellen Forschungsstand zufolge soll Vitamin D viele Vorteile für die Gesundheit haben. Trotzdem sind die kausalen Zusammenhänge bislang unklar. Eine aktuelle Auswertung des DKFZ zeigt, dass es die Krebssterblichkeit senkt
Kaum ein Nahrungsergänzungsmittel wird so gerne und kontrovers diskutiert wie Vitamin D. Es ist kostengünstig, frei verkäuflich und die Liste der versprochenen Effekte ist lang: von Knochenstabilität über ein gestärktes Immunsystem bis hin zur Bekämpfung von Tumoren. Gerade Letzteres wurde in den vergangenen Jahren immer wieder untersucht – mit wechselnden Ergebnissen, die das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg jetzt zusammengefasst und neu ausgewertet hat. Die Forschenden untersuchten, inwieweit das sogenannte Sonnenvitamin die Überlebensrate von Krebspatient:innen beeinflusst.
Vitamin D3 ist ein fettlösliches Vitamin, das der Körper durch Sonneneinstrahlung in der Haut selbst produziert. Ein geringer Teil wird auch über die Nahrung aufgenommen. Es trägt essentiell zur Calcium- und Phosphat-Aufnahme für die Knochenstabilität bei und beeinflusst auch die Muskelkraft und das Immunsystem. Ein Mangel an Vitamin D3 wurde in Kombination mit Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes sowie Herzerkrankungen und Tumoren beobachtet. Konkret fiel vor allem bei Darmkrebspatient:innen auf, dass diese deutlich häufiger an Vitamin-D-Mangel litten als die Gesamtbevölkerung. Die Ursache bleibt allerdings unklar.
Gut untersucht ist hingegen, dass Vitamin D3 Signalwege im Körper aktiviert, welche die Vervielfältigung von Zellen hemmen. Eine hohe Zellteilungsrate ist ein wesentliches Merkmal aller Tumore. Zunächst mussten die Forscher:innen Studien auswählen. Es wurden nur Studien berücksichtigt, bei denen Vitamin D3 nach dem Doppelblind-Prinzip verabreicht wurde. Demnach wussten weder die Patient:innen noch die Wissenschaftler:innen, wer das Vitamin und wer nur ein Placebo-Mittel bekommt, um Voreingenommenheit auszuschließen. Vitamin-D-reiche Nahrung wird zwar vielerorts empfohlen, wurde in dieser Studie jedoch nicht berücksichtigt, da schon vorher bekannt war, dass sie nicht gegen Krebs hilft. Gleiches gilt für die Vitaminvariante D2. Da Vitamin D sehr wenige Nebenwirkungen aufweist, wurden Studienteilnehmer:innen aus der allgemeinen Bevölkerung rekrutiert.
Eine erste Auswertung der Daten brachte jedoch ernüchternde Ergebnisse. Die Sterblichkeit ging zwar leicht zurück, dies konnte jedoch auch zufällig sein. Das Ergebnis war also nicht signifikant. Es fiel jedoch auf, dass die einzelnen Studien sehr unterschiedlich konzipiert waren. In einigen Versuchen wurde Vitamin D unregelmäßig, dafür aber in sehr hohen Dosen verabreicht. Andere verabreichten dagegen täglich geringe Mengen. Wenn man die Daten nach Einnahmehäufigkeit aufteilt, zeigt sich, dass tägliche Vitamindosen die Sterblichkeit tatsächlich zu verringern schienen – über den Zufall hinaus.
Vieles bleibt jedoch weiterhin unklar. Da hier Teilnehmer:innen mit und ohne Vitamin-D-Mangel gemeinsam betrachtet wurden, bleibt offen, wie groß der Effekt für die beiden einzelnen Gruppen ist. Gerade für Patient:innen mit Mangel wurde die Wirkung von Vitamin D höchstwahrscheinlich unterschätzt. Außerdem deutet einiges darauf hin, dass Menschen in hohem Alter stärker profitieren. Inwieweit das jedoch damit zusammenhängt, dass diese öfter einen Mangel aufweisen, ist nicht sicher. Außerdem ist das sogenannte Konfidenzintervall sehr breit, was bedeutet, dass ziemlich unklar ist, wie viel Prozent der Krebstode durch Vitamin D verhindert werden konnten. Schon vor dieser Neuauswertung war klar, dass das Sonnenvitamin die Entstehung von Tumoren nicht verhindert.
Da eine möglichst frühe Therapie mit Vitamin-D aber trotzdem vorteilhaft sein könnte, sollte man nach der Diagnose trotzdem verstärkt auf den Vitaminspiegel achten. Diese Studie ist kein Grund, direkt zur nächsten Drogerie zu sprinten und eine Vorratspackung Vitamin D zu kaufen. Eins ist aber eindeutig: Vitamin D wurde in der Krebstherapie bislang unterschätzt. Da es kostengünstig und nebenwirkungsarm ist, sollte Vitamin-D-Mangel bei Patient:innen mit Tumoren deutlich stärker geprüft werden. Für eine so vielfältige und wandelbare Gruppe von Krankheiten wie Krebs, der in jedem Körper anders ist, wird es leider nie eine universelle Heilung geben. Die Wissenschaftler:innen zeigen uns hier ein weiteres Werkzeug im Rennen gegen die Tumore.
Die Studie stellt also einen weiteren Schritt in Richtung Krebs als chronische Krankheit statt als Todesurteil dar. Wenn sich die Zellen immer wieder an neue Medikamente anpassen, kann aus einer wachsenden Menge von verschiedenen Therapien gewählt werden.
Von Bastian Mucha und Heinrike Gilles
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.
...studiert molekulare Biotechnologie und ist seit dem Sommersemester 2023 beim ruprecht. Meistens schreibt sie wissenschaftliche Artikel oder über das studentische Leben. Seit November 2023 kümmert sie sich außerdem um die Website und den Instagram-Kanal des ruprecht.