Aufgerissene Magazinwände, einmonatige Hiwi-Verträge und ein gefeuerter Ehrenämtler: Schon seit Monaten hängt im Uniarchiv der Haussegen schief. Über verfehlte Kommunikation und abgewiesene Verantwortung
Die Schiebetür gleitet geräuschvoll zur Seite und Matthias* tritt ins Archiv. Er ist hier angestellt, kennt die Räumlichkeiten ganz genau. Links geht es zu den Büros, man arbeitet hier Raum an Raum. Matthias schleicht auf dem beige gefliesten Boden durch den Lesesaal. Er läuft vorbei an der provisorischen Wand, die Wendeltreppe hinunter und durch ein paar Türen – dann steht er im Parkhaus. Steine, Staub und Drähte, ein Dutzend Toilettenschüsseln und Waschbecken irritieren ihn nicht mehr. Neonröhren beleuchten den Weg zum Aufzug. Ein Stockwerk tiefer dreht er den Schlüssel im Schloss von Magazin 4, quietschend öffnet sich die Tür. Das Loch in der Wand ist immer noch da, die Kartons in den Regalen immer noch bedeckt von Staub, die Drähte blitzen ihm vom Boden entgegen. Alles ist beim Alten.
Das Heidelberger Uniarchiv hat im Frühling 2023 eine überschaubare Anzahl Mitarbeitender. Neben dem Leiter und dessen Stellvertreterin gibt es eine Sekretärin, einen Magazinverwalter und einen Zuständigen für EDV. Dazu kommen mehrere Hiwis und Ehrenamtliche.
Jede:r, der oder die Archivalien, zum Beispiel Studierendenakten, Urkunden, Fotos oder alte Flugblätter, einsehen möchte, kann das nach Anmeldung vor Ort tun. In Heidelberg ist das Uniarchiv – andernorts typischerweise das Sekretariat – außerdem zuständig für Studienzeitbescheinigungen. Für persönliche Belange Studierender und Alumni ist es damit genauso unverzichtbar wie für universitätsgeschichtliche Forschung. Aktuell wird hier allerdings räumlich und personell umgebaut und das bleibt nicht folgenlos.
„Das Archiv ist seit Jahren eine Baustelle“, erzählt Matthias. Was genau eigentlich mit dem Haus ge-plant sei, werde den Beschäftigten nicht mitgeteilt. „Seit neuestem haben wir eine Wand im Lesesaal stehen. Manchmal hört man sie dahinter irgendwas bauen.“
Die Wasserflecken an der Decke habe es früher schon gegeben. „Die Rohre haben immer woanders einen Schaden. Dann wird die Decke aufgebrochen und nur genau die Stelle repariert.“ Der archiveigene Aufzug, genutzt für den Transport schwerer Archivalien, ist seit 2020 defekt. Seitdem weichen Mitarbeitende auf den PKW-Aufzug des benachbarten Parkhauses aus. Allerdings, so Matthias, werde das Parkhaus seit längerem ebenfalls renoviert. Zwischendurch habe man ausnahmslos alle Aufzüge abgestellt. Ein effizientes Arbeiten sei so nicht möglich. Er kritisiert auch die scheinbar fehlende Überprüfung der Bauarbeiten durch Archivpersonal. Nicht nur Magazin 4 sei in einem inakzeptablen Zustand, dabei ginge es hier um wertvolles Material von wissenschaftlichem Interesse.
Die Pressestelle der Uni teilt dem ruprecht mit, der archiveigene Aufzug werde im Zuge der Baumaß-nahmen erneuert, und verweist ebenfalls auf den Lastenaufzug im Parkhaus. Im Gebäude liefen derzeit mehrere Maßnahmen, unter anderem die Schaffung temporärer Flächen für juristische Professuren. Die Bauleitung liege beim Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg.
Wer besonders unter den Zuständen leide, meint Matthias, seien die Hiwis. „Nur durch ihre Arbeit schaffen wir hier überhaupt, unseren Arbeitsaufwand zu stemmen. Und behandelt werden sie wie Tagelöhner.“ Was er damit meint: Seit April 2023 werden vom Archiv nur noch einmonatige Verträge an sie ausgegeben. „Ob man seinen Arbeitsplatz behält, erfährt man aktuell Tage vor Vertragsbeginn.“ Gründe würden nicht kommuniziert. Man vermute nur, dass es etwas mit der neuen Stelle oder dem Archivbudget zu tun habe. Die neue Stelle, also ein:e weitere:r festangestellter Mitarbeiter:in, hätte im Mai im Archiv anfangen sollen. Er kam zum Juni – seitdem haben die Hiwis immerhin wieder zwei Monate Vertragslaufzeit.
Die Leitung des Archivs reagiert auf eine direkt gestellte Anfrage des ruprecht nicht, beteuert aber laut der universitären Pressestelle das Interesse des Archivs an gut eingearbeiteten, ergo längerfristig ange-stellten Hilfskräften. „Da das Archiv aktuell nicht absehen kann, wie das Aversum in diesem Jahr aufgestellt sein wird, ist es gezwungen, eng ‚auf Sicht‘ zu fahren, bis die Entscheidung vorliegt. Die Hilfskräfte sind informiert“. Aversum steht hier für die finanzielle Grundausstattung, die universitären Einrichtungen zur Verfügung stehen. „Die Hiwis sind nicht informiert“, merkt Matthias an, „Eine richtige Information dazu gab es nie. Sie wissen nicht mal, dass die meisten von ihnen gar nicht vom regulären Archivbudget, um das es hier geht, bezahlt werden.“
Tatsächlich bestätigt die Pressestelle der Uni, es habe zur Überbrückung vakanter Stellen Sondermittel gegeben. „Mit Besetzung der jeweiligen Stelle entfallen die Sondermittel. Damit muss auf Basis des Aversums entschieden werden, wie viele Stunden für Hilfskräfte finanziert werden können.“ Die Leitung des Archivs gehe davon aus, die Hilfskräfte seien durchaus informiert. Nach Besetzung der Stelle sei niemand ‚entlassen‘ worden. „Trotzdem fühlen sich die Hiwis mit der Situation sehr unsicher“, meint Matthias, „Man erfährt eigentlich alles nur durch Tratsch auf dem Gang.“
Die Leitung des Archivs sieht die Verantwortung im Sekretariat: „Von dort aus wurden und werden die Hilfskräfte auf dem Laufenden gehalten.“
Das Schild an der Sekretariatstür täuscht: Es gibt nur eine, nicht mehr zwei Sekretärinnen. Schon seit Jahren ist dieses Büro im Uniarchiv darum nur halbtags besetzt. „Zwei Ausschreibungen haben keinen Erfolg gebracht, daher wird nun eine andere personelle Lösung verfolgt“, so die Archivleitung. Auch die Studienzeitbescheinigungen werden von der Sekretärin bearbeitet. „Da bleibt zwangsweise mal was liegen“, meint Matthias und lobt die Arbeitsmoral seiner Kollegin.
Nicht nur die Hiwis, sondern auch die ehrenamtlich Mitarbeitenden seien kaum kommunikativ ein-gebunden, meint Matthias. „Die sind hochqualifiziert, die meisten haben einen Doktortitel. Aber hier werden sie behandelt wie Praktikanten.“ Einer von ihnen ist Herr K. Er sei sogar täglich da gewesen – bis er Mitte Mai plötzlich entlassen wurde. „Die Ehrenämtler sind genau wie die Hiwis von regulären Dienstbesprechungen ausgeschlossen. Also haben sie monatelang versucht, einen Gesprächstermin mit der Archivleitung zu bekommen. Zwei Tage nach dem Gespräch wurde Herr K. dann entlassen.“ Die Pressestelle der Universität erklärt, dass es aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zulässig sei, auf den konkreten Vorgang einzugehen. Das Archiv plane laut der Leitung seine Arbeitsfähigkeit nicht auf Basis ehrenamtlicher Mitarbeit. Was die Dienstbesprechungen betreffe, so gäbe es bei Bedarf themenspezifische Gesprächsrunden in unterschiedlicher Zusammensetzung.
Montagnachmittag, 15 Menschen stehen im Halbkreis um Sabrina Zinke im Lesesaal. Sie war 14 Jahre lang stellvertretende Leiterin des Uniarchivs und feiert heute ihren Abschied. Eine Ehrenämtlerin spricht Grußworte. Sie schwärmt von Zinkes freundlicher Art, sagt, dass sie hier fehlen wird. Ingo Runde, der Leiter des Archivs, steht stumm am Rand. Er ist etwas später gekommen als die meisten anderen. Als seine Kollegin ihre Rede beendet, setzt er an, überreicht seiner bald ehemaligen Stellvertreterin eine Grußkarte. Er bedankt sich für „eine gute Zusammenarbeit“. „Die meiste“, pflichtet Zinke bei.
Matthias kann sich an keine Gesprächsrunden erinnern. „Herr Runde sitzt generell nur stumm in seinem Kabuff. Ich glaube, er kennt nicht mal die Namen der Hiwis. Obwohl er im Büro nebenan sitzt, beschränkt sich seine Kommunikation auf Weihnachtsgrüße und Vortragsankündigungen per E-Mail. Geht es um die Arbeit hier, ist es immer nur ein Reagieren, nie initiativ.“
Ingo Runde leitet das Uniarchiv seit 2010. Seit 2011 lehrt er am historischen Seminar in Heidelberg und Mannheim. Der Leiter des Archivs verweist über die Pressestelle auf seine stets geöffnete Bürotür „als ein deutliches und durchaus genutztes Zeichen der Ansprechbarkeit.“ Ansonsten sei nicht nachvollziehbar, worin die Vorwürfe begründet lägen.
Über Zinke, die stellvertretende Leitung, verliert Matthias kein schlechtes Wort. „Zinke hat den Laden eigentlich allein geschmissen“, lobt er. „Sie hat die ganze Öffentlichkeitsarbeit übernommen und die Praktikant:innen betreut – manche dachten ihr Praktikum lang, sie wäre die Leitung. Sie war die gute Seele des Archivs.“ Auch im Stadtarchiv Heidelberg empfiehlt man Zinke als Ansprechpartnerin des Uniarchivs. Die Stelle, die nach ihr jetzt frei wird, ist nicht mehr als stellvertretende Leitung ausgeschrieben. Matthias hat den Eindruck, Runde habe die viele Arbeit der Stellvertreterin als Übergriff auf seine Autorität empfunden, wolle in Zukunft derartige Verhältnisse verhindern. Die Pressestelle der Uni teilt mit, das Archiv gebe an, die Stellvertreterfunktion werde nach Zinkes Ausscheiden nicht aufgegeben, sondern neu geregelt. Zur Betreuungssituation der Praktikant:innen verweise es darauf, Zinke habe diese Aufgabe als Mitglied des Leitungsteams übernommen. Runde gebe an, die Öffentlichkeitsarbeit werde als wichtiger Teil der Archivarbeit auch von ihm befördert. Im Mai und Juni habe er selbst vier Führungen gegeben und Anfang Juli wie jedes Jahr am Mittelaltertag mitgewirkt.
Matthias äußert sich sehr kritisch über seinen Vorgesetzten: „Er publiziert sehr viel und das Archiv steht hinten an. Man sieht ihn so selten – manche Hiwis erkennen ihn auf Fotos nicht.“
Die universitäre Pressestelle verweist auf die Aufgabenbereiche auf der Website des Archivs und teilt mit, Publikationen gehörten zur Aufgabenbeschreibung der Leitung, die diesen Bereich auch entspre-chend wahrnehme. Die Uni bestätigt außerdem das Abhalten von Veranstaltungen durch Runde an der Uni Mannheim – die letzte unentgeltlich in seiner Freizeit. Matthias reagiert mit Unverständnis. „Warum verwendet er, wenn er diese Zeit hat, keine aufs Archiv?“
Nicht nur Matthias, auch Externe erzählen, im bundesweiten Archivarennetzwerk habe das Heidelberger Uniarchiv keinen guten Ruf, die Probleme seien bekannt. „Ich glaube, wir sind für die Uni mehr wie ein ungewolltes Kind, ein Kostenfaktor. Man hält das Archiv für einen Selbstläufer.“ Dabei steht, laut Pressestelle der Uni, Rektor Eitel in kontinuierlichem und ausführlichem Austausch mit Runde, unter anderem im Rahmen der Rektoratsbesprechung und bei anlassbezogenen Terminen. Es existiert sogar ein Archivbeirat, von dem Matthias und seine Kolleg:innen zwar nichts mitbekommen, dessen Aktivität dem ruprecht aber von einem der Ratsmitglieder bestätigt wird.
Dass es im Uniarchiv Probleme gibt, ist offensichtlich. Wer wirklich verantwortlich ist und wieso die Uni derartige Zustände in einer Stabsstelle des Rektorats einfach hinzunehmen scheint, bleibt unklar. Nur eins kann man sicher sagen: Im Archiv bleibt es vorerst spannend.
Von Carolin Roder
*Name von der Redaktion geändert
Carolin Roder studiert Soziologie. Seit dem Sommersemester 2023 schreibt sie für den ruprecht. Am liebsten über gesellschaftliche Themen und alles das, was eigentlich verändert gehört.